Drei Verlierer auf dem Weg gen Osten

Von Bernd Sobolla · 20.11.2012
Road-Movie, Komödie und ein bisschen Sozialdrama: "Puppe, Icke & der Dicke" zeigt drei ebenso skurrile wie liebenswerte Charaktere, die es alle irgendwie nach Berlin zieht. Dem 30-jährigen Felix Stienz könnte mit diesem Film der Durchbruch als Regisseur gelingen.
Bommer? / Bomber! / Charlie? / Yes. / Nice to meet you. House rules: Welcome to Berlin! Welcome to Bomber´s place!

Bomber, alias Tobi B., vermietet mal wieder ein Zimmer seiner Berliner Altbauwohnung: Für 400 Euro im Monat kann sich hier jeder seine Freiheit und Selbstbestimmung kaufen. Haustiere sind zwar nicht erlaubt, aber der Internetzugang ist inklusive - und laute Musik, Drogen, wilde Sex-Partys kein Problem.

What about loud music, smoking pot, screeming, gang-bang sex parties? / Sex parties? Yeah, every time.

Vielleicht auch weil Bomber als Transsportkurier eigentlich ohnehin ständig auf Tour ist. Doch plötzlich knirscht es im Getriebe.

Was soll ich denn machen? Die Kunden sind schuld. Die Kunden, wenn die nicht wären, was? Tja, das ist eure letzte Fahrt. Betty fährt Amsterdam, Bomber Warschau, und Knacks, du musst nach Wien. Also Kopf hoch, Jungs! Vielen Dank für alles. Ihr ward eine tolle Flotte.

Doch Bomber wäre nicht Bomber, hätte er nicht gleich Plan B in der Tasche: Er unterschlägt die Ware nach Warschau und bringt sie stattdessen nach Paris, um sie dort zu verhökern. Doch kaum hat er sie abgeliefert, düsen seine Kunden ab - ohne zu zahlen. An einem Kiosk lernt er den stummen, dicken Bruno kennen, mit dem er sich betrinkt und der nach Berlin will, vielleicht um alte Familienerinnerungen aufzufrischen. Gleichzeitig packt in der Stadt der Liebe die blinde Europe ihren Koffer, um an die Spree zu fahren. Sie ist schwanger und weiß vom Vater ihres Kindes, dass er dort wohnt, Matthias heißt und bei der Müllabfuhr arbeitet – immerhin. Ihre Freundin rät zur Abtreibung, ihre Mutter ist zu betrunken, um Ratschläge zu geben. Drei Verlierer auf dem Weg gen Osten. Für Autor und Regisseur Felix Stienz ist dennoch der kleinwüchsige Bomber die Keimzelle des Ganzen.

"Bomber ist die Hauptinspiration, auf jeden Fall. Wenn ich diesen Typen nicht irgendwie kennen gelernt hätte, würde es den Film nicht geben. So ähnlich ist das auch mit der Figur der Europe, die halt total inspiriert ist durch die Schauspielerin Stephanie Capentanides. Am Anfang war es ein Episodenfilm. Dann habe ich eine Episode um Stephanie geschrieben, eine um Bomber und irgendwann haben wir das zusammen verwoben. Und dann wurde es dieser Road Movie."

Felix Stienz ist von Aki Kaurismäki, Jim Jarmusch oder auch Emir Kusturica beeinflusst, das heißt das Leben rauscht an seinen Protagonisten vorbei, deren Geldhahn tröpfelt, während der Alkohol fließt.

Berlin. ... Berliner Bär, ja! Verstehe! Du kannst nichts, du machst nichts, fahr nach Berlin! Dieses räudige Künstlerpack. Faul wie die Sünde, aber in Berlin kannst du es machen. Paris, Stadt der Liebe. Berlin ist die Stadt der Liebe! So schaut es aus. Prost auf Berlin!

"Puppe, Icke & der Dicke" ist eine Mischung von schrägen Charakteren, Situationen und Handlungssträngen, die zwar keine homogene Erzählstruktur bietet, doch die Aneinanderreihung von Zufällen und persönlichem Chaos sind süffisant inszeniert. So verpasst Europe ihren Bus und mutiert ungewollt zur Tramperin.

Ich komme nach Hause, nach dem Elternabend, nach meinem ersten Elternabend, den ich selber geleitet habe. War total gut. Steht der da und sagt zu mir: "Du Schatz, ich weiß auch nicht. Ich bin jetzt irgendwie fast 30, irgendwie fühle ich mich noch nicht so weit, ich muss mich noch irgendwie selber finden, ich muss noch irgendwie was sehen von der Welt." Und ich sage so: "So, musst du das?"
Schließlich findet das ungleiche Trio in einem Motel zusammen, wo die Portiersfrau Vivien, die auch von Berlin und Rock'n'Roll träumt, Europe Mut zuspricht.

You will find him! That is for sure. I tell you, you are this kind of person: lucky, happy, a winner personality kind of person. Yeah, I can see this.

Und obgleich "Puppe, Icke & der Dicke" nur so von Zufällen strotzt und die Erwartungen der Zuschauer auf den Kopf stellt, erzählt der Regisseur seine Geschichte mit überzeugender Selbstverständlichkeit. Auch weil die Dialoge ständig zwischen Deutsch, Englisch und Französisch wechseln und wesentlich von den Schauspielern geprägt wurden. Denn Felix Stienz gab ihnen das Drehbuch nur als Orientierung.

"Niemand kann sich in eine Figur mehr reindenken als die Personen, die sie auch spielen. Und dann ist es blödsinnig, wenn ein Drehbuchautor da sitzt und Wörter reinhackt, wenn der sich gar nicht so tief in die Figur reindenken kann wie der Schauspieler selbst. Da ist es sehr sinnvoll, wenn die selber ihre Wörter wählen. Bei mir war das genauso. Ich habe denen gesagt: 'Hier so, die Dialoge schenke ich euch. Ihr sollt mir das erzählen!'"

Road-Movie und Musikfilm, Komödie, ein bisschen Sozialdrama, "Puppe, Icke & der Dicke" gelingt es, diverse Genres zu mischen und überhöht diese noch durch skurrile, aber liebenswerte Charaktere, die es alle irgendwie nach Berlin zieht.

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