Drohungen aus Nordkorea

Eun-Jeung Lee im Gespräch mit Joachim Scholl · 03.04.2013
Die nordkoreanische Regierung lässt südkoreanische Arbeiter nicht mehr in die gemeinsame Wirtschaftszone reisen. Bis auf die Wortwahl sei es eigentlich dasselbe, "was wir seit Jahrzehnten hören", sagt die Politologin Eun-Jeung Lee, die aus Südkorea stammt.
Joachim Scholl: Seit Wochen ist der Ton auf der koreanischen Halbinsel ungewöhnlich scharf: Auf extrem aggressive Weise macht Nordkorea Schlagzeilen, mit der Kündigung des Waffenstillstands, mit der Drohung eines atomaren Erstschlags gegenüber den USA, mit der Ausrufung des Kriegszustands, jetzt heute will Nordkorea auch die Sonderhandelszone Kaesong sperren und eventuell schließen.

Südkorea hat entschieden reagiert, eine starke und sofortige Vergeltung angekündigt, sollte der Norden irgendeine Provokation vom Zaun brechen. Im Studio begrüße ich nun Eun-Jeung Lee. Sie kommt aus Südkorea, ist Direktorin des Instituts für Koreastudien an der Freien Universität Berlin, guten Tag, Frau Lee.

Eun-Jeung Lee: Guten Tag, Herr Scholl!

Scholl: Seit Jahrzehnten leben die Koreaner ja mit diesen Machtgebärden vonseiten Nordkoreas. Auch für Sie, Frau Lee, ist das vermutlich politischer Alltag, seitdem Sie denken können. Ist diese Entwicklung jetzt der letzten Tage und Wochen doch eine neue Dimension, die Ihnen persönlich Sorgen, ja, vielleicht sogar Angst macht?

Lee: Eigentlich nicht - gar nicht. Na ja, die Wortwahl der nordkoreanischen Regierung ist stärker geworden, aber vom Inhalt her ist es eigentlich dasselbe, was wir seit Jahrzehnten hören, und von daher überhaupt keine Angst, eigentlich.

Scholl: Heute Vormittag hat hier in der "Ortszeit" unsere koreanische Kollegin Miriam Rossius auch erzählt, dass ihre Eltern angerufen haben aus Korea und gesagt haben: Ach, macht euch mal gar keine Sorgen. Sie haben auch Familie in Südkorea - das ist Alltag, trotzdem, und man geht weiterhin seinen Geschäften nach und kümmert sich nicht darum? Das ist schwer vorstellbar für uns, bei so einer Tonlage.

Lee: Ja, vielleicht ein Beispiel: Heute Morgen, nach der Bekanntgabe von der nordkoreanischen Maßnahme gegenüber dem Kaesong-Industriekomplex habe ich dann im koreanischen Internet eine Suchmaschine laufen lassen, und wie bei Twitter und solchen Networks die Klickzahl für diese Nachricht war, und ob diese Nachrichten überhaupt auf der Topliste steht. Nein, die steht auf dem neunten Platz von Schlagwörtern, was überhaupt gesucht wurde. Das zeigt auch, dass man ganz gelassen drauf reagiert.

Scholl: Die Politik, die Präsidentin Park hat ja sehr entschlossen, sehr entschieden reagiert. Man stellt sich ja so vor, dass man sich trotzdem in Nordkorea angesichts einer nordkoreanischen Atomwaffen und einer der stärksten Armeen der Welt von einer Million in irgendeiner Weise doch merkwürdig fühlen muss, dass hier also sozusagen ein militärischer Popanz ist, das ist doch auch nicht nur sozusagen dumme Jungenspiele, wie heute in der "BILD"-Zeitung stand, eines Führers, der aussieht wie 16 und mit seinem Spielzeug dumm hantiert, sondern das ist doch auch eine reale Gefahr.

Lee: Also, ein Spiel von einem dummen Jungen ist es sicher nicht, das nimmt man in Südkorea auch wahr, aber die nordkoreanische Armee ist längst nicht die stärkste Armee der Welt.

Scholl: Eine der Größten.

Lee: Eine der Größten, von den Zahlen her, ja, aber wenn Sie sehen, was der Verteidigungsminister von Südkorea auch vor kurzem gesagt hat, das nordkoreanische Militär, von deren Stärke her, wenn es drauf ankommen sollte, würden sie nicht fünf Tage überleben. Also so ist die Einstellung von den Südkoreanern.

Scholl: 1953 wurde die Teilung politisch wie militärisch zementiert in Korea. Südkorea hat sich zu einer High-Tech-Wirtschaftsmacht entwickelt mit dem zehnthöchsten Bruttosozialprodukt der Welt, Nordkorea ist ein von aller Welt völlig abgeschottetes Land, in dem die Bevölkerung von jeglicher Moderne ferngehalten wird. Wie ist das grundsätzlich, Frau Lee, betrachtet man im Süden den Norden überhaupt noch als Bruderland?

Lee: Das schon. Also, diese Diskrepanz zwischen Nord- und Südkorea ist darauf zurückzuführen, dass Südkorea seit 80er-Jahren kontinuierliche Entwicklung erlebt hat, während Nordkorea seit dem Zusammenbruch des Ostblocks sich in die Isolation getrieben hat. Aber so, aus der Sicht der südkoreanischen Bevölkerung ist nordkoreanischer Staatsbürger immer noch …

Scholl: … ein Koreaner.

Lee: … Koreaner. Es ist nicht zwei Nationen.

Scholl: Wie stehen die jungen Südkoreaner zu diesem fremden Norden? Sie sind immer mit dieser Situation aufgewachsen, man kann nicht hinreisen, Besuche wurden zwar erlaubt zwischen Familien, aber auch das ist, glaube ich, mittlerweile wieder hinfällig, diese Entwicklung. Für einen jüngeren Koreaner muss doch dieses Land im Norden wie aus der Steinzeit wirken. Ist das so?

Lee: Natürlich ist es ein fremdes Land geworden, also die Generation, die Korea als eine Nation erlebt hat, die sterben jetzt aus. Und für die jüngere Generation, die unter 30 sind, das ist richtig, ganz fremd. Und das sieht man auch in deren Reaktion – also man muss Koreaner, je nach Generation, die unter 30 sind und zwischen 30 und 50 oder die Generation, die den Koreakrieg erlebt haben, deren Reaktion auf Nordkorea unterscheidet sich ganz massiv.

Scholl: Südkorea und der Norden - Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit der südkoreanischen Politologin Eun-Jeung Lee. Als 1989, Frau Lee, West- und Ostdeutschland wiedervereinigt wurde, hat man diesen Prozess in Südkorea ja sehr aufmerksam betrachtet, gewissermaßen als mögliches Vorbild für das eigene Land, wenn es auch vielleicht in ferner Zukunft stattfinden könnte.

Wie präsent ist diese Hoffnung auf ein geeintes Korea eigentlich überhaupt noch in der südkoreanischen Gesellschaft? Sie sagten schon, unter den Generationen ist es schon sehr verschieden, aber inwieweit ist in der Öffentlichkeit überhaupt noch von einem möglichen vereinten Korea die Rede?

Lee: Als Traum redet man schon von einer Wiedervereinigung, aber wie realistisch das ist, oder wie schwierig die Wiedervereinigung zur realisieren ist, das hat man durch die Erfahrung von Deutschland richtig wahrgenommen. Das heißt, ‘89, wie Sie sagten, herrschte auch große Euphorie in Korea, also in Südkorea, für die Wiedervereinigung, dann hat man so Mitte 90er-Jahre die Erfahrung, was man in Deutschland durchgemacht hat, auch ganz genau studiert, und dann ist auch die Euphorie zurückgegangen. Das heißt, wir schaffen das nicht, denn Deutschland hat ja so viele Schwierigkeiten, dann werden wir wahrscheinlich noch mehr die Schwierigkeit haben, so war die Devise. Und dadurch ist die Euphorie sehr stark zurückgegangen, aber mittlerweile wiedergekommen. Na ja, Deutschland hat ja in 20 Jahren jetzt doch ein erfolgreiches Land geschaffen, wäre doch eine Möglichkeit für uns, also so ändert sich auch die Stimmung in Südkorea selber.

Scholl: Wie weit ist es aber auch noch vielleicht ein Thema im politischen Diskurs? Also nur partiell lässt sich die deutsche Situation ja mit der koreanischen vergleichen. Aber wenn ich mich erinnere, für die jüngeren Deutschen der 1970er- und 80er-Jahre war das Thema Wiedervereinigung eigentlich ein reaktionäres Thema, ein konservatives Thema, das nur von der CDU besetzt wurde. Das änderte sich dann schlagartig 1989. Sehen Sie in irgendeiner Form die Möglichkeit einer solchen Entwicklung?

Lee: Nein, es ist umgekehrt in Korea, eine lange Zeit war die Wiedervereinigung in Südkorea ein Thema von den Progressiven, nicht von den Konservativen. Also die Konservativen haben ja ein Feindbild gehabt, während die Progressiven Dissidentenbewegungen oder von den Studentenlagern eher ein Lied – unser innigster Wunsch ist die Wiedervereinigung – gesungen hatte.

Und das war Anfang der 90er-Jahre immer noch der Fall, nur von dieser großen Wiedervereinigungsbewegung, da nimmt man jetzt langsam mehr Abstand. Man kann schon den Wandel sehen, aber die politischen Lager oder Charakterisierung, also diese Lagerbildung ist jetzt ganz anders verlaufen als in Deutschland.

Scholl: Und für eine jüngere Generation spielt dieses Einheitsdenken wahrscheinlich gar keine Rolle mehr?

Lee: Also während der 80er-Jahre schon, das war sehr groß, noch in den 90er-Jahren, kann man auch sagen, es gab starke Wiedervereinigungsbewegungen, unter den Studenten, aber jetzt beobachte ich, dass es wirklich zurückgeht. Es gibt unter den Schülern und Studenten noch kleinere Gruppen, aber die Mehrheit hat kein Interesse.

Scholl: Der krasseste Unterschied zwischen Süden und Norden besteht ja wohl auch in der alltäglichen Lebenssituation: Südkorea ist ein Wohlstandsland, in Nordkorea gibt es Hungersnot. Wie groß ist eigentlich das Mitgefühl, wird das in der Öffentlichkeit thematisiert, dass Koreaner Hunger leiden?

Lee: Also wenn Flüchtlinge aus Nordkorea über ihr Leben berichten, dann wird auch es schon thematisiert, oder je nach dem, welche Nachrichten – also man beobachtet auch mit Sorge die Lage in Nordkorea, vor allem über das Leben, und ab und zu kommen ja auch Nachrichten, also Informationen über China und wie das Leben dort wirklich aussehen soll, und dann ist es schon ein Thema.

Also man kann nicht ignorieren, auch wenn das Interesse für die Wiedervereinigung zurückgegangen ist. Also es ist nicht einfach Mitleid, man kann nichts sagen, sondern wir haben doch eine Verantwortung, das wird immer wieder thematisiert.

Scholl: Wie ist Ihre persönliche Überzeugung, auch als Politologin, Frau Lee, wird es einmal ein vereintes Korea geben?

Lee: Ich hoffe es!

Scholl: Dankeschön! Wie blickt Südkorea nach Norden - das war Eun-Jeung Lee, sie leitet das Institut für Koreastudien an der Freien Universität Berlin. Herzlichen Dank, Frau Lee, für Ihren Besuch und das Gespräch!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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