Ebola in Westafrika

Der Kampf ist noch nicht gewonnen

Von Alexander Göbel  · 15.01.2015
Auch wenn die Zahl der Neuinfektionen mancherorts sinkt, Ebola breitet sich in Westafrika weiter aus, auch in bisher nicht betroffenen Gebieten. Ein Rückblick auf die Entwicklungen seit dem Ausbruch der Krankheit Ende 2013.
Mitte Januar, 2015: "Bye Bye Ebola!" rufen die Menschen in Liberias Hauptstadt Monrovia. Eine Art Karnevalsumzug mit Musikkapellen und Tanzgruppen führt durch die engen Straßen, Tausende feiern, atmen auf, als hätten sie das tödliche Virus schon besiegt, als sei die Belagerung durch den unsichtbaren Feind zu Ende. Tatsächlich hat es in den vergangenen Tagen keine neuen Fälle in Monrovia gegeben, die Regierung hat angeordnet, dass die Schulen des Landes ab Februar wieder öffnen sollen – Liberias Kinder haben ein ganzes Schuljahr verloren.
Peter Piot, Mitentdecker des Ebola-Virus, sagt, es sei besorgniserregend, dass einige Regionen keine Verdachtsfälle mehr meldeten. Ein Zeichen für mangelnde Kontrolle: Ebola sei ein bewegliches Ziel. So sieht das auch Florian Westphal, Geschäftsführer der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen:
"Die Ebola-Krise ist bei weitem noch nicht vorbei und nicht überstanden. Dies ist wirklich erst der Fall, wenn es drei Wochen keine neuen Fälle mehr gibt. Und es gibt immer wieder neue Fälle (…) – solange diese Situation andauert, können wir uns nicht schon mal der Planung für den nächsten Ausbruch zuwenden, sondern müssen uns weiter mit diesem Ausbruch befassen."
Versagen von Gesundheitssystemen, Politik und internationaler Hilfe
In Liberia scheint sich die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, während aus dem Westen von Sierra Leone keine Besserung gemeldet wird. Die Lage in Guinea ist völlig unklar.
Es ist ein Kampf, den Guinea, Liberia und Sierra Leone, zwischenzeitlich auch Nigeria, Senegal und Mali, nun schon ein ganzes Jahr gegen Ebola führen. Das Jahr mit Ebola ist eine tragische Geschichte des Versagens der Gesundheitssysteme, der Politik, der rechtzeitigen internationalen Hilfe.
Guinea wird zum Ground Zero der Ebola-Seuche. In einer Hütte in einer kleinen Siedlung im Regenwald erkrankt an Weihnachten 2013 der einjährige Emile, er stirbt nach wenigen Tagen und gilt heute als mutmaßlicher "Patient Null". Binnen eines Monats stirbt Emiles Familie, das Drama nimmt seinen Lauf.
Ende März 2014: Ebola erreicht die Hauptstadt Conakry. Die Trauer steht Bernard Tinkiano ins Gesicht geschrieben. Der Bauer aus dem Süden Guineas kann es kaum im Worte fassen. Acht Familienmitglieder hat er verloren – auch seine schwangere Frau:
"Meine Familie wurde ausgelöscht. Auch meine Frau ist tot. Acht Menschen! Alle tot."
Zu diesem Zeitpunkt weiß in Guinea kaum jemand, wie ansteckend Ebola ist, geschweige denn, wie man sich davor schützt. Die Landesgrenzen sind kaum zu kontrollieren, die Menschen sind viel unterwegs, der Handel mit den Nachbarländern blüht. Das Virus reist immer mit. Trifft nicht nur auf bettelarme Staaten, sondern auch auf völlig unvorbereitete Politiker und Behörden. Verheerend, sagt der Ebola-Entdecker Peter Piot schon im Frühjahr:
"Dies ist eine Epidemie, die durch marode Gesundheitssysteme verschuldet wurde. Krankenschwestern und Ärzte sterben als erstes, dann die Angehörigen der Opfer. Das fehlende Vertrauen in den Gesundheitssektor - das ist mindestens so gefährlich wie das Virus selbst!"
Weltgemeinschaft reagierte zu spät
April 2014: Das Ebola-Virus hat nach Guinea nun auch Liberia und Sierra Leone erreicht. Trotzdem wird es noch immer unterschätzt. Obwohl die erfahrene Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen bereits zu diesem Zeitpunkt eindringlich vor dem unsichtbaren Feind warnt. Anja Wolz, Notfallkoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen im Osten von Sierra Leone:
"Normalerweise versuchen wir, immer einen Schritt schneller zu sein als das Ebola-Virus. Hier kommen wir aber einfach viel zu spät. In einem einzigen Dorf haben wir über 40 Ebola-Infizierte entdeckt. Es ist unglaublich, ich habe so etwas noch nie erlebt. Wir brauchen dringend mehr Experten, Epidemiologen, ausgebildete Sanitäter!"
Doch der Hilferuf verhallt so gut wie ungehört. Bis die Weltgemeinschaft endlich aufwacht, ist es für einen schnellen Erfolg zu spät. Erst Monate später, im August, spricht die WHO von einem "Internationalen Gesundheitsnotfall". Die Hilfe kommt erst richtig in Fahrt, als auch Europäer und Amerikaner in Westafrika an Ebola erkranken und nach Hause geflogen werden. Plötzlich werden Milliarden Dollar zugesagt, bald bauen Soldaten Behandlungszentren auf, auch aus Deutschland kommen schließlich freiwillige Helfer.
Die Herausforderungen bleiben enorm. Remy Lamah, Gesundheitsminister von Guinea:
"Erklären Sie mal einer Bevölkerung, die weder lesen noch schreiben kann, dass es für diese Ebola keine Medizin gibt, dass man aber trotzdem die Kranken mitnehmen muss, um sie zu isolieren. Dann sagen die Angehörigen, warum sollen wir unsere Kranken weggeben, sie einsperren lassen, wenn sie doch in der Isolierstation sterben? Deshalb kümmern sie sich lieber selbst oder gehen zu einem traditionellen Heiler."
Doch Ebola ist kein Fluch, der sich mit höheren Mächten besiegen ließe. Jeder Milliliter Speichel enthält 100 Milliarden Viren – Ebola, vermutlich von Fledermäusen übertragen, vermehrt sich in den Körperflüssigkeiten rasend schnell – und in Westafrika handelt es sich nach Laboruntersuchungen auch noch um den Zaire-Typ, einen besonders aggressiven Killer, der in 90 von 100 Fällen tötet. Doch viele Menschen wissen nicht, dass Ebola überall lauert – in Blut, Schweiß, Tränen, Urin, Muttermilch. Sie wissen nicht, dass Infizierte das Virus bis zu drei Wochen in sich tragen, bevor die Krankheit ausbricht – trügerisch zunächst, wie eine Grippe oder Malaria.
Ein Student schleppt Ebola in den Senegal ein, kann aber später die Isolierstation in Dakar geheilt verlassen. Das Sahel-Land Mali steht zwischenzeitlich nach dem Tod eines kleinen Mädchens und eines Imams vor einer Katastrophe – nur durch Quarantäne und Hygienemaßnahmen kann ein Ebola-Ausbruch verhindert werden. Auch Nigeria hat großes Glück: Ein Mediziner aus Liberia reist mit dem Virus nach Nigeria. Dort sterben im Sommer in Lagos mehrere Menschen, Tote gibt es auch in der Hafenstadt Port Harcourt. Im Herbst, als Nigeria sich schließlich Ebola-frei erklärt, werden es acht Ebola-Opfer sein. Wie durch ein Wunder breitet sich die Krankheit in Afrikas bevölkerungsreichstem Land nicht weiter aus.
Ebola-Ausbruch im ländlichen Jenewonde im Nordwesten Liberias
Doch anderswo bleibt die Lage dramatisch. Oktober 2014: Mit Sirene auf dem Dach rollt ein rostiger, weißer Geländewagen über eine matschige Lehmpiste – und hält mitten auf dem Dorfplatz von Jenewonde. Die kleine Gemeinde liegt im Nordwesten von Liberia, versteckt im Regenwald, an der Grenze zu Sierra Leone.
Sechs Männer springen aus dem Auto. Sie ziehen weiße Plastikkittel an, streifen Skibrillen und Gummihandschuhe über, sprühen überall Desinfektionsmittel. Es sind freiwillige Helfer aus der Hauptstadt Monrovia, seit zwei Wochen werden sie erwartet.
Eine klagende Frau in einem Dorf in Liberia, hinter ihr sitzen ein Dutzend Menschen
Eine Frau in Jenewonde beklagt sich darüber, dass sie in Quarantäne bleiben muss.© picture alliance / dpa / Ahmed Jallanzo
Jenewonde liegt im Distrikt Cape Mount County. Der war bislang Ebola-frei. Doch dann brachte ein Lehrer seine Ebola-kranke Tochter aus Monrovia zum Sterben hierher – binnen kürzester Zeit verwandelte sich die Gegend in ein neues Epizentrum des Todes. Juma Mansaray hat ihre Mutter und ihre Großmutter verloren - an nur einem Tag.
"Ich konnte nur zusehen, wie es ihnen von heute auf morgen immer schlechter ging. Sie mussten sich übergeben und verloren Blut. Die Nachbarn haben mir verboten, mich weiter um sie zu kümmern. Jetzt sind sie tot, und ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich kann nicht mehr zum Markt gehen, überall schicken mich die Leute weg – niemand will mehr etwas mit mir zu tun haben. Ich fühle mich, als wäre ich verflucht."
Nebenan schleppen die Helfer aus der Hauptstadt zwei Leichen in Plastiksäcken aus einer Lehmhütte. Legen sie auf die Pritsche des Geländewagens und fahren mit ihnen in den Wald. Dort übergeben sie die Leichen an die Dorfbewohner. Die müssen ihre hochansteckenden Toten selbst begraben, dafür haben sie Schutzanzüge bekommen. Abdulai Kamara hilft beim Verscharren der Ebola-Leichen. Die Helfer aus Monrovia müssen wieder zurück.
Der Fall Jenewonde zeigt: Die ländlichen, kaum entwickelten Regionen sind für das Virus extrem anfällig. Ein einziger Kranker, nicht isoliert, meist falsch oder gar nicht behandelt, kann eine extrem schnelle und tödliche Kettenreaktion auslösen. Genau davor hat die Organisation "Ärzte ohne Grenzen" immer gewarnt: In Liberia und auch in Sierra Leone und Guinea lag der Schwerpunkt der internationalen Hilfe bislang auf den Hauptstädten. Die Vorsorge im lange Zeit weniger betroffenen Landesinneren wurde vernachlässigt. Mit fatalen Folgen.
In Jenewonde blieb den Menschen nichts anderes übrig, als selbst ein Beerdigungsteam zu gründen. Der Dorfbewohner James Jallah:
"Alle haben Angst vor Ebola. Aber wo sind die Ärzte? Die Pfleger? Es gibt hier keine Gesundheitsversorgung, wer krank ist, kann nirgendwo hin – bleibt zu Hause und steckt andere Menschen an. Wenn die Regierung uns nicht zur Hilfe kommt, werden wir alle sterben. Dann ist hier Schluss, dann wird es hier kein Leben mehr geben!"
Massenbeerdigung in Kono, im Osten von Sierra Leone
Ende November 2014: Auch wenn in manchen Gebieten die Zahl der Neuinfektionen langsam zurückgeht und mehr Menschen als bisher Ebola überleben: Von Entwarnung kann keine Rede sein.
Tief im Osten von Sierra Leone liegt die Stadt Kono. Hier gibt es kaum Straßen, kaum Strom. Früher wurden hier die sogenannten Blutdiamanten geschürft, reich geworden ist Kono davon nicht. Hier, mitten im Busch, macht ein Einsatzteam der Weltgesundheitsorganisation WHO eine grauenhafte Entdeckung.
In der einzigen Krankenstation des Ortes liegen gestapelte Ebola-Leichen. Die Helfer dort sind am Rande ihrer Kräfte. In elf Tagen, berichten sie, haben sie 87 Tote selbst beerdigt, aber sie kamen nicht mehr nach mit dem Beerdigen. Dabei haben alle mitgeholfen – selbst Putzfrauen, Hausmeister und der Fahrer des einzigen Krankenwagens. Viele Helfer haben sich selbst angesteckt.
Tote Körper seien hochansteckend, sagt David Don Parsons. Er leitet ein Beerdigungsteam beim Roten Kreuz von Sierra Leone. Das Wichtigste sei es jetzt, die Leichen ordentlich einzusprühen und zu desinfizieren.
Allein in der Woche vor der Ankunft der WHO, heißt es in einem Bericht, seien in Kono 25 Patienten gestorben. Offiziell registriert wurden in dieser entlegenen Region seit Beginn der Epidemie im März insgesamt aber nur 119 Infektionen. Das bedeutet: Ein großer Teil der Ebola-Infektionen wird gar nicht erst bekannt.
Die Gründe sind so banal wie erschreckend. Es gibt zu wenige Fahrzeuge, zu wenige gut ausgerüstete Teams, die auf dem Land die Siedlungen abfahren und nach Ebola-Herden suchen können. Weder die Helfer noch die Menschen in den Dörfern können die Kosten für das Handy bezahlen. Gerade wurde in Freetown ein Mann festgenommen, der benutzte Schutzanzüge per Hand reinigte und für viel Geld wieder verkaufte.
Andere Krankheiten wie Malaria und Cholera nicht mehr behandelt
Dezember 2014. Die WHO meldet: In Liberia breite sich die Seuche nicht mehr flächendeckend aus. Ärzte ohne Grenzen kritisieren, dass das deutsche Behandlungszentrum, aufgebaut in Liberias Hauptstadt Monrovia von Bundeswehr und Deutschem Rotem Kreuz und eingeweiht vom liberianischen Gesundheitsministerium, eigentlich zu spät komme. Die Betten stünden leer – und würden anderswo gebraucht.
Die Vereinten Nationen rufen die Geberstaaten auf, den von Ebola am schlimmsten betroffenen Staaten die Schulden zu erlassen. Es fehle der UNO nach eigenen Angaben an Mitteln, um alle notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung von Ebola einzusetzen. Bis Ende Dezember gingen bei der WHO rund 215 Millionen Dollar für die Ebola-Bekämpfung ein. Nötig wären möglicherweise etwa vier Milliarden Dollar.
Die wirtschaftlichen Folgen von Ebola sind in Liberia, Guinea und Sierra Leone noch gar nicht absehbar. Elizabeth Byrs vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen fürchtet:
"Die Versorgung mit Nahrungsmitteln ist gefährdet. Die Preise steigen massiv, weil der Flugverkehr eingeschränkt ist, weil die Bauern nicht mehr auf die Felder gehen, weil die Ernte nicht eingefahren werden kann, und auch, weil viele junge Leute an Ebola gestorben sind, die ihre Familien normalerweise finanziell unterstützen. Jetzt fehlt schlicht das Geld, um Essen zu kaufen."
Ab Februar will die WHO in den Ebola-Gebieten Impfstoffe an Patienten testen. Doch bis Medikamente helfen, werden noch viele Menschen sterben – an Ebola oder an den Folgen: Weil die Gesundheitssysteme zusammengebrochen sind, werden Krankheiten wie Malaria oder Cholera nicht mehr behandelt. Frauen sterben bei Geburten, weil Hebammen aus Angst vor Ebola die Arbeit verweigern. Da werden Krankenhäuser wie die deutsche "Ebola Treatment Unit" in Monrovia zum Einsatz kommen.
Ein Jahr nach dem Tod des kleinen Emile in einer Hütte im Busch von Guinea ist der unsichtbare Gegner Ebola noch nicht besiegt. Aber der schwedische Epidemiologe Hans Rosling will Mut machen.
"We are going to win. Within an year." - "Wir sind sicher: Wir werden Ebola besiegen. Dieses Jahr müssen wir es schaffen."
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