Dr. Seuss

Sind seine Bücher rassistisch?

09:03 Minuten
Ein Kinderbuch steht neben anderen Büchern von Dr. Seuss in einer New Yorker Buchhandlung.
"And to Think That I Saw It on Mulberry Street" ist eins von sechs Büchern von Dr. Seuss, die sein amerikanischer Verlag nicht mehr drucken will. © picture alliance / UPI photo / John Angelillo
Andreas Platthaus im Gespräch mit Timo Grampes · 03.03.2021
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Sechs Bücher von Dr. Seuss sollen nicht mehr gedruckt werden. Sein Nachlassverwalter spricht von "verletzenden Darstellungen". Den Rassismus-Vorwurf hält Comic-Experte Andreas Platthaus für unzutreffend – er befürchtet "eine unheimliche Entwicklung".
Der Grinch, der Kater mit Hut – diese auch in Deutschland berühmten Figuren hat der sehr beliebte Kinderbuchautor Dr. Seuss erfunden und gezeichnet. Jetzt aber sollen sechs seiner Bücher nicht mehr gedruckt werden. Das hat Seuss Enterprises entschieden, nachdem Rassismus-Vorwürfe laut geworden waren.
Die offizielle Begründung des US-Unternehmens lautet: "Diese Bücher stellen Menschen auf eine Art und Weise dar, die verletzend und falsch ist."

Der Kontext der damaligen Zeit

"Das sind ganz sicher keine rassistischen Bücher", sagt Andreas Platthaus, verantwortlicher Redakteur für Literatur der FAZ und Comic-Experte. "Aber sie enthalten Darstellungen, die heute gern als rassistisch betrachtet werden, die man natürlich aus dem Kontext der damaligen Zeit verstehen muss, sonst hätte Dr. Seuss sie nicht gezeichnet."
Dies seien Darstellungen von Volksgruppen außereuropäischer oder außerwestlicher Kulturkreise in einer Art und Weise, wie sie den Lesern, die ja vor allem Kindern gewesen seien, damals vertraut erschienen.
Es gebe aber in den sechs Büchern "keine einzige Darstellung, die in gewisser Weise etwas Verletzendes mit den Figuren vorhätte", sagt Platthaus. "Das sind alles hochsympathische Figuren, die da auftreten. Sie sind aber eben nach bestimmten ethnografischen Stereotypen gearbeitet." Der vor 30 Jahren gestorbene Autor habe mit "Identitätsdiskursen" noch nicht viel zu tun gehabt, gibt Platthaus zu bedenken.

Sympathische Asiaten

Das erste Bilderbuch, das Dr. Seuss 1937 zeichnete ("And to Think That I Saw It on Mulberry Street", bisher nicht ins Deutsche übersetzt), enthalte einen Chinesen, der stereotyp mit einem typischen Attribut, den Essstäbchen, und vermeintlichen "Schlitzaugen" – worüber man streiten könne – dargestellt werde, erzählt Platthaus. Er kenne nur wenige Comic-Darstellungen von Asiaten aus den 30er-Jahren, die einen sympathischeren Eindruck geben würden.
Aber diese Figur habe in den USA Kritik von asiatisch-stämmigen Menschen hervorgerufen, und dementsprechend habe der Nachlassverwalter entschieden, sich das nicht mehr leisten zu wollen.
Wandbild mit Theodor Seuss Geisel (links), am Eingang des Museums "Erstaunliche Welt von Dr. Seuss" in Springfield, Massachusetts.
Wandbild mit Theodor Seuss Geisel (links), am Eingang des Museums "Erstaunliche Welt von Dr. Seuss" in Springfield, Massachusetts.© picture alliance / AP Photo / Steven Senne
Das wohl populärste Buch von Dr. Seuss ist "The Cat in the Hat". Es steht seit einigen Jahren immer wieder in der Kritik, weil dort angeblich so etwas wie Blackfacing betrieben werde, da der "Kater in seiner Darstellung eigentlich darauf beruht, dass Dr. Seuss die damals gängigen Stereotypen bei der Darstellung von Schwarzen Amerikanern zum Vorbild genommen hat."

Auch die Zauberer könnten protestieren

Platthaus hält die Debatte für noch nicht beendet und fände es sehr schade, wenn eins der allerschönsten Kinderbücher verschwinden würde "nur aufgrund dessen, dass sich einige Menschen daran stören, ohne dass sie das näher begründen müssen". Für den FAZ-Redakteur stellt dies eine unheimliche Entwicklung dar, deren Ende nicht absehbar sei. "Prinzipiell darf man nicht jeder Empfindlichkeit nachgeben", meint er.
Denn es stelle sich die Frage: "Wer wird sich als nächster beklagen?" In dem erwähnten Buch "Mulberry Street" von Dr. Seuss seien auch amerikanische Honoratioren abgebildet, die alle wie Witzfiguren aussähen. "Was machen wir, wenn jetzt plötzlich die amerikanischen Musiker oder Bürgermeister oder Zauberer sagen: 'So wollen wir nicht gezeichnet werden!' Es gibt kein Ende, wenn man einmal damit anfängt."
Andreas Platthaus plädiert stattdessen für eine historische Einordnung und klare Distanzierung, die man in die Bücher setzen könnte. Dadurch wäre auch ein Lerneffekt zu erzielen.
(cre)
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