Dreiecksgeschichte unter Wasser

13.08.2012
Tauchlehrer Sven hatte ein ruhiges Leben auf Lanzarote. Bis Theo und Jola kommen. Sven fängt eine Affäre mit der Serienschauspielerin an, die wiederum eine sadomasohafte Beziehung zum erfolglosen Schriftsteller Theo hat. Aus der Dreiecksgeschichte entwickelt sich ein Kriminalfall.
Abtauchen - das wollen Juli Zehs Protagonisten in "Nullzeit". Für die Welt da draußen unerreichbar sein. Draußen - das sind die Ansprüche und Erwartungen der anderen, die permanente technische Vernetzung und Erreichbarkeit, der Druck in Beruf und Privatleben. Drinnen - das ist die archaische Welt unter Wasser.

Vom "besonderen Schweigen des Meeres" schwärmt der Ich-Erzähler Sven, studierter Jurist, Aussteiger, Tauchlehrer auf Lanzarote im Rückblick:

"Bewegungen verlangsamten sich, Kommunikation wurde zu einer tänzerischen Choreographie aus Zeichen und Gesten. Unter Wasser waren die Beziehungen einfach, Bedürfnisse eindeutig und Reaktionen radikal. Wer zehn Meter in die Tiefe tauchte, reiste zugleich zehn Millionen Jahre in der Evolutionsgeschichte zurück - oder an den Anfang der eigenen Biographie. Dorthin, wo das Leben begann, im Wasser schwebend und stumm."

Sven hat Deutschland vor vielen Jahren verlassen. Er hat das Land der Besserwisser satt, das ständige Beurteilen von allem und jedem, im echten Leben und im Internet. Was er jetzt will, ist seine Ruhe. Sven will sich raushalten. Lanzarote und eine routinierte, sachliche Alltagsbeziehung scheinen ideal. Als das ungleiche Paar Theo und Jola bei ihm tauchen lernen will, ändert sich alles. Sie ist Serienschauspielerin aus reichem Hause, protegiert vom Produzenten-Vater, aber bisher ohne anspruchsvolle Kinorolle.

Er ist erfolgloser Schriftsteller und wird von ihr ausgehalten. Theo ist eine Generation älter als sie. Beide tun sich nicht gut, können aber nicht voneinander lassen, ein auch körperlich schmerzhaftes Abhängigkeitsverhältnis entsteht. Erst Jolas Kurzzeit-Beziehung zu Sven unterbricht diese SM-hafte Liebe. Vom Beginn dieser Dreiecksbeziehung an gewinnt der Roman an Fahrt und steigert sich zu einem Kriminalfall. Jola hat offenbar von Anfang an etwas im Schilde geführt. Oder ist das die Interpretation von Sven - im Nachhinein? Seine abgetauchte Inselexistenz jedenfalls wird zutiefst erschüttert.

Juli Zeh schreibt in ihrem neuen Roman von der Unmöglichkeit der Flucht in andere Welten. Und vom zu schnellen Auftauchen nach einem Tauchgang - dem Überschreiten der "Nullzeit". So weit so gut. Dennoch enttäuscht Juli Zehs neues Buch, alles in Allem. Der Haupteinwand gegen diesen Roman ist seine literarische Glattheit. Allzu kalkuliert wirkt die Sprache, allzu geplant die Dramaturgie. Vieles ist vorhersehbar, von einem Psychothriller, wie ihn der Verlag ankündigt, jedenfalls kaum eine Spur.

Juli Zeh weiß als Romanprofi natürlich Spannung aufzubauen, Langeweile kommt nirgends auf. Aber von Thriller-Qualitäten ist sie weit entfernt. Dazu fehlt den Figuren in diesem Buch auch das Abgründige, das böse Geheimnis, die Vielschichtigkeit - auch wenn am Ende ein Verbrechen steht. Was die Autorin unter Beweis stellt, ist ein nüchterner Realismus, viele kraftvolle Stellen und ein bildhafte Beschreibung des Tauchens vor einer Insel im Atlantik. Von einer Juli Zeh hätte man aber mehr erwartet.

Besprochen von Vladimir Balzer

Juli Zeh: "Nullzeit"
Schöffling, Frankfurt am Main 2012
256 Seiten, 19,95 Euro
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