Drogenabhängigkeit von Kindern in Afghanistan "nimmt massiv zu"

04.05.2012
Die Drogenproduktion in Afghanistan verzeichnet noch immer enorme Zuwachsraten. Inzwischen gibt es auch in der eigenen Bevölkerung ein massives Suchtproblem, und viele Bauern sehen keine Alternative zum Mohnanbau. Beratung und Aussteigerprogramme laufen nur langsam an.
Katrin Heise: Der Schlafmohnanbau ist laut einem UN-Bericht vom Ende vergangenen Jahres um 61 Prozent gestiegen, der Wert des produzierten Opiums um 133 Prozent auf 1,4 Milliarden US-Dollar; 130.000 Hektar Mohnanbau – das ist 1,5 Mal Berlin oder das halbe Saarland, um es sich einfach mal so als Strecke vorzustellen. Opiumbauern, sicher die letzten in der Kette, die am Mohn verdienen, aber auch Opiumbauern haben Rekordumsätze.

Wird Afghanistan vom Drogenanbau als sicherer Einnahmequelle wegkommen? Mitte Mai trifft sich die NATO in Chicago, um sich verstärkt dieses Ziel auch in den Blick zu nehmen. Deutschlandradio-Chefkorrespondent Stephan Detjen konnte sich gerade auf einer Afghanistan-Reise ein Bild vom Kampf gegen Drogenproduktion machen. Ich grüße Sie, Herr Detjen!

Stephan Detjen: Hallo, Frau Heise!

Heise: Ich habe jetzt vom Kampf gegen Drogenanbau gesprochen. Zurzeit ist ja soweit ich weiß die Jahreszeit der Zerstörung. Was wird da genau gemacht?

Detjen: Das ist in der Tat so. Also im Augenblick ist die Saison, wo die afghanische Armee auszieht und Drogenfelder in Afghanistan zerstört. Die gehen also in Gebiete, die sie ausgemacht haben, mithilfe von Satellitenaufklärung, mit Unterstützung der Vereinten Nationen, des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Kriminalitätsbekämpfung, UNODC: Da geht man in die Regionen, in denen besonders viel Opium angebaut wird, sichert die ab und pflügt dann Felder um, auf denen Opium angebaut worden ist – eine ganz gefährliche Tätigkeit, ein ganz gefährlicher Kampf gegen die Drogen: Die Truppen, die Kräfte, die das machen, geraten immer wieder in Hinterhalte, es liegen Minen, die versteckt werden von den Anbauern der Drogen, von den Taliban, die von dem Drogenhandel mit profitieren in diesen Feldern, sodass Traktoren, die da zum Einsatz kommen, dann einfach in die Luft fliegen, und in den vergangenen Tagen und Wochen dort über 50 Soldaten und Sicherheitskräfte der Drogenbekämpfungsagenturen ihr Leben verloren haben.

Heise: Und wenn man dann noch hört, dass also der Drogenanbau wächst, also der Schlafmohnanbau wächst, dann ist das ja offenbar eine ziemlich erfolglose Mission.

Detjen: Es wirkt so. Es ist jedenfalls eine ganz schwierige Tätigkeit, diesen Drogenanbau, der in Afghanistan in den vergangenen Jahren im Zusammenhang mit den kriegerischen Auseinandersetzungen dort explosionsartig angewachsen ist, das zurückzudrängen. Die Anbauflächen haben sich in den letzten Jahren immer wieder ausgeweitet, die Preise sind gestiegen, die Versuche, wenigstens bestimmte Provinzen drogenfrei zu halten, sind von zwiespältigem Erfolg. Im vergangenen Jahr hat man gesagt, 17 Provinzen in Afghanistan sind drogenfrei, das heißt nach der offiziellen Berechnung, dass dort trotzdem immer noch bis zu 1.000 Hektar Opium angebaut werden. Man geht davon aus, dass im nächsten Jahr noch mal zwei Provinzen wegfallen werden und nicht mehr unter diese Kategorisierung als drogenfrei fallen werden.

Heise: Was passiert eigentlich mit den Bauern? Werden die bestraft, wenn die Mohn anbauen, oder gibt es umgekehrt einen Anreiz zum Anbau von anderen Früchten?

Detjen: Das ist natürlich ein Lerneffekt, den man weltweit natürlich in der Drogenbekämpfung schon gesammelt hat: Es nützt nichts, einfach nur die Felder umzupflügen, die Mohnfelder zu zerstören. Das sind Erfahrungen, die auch die Amerikaner bei ihrer Bekämpfung des Drogenanbaus in Südamerika schon gewonnen haben. Man muss diesen Bauern Alternativen bieten, denn hier geht es um bittere Armut, in Afghanistan, um Menschen, die häufig seit zehn, 20 Jahren mit ihren Familien vom Drogenanbau leben, denen eben Alternativen zu bieten. Die Internationale Gemeinschaft hat das anerkannt. Es gibt aufwändige Programme, sogenannte Alternative-Livelihood-Programme, also alternative Lebensformen anzubieten, Früchte, Zwiebeln werden da angeboten als alternative Anbauquellen, Safran, ein wertvolles Gemüse. Denn man muss sich ja vorstellen, das geschieht zum Teil in entlegenen, bergigen Regionen im Süden Afghanistans, die schwer zugänglich sind. Da hängen dann etwa Transportfragen hintenan. Ein Bauer, der Opium anbaut, hat damit eine Pflanze, die relativ leicht zu bewirtschaften ist, er gewinnt ein Produkt, das gut lagerfähig ist, das in, wenn man das Rohopium gewinnt, in kleinen Portionen mit Eseln in den Bergen transportiert sein kann. Wenn man Gemüse etwa anbaut, dann braucht man irgendwo in der Nähe einen Markt, dann braucht man möglicherweise einen Lastwagen, dann braucht man eine Straße, auf der man fahren kann, um dann auf diese Art und Weise seinen Lebensunterhalt sich zu erwerben.

Heise: Das heißt, da hängt viel dran: Wenn man da tatsächlich Überzeugungsarbeit leisten will, muss man sehr viel weiter gehen. Das kommt doch sicherlich auch zum Beispiel wieder auf die einzelnen Distrikt-Gouverneure an: Auch die müssen überzeugt werden, oder? Und da sind wir dann beim Thema Korruption ganz schnell.

Detjen: Ja, wir wissen, dass Afghanistan von dieser Drogenwirtschaft inzwischen durchdrungen ist, nicht nur auf der Ebene der einfachen Bauern, die dann in Zusammenarbeit oder auf Druck der Taliban Drogen anbauen und damit früher den Waffenbedarf der Taliban gedeckt haben, sondern inzwischen ist das aus einer Kriegswirtschaft in eine mafiöse Wirtschaft des Drogenhandels hineingewachsen, mit den Verästelungen der Drogenmafia in die Verwaltungen, in die Regierungsspitzen hinein. Wenn man in Afghanistan mit Leuten spricht, wird das immer wieder anerkannt. Auch Präsident Karsai erkennt das inzwischen an. Man weiß, dass sein Bruder, der im vergangenen Jahr bei einem Anschlag ums Leben kam, selber wahrscheinlich intensiv in den Drogenhandel verstrickt gewesen ist. Aber in der Tat: Die Korruption – das ist eines der ganz großen Probleme, und man kann davon ausgehen, dass ein erheblicher Teil der Hilfsgelder, die gezahlt werden, die auch als Belohnungen für Verwaltungen ausgewiesen werden, dass die in die Taschen von Gouverneuren, von Distrikts-Hauptleuten in Afghanistan gehen, die eben bisher auch von diesem illegalen Drogenhandel massiv mit profitiert haben.

Heise: Und jetzt eben auf der anderen Seite quasi geschmiert werden. Dekade des Übergangs in Afghanistan – was bedeutet das für den Drogenanbau im Land? Stephan Detjen berichtet über eine Recherchereise. Herr Detjen, hatten Sie denn bei dem, was da jetzt auch gerade, wo wir gerade drüber gesprochen haben, also bis in die Regierungskreise hinein, trotzdem den Eindruck, dass diese Gegenstrategie wirklich ernsthaft gewünscht und auch denkbar ist?

Detjen: Ja. Man muss das ja historisch sehen, ich habe das eben geschildert: Diese Drogenwirtschaft ist entstanden in Afghanistan im Zusammenhang mit den Kriegen, mit dem Mudschaheddin-Krieg gegen die russische Besatzung, übrigens mit einer beschämenden Unterstützung des amerikanischen Geheimdienstes und des pakistanischen Geheimdienstes, der diesen Handel, der sozusagen wie durch eine Drehtür nach Afghanistan rein- und hinausging – auf dem einen Weg Waffen im Kampf gegen die russische Besatzungsmacht hinein, und Drogen dann wieder hinaus –, … Das war die Kriegswirtschaft, die den Kampf gegen die sowjetische Besatzungsmacht angetrieben hat. Das transformiert sich jetzt in eine mafiöse, zivile Drogenwirtschaft.

Aber – und das ist das, was jetzt sich in letzter Zeit, in den letzten Jahren in Afghanistan massiv gezeigt hat – es geht nicht nur um Handel, sondern das Drogenproblem ist in Afghanistan selbst massiv angekommen: In diesem kleinen Land sind mittlerweile mehr als eine Million Menschen selbst von Opiaten, von harten Drogen abhängig. Spritzdrogen grassieren massiv, Heroin, Verwässerungen, entsprechend breitet sich die HIV-Infektion epidemisch, nach Angaben der Vereinten Nationen, aus. Die Drogenabhängigkeit von Kindern nimmt massiv zu. Das sind erschütternde Berichte, die man da hört, von Kindern, die von ihren Eltern mit Opiaten ruhiggestellt werden, damit die Mütter etwa ihr Geld in Teppichwebereien verdienen können und die Kinder tagsüber ruhig sind. Dieses Problem der Drogensucht ist in der Mitte Afghanistans angekommen. Ich war dort selber in Behandlungszentren, habe mit Ärzten gesprochen, mit Drogenabhängigen, die ihre Geschichten erzählt haben. Das sind schlimme Berichte. Insofern weiß dieses Land, dass es nicht nur darum geht, die Interessen anderer Länder, die unter der Drogensucht leiden, zu bekämpfen, sondern dass dieses ein Problem des Landes und der Gesellschaft selbst inzwischen leider ist.

Heise: Also wenn ich Sie richtig verstehe, ist das auch als Bewusstsein angekommen jetzt: Nicht nur als Problem wird es irgendwo an den Rändern gesehen, sondern auch tatsächlich in der Mitte der Gesellschaft. Gibt es denn schon so was wie Hilfe, also Beratung, Aussteigerprogramme oder so was?

Detjen: Es gibt Ansätze dazu. Wie gesagt, ich war in Kabul in einem Drogenbehandlungszentrum, für unsere Verhältnisse auf niedrigstem, elendem Niveau, in einem traurigen Haus, es stank dort nach Kloake, aber da sind Ärzte, die haben sich bemüht, da waren Patienten, die waren dankbar dafür, dass sie Hilfe bekommen haben. Etwas Anderes, etwas ganz Wichtiges – und da ist natürlich auch die internationale Unterstützung wichtig und über lange Zeit vonnöten – ist eben, die Teile der Regierung dabei zu unterstützen, die bereit sind, gegen die Verfilzung und gegen die mafiöse Unterwanderung der afghanischen Gesellschaft, der Verwaltung, der Regierung durch den Drogenhandel vorzugehen. Da geht es etwa – das ist in solchen Ländern immer ganz wichtig – zunächst mal darum, eine unabhängige Justiz zu unterstützen und einzurichten. Afghanistan hat unabhängige, spezielle Gerichte für die Drogenbekämpfung eingerichtet. Es gibt Gesetze, es gibt ein Drogenbekämpfungsministerium, das – und ich habe das am Anfang ja gesagt – auch unter der Aufbietung von Menschenleben bei der laufenden Zerstörung von Drogenfeldern diesen Kampf aufgenommen hat. Aber die werden lange und lange nach dem Abzug der westlichen Truppen Unterstützung brauchen, da geht es sicher nicht nur um eine, wie jetzt gesagt wird, Dekade des Übergangs, sondern das wird ein Projekt für Generationen sein.

Heise: Zukunft Afghanistans – drogenfrei? Momentan sind noch Zuwächse zu verzeichnen, der Kampf ist aufgenommen und ein harter. Deutschlandradio-Kultur-Chefkorrespondent im Hauptstadtstudio Stephan Detjen berichtete über Erfahrungen. Ich danke schön, Herr Detjen, für den Bericht!

Detjen: Tschüss, Frau Heise!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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