Durch ärztliche Hand sterben

Von Andrea Westhoff · 01.04.2012
In den Niederlanden gab es bereits seit den 60er-Jahren eine öffentliche Debatte um aktive Sterbehilfe durch Ärzte. Schließlich verabschiedete das niederländische Parlament das erste europäische Gesetz zur aktiven Sterbehilfe, welches am 1. April 2002 inkraft trat.
"Wir denken, dass ein Patient immer das Recht hat, selber zu sagen: Jetzt ist es genügend. Und wir denken, dass es unsere Aufgabe ist, auch als Ärzte, nicht nur Patienten am Leben zu erhalten, aber auch, wenn es am Schlimmsten kommt, die Möglichkeit zu haben, das Sterben zu begleiten."

Wie Pieter Admiraal dachten laut Umfragen mehr als 80 Prozent der niederländischen Ärzte, viele praktizierten bereits aktive Sterbehilfe. Und auch in der Bevölkerung fand die "Tötung auf Verlangen" breite Zustimmung. So war es nur noch der letzte Schritt, als 2001 das niederländische Parlament endgültig ein entsprechendes Gesetz verabschiedete. Eine komplexe Regelung, wie der Mannheimer Medizinrechtler Jochen Taupitz erläutert. Die aktive Sterbehilfe bleibt auch in Holland illegal, aber der Arzt wird nicht bestraft, wenn er bestimmte Bedingungen einhält:

"Er muss – wie es das Gesetz formuliert – 'mit äußerster Sorgfalt' handeln, und unter dieser Sorgfalt versteht man, dass die Bitte des Patienten freiwillig sein muss, dass sein Leiden unerträglich sein muss. Der Arzt muss gemeinsam mit dem Patienten zu der Überzeugung gelangen, dass nur die Tötung wirklich einen Ausweg liefert und es muss ein zweiter Arzt hinzugezogen werden, der alles dieses bestätigt. Und er muss nachträglich dann noch das Ganze einer unabhängigen Kommission melden, die das überprüft. Und falls die Bedingungen nicht erfüllt sind, die Staatsanwaltschaft einschaltet."

Dennoch gab es auch massive Proteste gegen die weltweit erste Legalisierung der aktiven Sterbehilfe. Besonders schockierend fanden es viele, dass nach diesem Gesetz schon 16-Jährige – ohne Zustimmung der Eltern – mit ärztlicher Hilfe ihr Leben beenden dürfen. In Deutschland betonten vor allem Ärzteorganisationen mit Blick auf die NS-Vergangenheit, dass das Töten nicht zu ihrem Handwerk gehöre. Und Vertreter der Hospizbewegung wiesen daraufhin, dass der Wunsch Schwerkranker nach Sterbehilfe eher mit der Angst vor Schmerzen und Einsamkeit zu tun habe. Tatsächlich wollten Patienten lieber "an" der Hand als "durch" die Hand eines anderen ihr Leben beenden. Hospize gibt es auch in den Niederlanden. Aber Schmerz, betont Pieter Admiraal, sei, jedenfalls in seinem Land, gar nicht das Problem:

"Die Hauptargumente, weswegen ein Patient um Euthanasie fragt, das ist erstens, dass er das Leiden als absolut menschenunwürdig erfährt. Das Zweite ist, dass es ist viel qualvoller, so ganz zwecklos dahin zu vegetieren."

Mit dem Begriff "Euthanasie", der einen in Deutschland immer noch zusammenzucken lässt, haben die Holländer kein Problem. Dort steht er eben nicht für ein Vernichtungsprogramm, sondern meint einfach im griechischen Wortsinn den "schönen", und das heißt vor allem selbstbestimmten, Tod.

Seit das Gesetz am 1. April 2002 inkraft trat, haben jährlich zwei- bis dreitausend Menschen aktive Sterbehilfe durch Ärzte bekommen. Die Zahl nimmt eher ab – es gab also keinen "ethischen Dammbruch", wie Kritiker vor zehn Jahren befürchteten. Allerdings haben inzwischen auch andere europäische Länder recht weitgehende Sterbehilfe-Regelungen. In Deutschland ist das "Töten auf Verlangen" zwar weiterhin verboten. Aber Patienten können rechtlich bindend verfügen, dass sie keine lebensverlängernden Maßnahmen wollen oder Schmerzmittel zum Beispiel in einer so hohen Dosierung bekommen, die ihr Leben "möglicherweise verkürzt".

In den Niederlanden war das umstrittene Sterbehilfegesetz jedoch nicht der Höhepunkt, sondern eher ein Anfang, befürchtet Jochen Taupitz, der auch Mitglied im Deutschen Ethikrat ist. Beispielsweise kündigte die "Niederländische Vereinigung für ein freiwilliges Lebensende" an, noch in diesem Jahr ambulante Sterbehilfe-Teams aufstellen zu wollen – für alle diejenigen, die bei ihrem behandelnden Arzt keine Unterstützung für ihren Wunsch finden:

"Wenn man von vornherein am Hausarzt vorbei oder am behandelnden Arzt vorbei da ein Tötungskommando, sag ich mal ganz drastisch, sich ins Haus holt, um in dieser Weise aktive Sterbehilfe zu bekommen, also das halte ich für sehr bedenklich."

Die gleiche Vereinigung hatte auch schon bald nach dem Sterbehilfegesetz von 2002 einen gesetzlichen Anspruch auf eine "Suizidpille" für alle Niederländer jenseits der 70 gefordert, egal ob krank oder gesund. Und es gibt bereits Parlamentarier, die das Ansinnen unterstützen:

"Also, da rutscht das schon langsam immer weiter in eine Richtung, dass auch ein Druck auf die Menschen ausgeübt wird: Jetzt macht doch endlich Schluss oder lasst Schluss machen. Ich sehe darin eine große Gefahr."