Ehe für alle

Die Woche der Heuchler

Parlamentarier nehmen im Bundestag in Berlin an der Abstimmung zu Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts teil.
Der Bundestag stimmt über die "Ehe für alle" ab - der Erfolg der Kampagne wird von politischem Kalkül überschattet, sagt Ellen Häring. © dpa / Wolfgang Kumm
Von Ellen Häring · 01.07.2017
Die "Ehe für alle" kommt – und das ist gut so. Nur: Die Debatte der vergangenen Tage hat auch gezeigt, dass es vielen Volksvertretern weniger um Liebe und Gleichberechtigung ging, sondern um Machtspielchen und Wahltaktik - und das ist ärgerlich.
Die Niederlande, Belgien, Spanien, Portugal, Schweden, Norwegen, Dänemark, Island, Großbritannien, Irland, Frankreich - alle sind uns voraus. Aber nun haben wir sie auch. Die Ehe für alle. Nur: Wir haben sie nicht der tieferen Einsicht zu verdanken, dass Schwule und Lesben die gleichen Rechte wie Heterosexuelle haben, sondern der Tatsache, dass wir uns im Wahlkampf befinden.
Diese Woche war eine Woche der Heuchler – und zwar parteiübergreifend. Nehmen wir den SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann: Selbstgefällig inszeniert er seinen Auftritt in den großen Nachrichtensendungen. Endlich steht die SPD mal wieder im Rampenlicht nach so viel vergeigten Gelegenheiten. Und nun hören wir: Oppermann war schon immer ein Verfechter der Ehe für alle. Die SPD quasi die Speerspitze der Bewegung, das Thema Ehe für alle ein Herzensthema der Partei. Eine glatte Lüge.

Der SPD war das Thema lange nicht wichtig genug

Hätten die Sozialdemokraten tatsächlich so viel wert auf die Gleichstellung von Homosexuellen gelegt, hätte sie längst Gelegenheit gehabt, diese vehement voranzutreiben und auch durchzusetzen. Schon im Wahlkampfjahr 2013 hat sie versprochen die Ehe für alle in den Koalitionsvertrag mit aufzunehmen. Hat sie dann aber nicht gemacht. Dumm gelaufen. Dies sei "in der Koalition mit CDU/CSU […] leider nur schwer realisierbar", meinte damals Justizminister Heiko Maas. Dass man in Koalitionen Kompromisse eingehen muss – geschenkt. Das weiß jeder. Dann sollte man aber auch dazu stehen und sich ehrlich machen.
Fakt ist: Die Ehe für alle war der SPD damals eben nicht wichtig genug. Es gab andere Prioritäten.

Merkel wollte das Thema aus dem Wahlkampf haben

Wichtig ist das Thema erst jetzt geworden – irgendwie zufällig, fast aus heiterem Himmel. Alle Parteien, außer der CDU und der CSU, haben die Gleichbehandlung zur Bedingung für eine Koalition gemacht. Auch dumm gelaufen, dieses Mal für Angela Merkel. Sie hat das Thema zu lange ausgesessen. Jetzt hat sie gemerkt, dass sie keinen Koalitionspartner mehr bekommt, wenn sie es nicht selbst anpackt.
Zugegeben: Der Schachzug, die Frage mit einer Gewissensentscheidung zu verbinden, war klug. Aber auch sie gehört in die Reihe der Heuchler der Woche, denn es geht ihr nicht um Gleichberechtigung. Es geht ihr um Macht und darum, das Thema im Wahlkampf vom Tisch zu haben.

Auch Merkels "Nein" war geheuchelt

Dass Sie gestern bei der Abstimmung gegen die Ehe für alle votiert hat, ist die nächste Heuchelei: Sie will die erzkonservativen Wähler nicht verschrecken. Angela Merkel ist viel zu klug, um tatsächlich auch nur einem der Argumente zu folgen, die der konservative Flügel ihrer Partei vorbringt. Dass die Ehe nur zum dem Zweck der Fortpflanzung dient, zum Beispiel. Das Strampeln der Konservativen gegen den Strom der Zeit und gegen die Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung ist angesichts von so viel Falschheit fast schon wieder sympathisch.
Die zeigen wenigstens Rückgrat, könnte man meinen. Aber so ist es nicht. Anstatt ehrlich zu sagen, dass die Vorstellung von zwei Männern oder von zwei Frauen unter einer Bettdecke nicht mit den eigenen kulturellen, religiösen oder sonstigen Werten übereinstimmt, meldet Volker Kauder verfassungsrechtliche Bedenken an. Der nächste Heuchler.

Nur wenig Aufrechte im Bundestag

Eigentlich ist schon die Tatsache, dass es in der Frage eine Gewissensabstimmung brauchte, herabwürdigend. Warum dürfen Parlamentarier, wenn es ihr Gewissen befiehlt, Homosexuellen das Recht zur Ehe absprechen?
Mit Konfetti bejubeln die Fraktionsmitglieder von Bündnis 90/Die Grüne am 30.06.2017 im Bundestag in Berlin das Ergebnis nach der Abstimmung zu Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts. In der Mitte Volker Beck. Mit einer historischen Entscheidung hat der Bundestag am Freitag Ja zur Ehe für alle gesagt. 
Einer der wenigen Nicht-Heuchler: Volker Beck hat nach der erfolgreichen Abstimmung im Bundestag allen Grund zum Feiern.© dpa / picture alliance / Wolfgang Kumm
Wenn das aber der einzig gangbare Weg war, dann hätten ihn SPD und CDU/CSU längst einschlagen können. Der Grüne Volker Beck hat den Vorschlag bereits 2015 ausgearbeitet. Damals hatte bemerkenswerterweise das katholische Irland die Ehe für alle in einem Verfassungsreferendum beschlossen und Volker Beck nutzte die Gunst der Stunde, um sein Lebensthema auf die politische Agenda zu setzen. Er scheiterte. Nun darf er feiern - zusammen mit ein paar anderen Aufrechten, denen die Ehe für alle eine wirkliche Herzensangelegenheit war und ist.
Die Heuchler dieser Woche aber sollten wissen, dass sich der Wähler Unehrlichkeit merkt und sie bestraft. Politikverdrossenheit kommt nicht von ungefähr.
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