Editorial

    Ein genuines Radioprojekt − dank unserer Hörer

    Schwarzer Kopfhörer auf einer bunt gestrichenen Treppe
    Weniger "senden", mehr zuhören: Das haben wir aus dem Projekt "Was ich Dir noch sagen wollte" gelernt. © Matthieu A / Unsplash
    Von Tanja Runow · 31.05.2018
    Um es gleich zuzugeben, diese Serie war nie als interaktives Projekt geplant. Doch plötzlich nahm die Sache eine andere Wendung: "Was ich Dir noch sagen wollte" hatte wohl einen Nerv getroffen.
    Wie ist es, als Kind einer Mutter aufzuwachsen, die neben einem 42 Stundenjob im Schichtdienst noch eine Familie mit fünf Kindern zu versorgen hat? Warum schafft es ein Sohn nicht, seine krebskranke Mutter zu besuchen? Und wie behält man einen geliebten Bruder präsent, der sich vor einiger Zeit das Leben genommen hat? Wir wüssten es nicht, wenn diese Menschen es uns nicht erzählt hätten!

    Mitte 2017 kam die Autorin Margot Litten mit einer etwas ungewöhnlichen Serien-Idee zu mir. Sie wollte Menschen auf Friedhöfen ansprechen, um sie zu fragen, ob sie einem Verstorbenen gerne noch etwas sagen würden. Nicht gerade naheliegend, fand ich. Aber wer weiß. Tatsächlich begannen ihr wildfremde Menschen erstaunliche Dinge zu erzählen. Dinge, die sie ihren Eltern, Geschwistern oder Freunden zu Lebzeiten nicht hatten sagen können − aus den verschiedensten Gründen. Margot bot ihnen an, diese Nachrichten nun im Nachhinein zu formulieren und sie über das Radio abzuschicken.
    Wir sendeten einige Folgen dieser gesprochenen Botschaften, die Margot vor allem auf Friedhöfen aufgenommen hatte. Und was dann begann, hatte ich noch nicht erlebt. Schon nach der ersten Sendung trafen zahlreiche Mails und Facebook-Kommentare ein, in denen sich Hörer für die Reihe bedankten und von eigenen Erfahrungen berichteten. Margot hatte mit ihrer Idee offenbar einen Nerv getroffen. Und uns wurde schnell klar, dass wir viele der Geschichten, die in diesen Mails anklangen, ausführlicher hören wollten. Also riefen wir offiziell zur Beteiligung auf. On Air bei jeder Sendung, auf Facebook und auf unserer Homepage.

    Warum wir Pseudonyme verwenden

    Wir telefonierten mit Hörern, trafen einige persönlich und zeichneten acht neue Folgen auf. Als weitere Meldungen kamen, schufen wir zusätzlichen Platz dafür im Netz. Und ja, wir haben auch ausgewählt. Herausgelassen haben wir zum Beispiel Nachrichten, die sich nicht an Verstorbene richteten. Ein weiteres wichtiges Kriterium war der Schutz aller Beteiligten. Aus diesem Grund verwenden wir für die meisten Teilnehmer Pseudonyme.
    Eine Gesprächspartnerin hat uns gebeten, dass ihre Botschaft nur einmalig ausgestrahlt wird und nicht im Netz erscheint. Deshalb fehlt die Folge 5 auf unserer Seite. Wir zeigen auch nur selten und mit ausdrücklichem Einverständnis persönliche Bilder. Aber jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin spricht selbst! Manchmal zögerlich und suchend. Manchmal vehement und wütend.

    Nähe und Diskretion zugleich

    In diesem Sinne ist "Was ich Dir noch sagen wollte" ein genuines Radioprojekt, das die Stärken dieses Mediums gerade in der heutigen Zeit wieder deutlich werden lässt − on Air und im Netz. Das Radio wird zum "Kommunikationsapparat", der auch den Austausch der Hörer untereinander ermöglicht. Und der Nähe und Diskretion auf einzigartige Weise zu verbinden vermag. Gerade dadurch enstehen Räume, in denen sich auch über schwierige oder tabuisierte Themen sprechen lässt.
    Die Geschichten, von denen wir auf diese Weise erfahren haben, hätten wir niemals vom Schreibtisch aus recherchieren können. Und doch ereignen sie sich überall um uns herum. Sie lauern unter dem Alltäglichen, sie sind berührend und leider viel zu selten im Radio zu hören. Plötzlich haben wir sie gehört. Andere Stimmen, Erfahrungen, Sprechweisen.
    Wie gesagt, wir haben diesen Ausgang gar nicht vorausgesehen. Aber wir haben etwas dazugelernt: Weniger "senden". Mehr zuhören.
    Danke an alle Mitwirkenden!
    Tanja Runow, Redaktion "Echtzeit"