Dornröschen, eine märchenhafte Frau

Von Gerd Brendel · 20.12.2012
Die schöne Königstochter, die 100 Jahre schlafen muss, gibt es in vielen Kulturen. Die italienische Variante des Märchens ist besonders drastisch. Da wird das Mädchen - Thalia heißt es - im Schlaf vergewaltigt und bekommt zwei Kinder.
Es war einmal. Dornröschen.

"Right here we see sleeping beauty. You see she is not dead. She is breathing. Sometimes she makes a little noise. Like snoort.''"

Dornröschen schläft im Keller eines kleinen Schlosses nördlich von Paris. Der Familiensitz des Marquis Jean Francois de Breteuil wird seit einigen Jahren von Märchenfiguren aus Wachs bewohnt. In der Scheune feiert Ritter Blaubart. Im ersten Stock spielt der gestiefelte Kater zum Tanz auf. Und im Salon erzählt Marina Kussik jeden Nachmittag um fünf den Besuchern die Geschichte von "La Belle au bois dormant", der schlafenden Schönen im Wald:

Es war einmal ein König und eine Königin, die wünschten sich seit langer Zeit ein Kind.

Zur Tauffeier gibt es für jede der als Patinnen geladenen Feen ein Besteck aus Gold , aber o weh, als die achte Fee , die man vergessen hatte, einzuladen, erscheint, gibt es keinen goldenen Teller mehr für sie.

Auf Schloss Breteuill wird die Geschichte erzählt, wie sie eines der berühmtesten Schlossbesucher Charles Perrault 1697 aufgeschrieben hat. Das Motiv einer Königstochter, die sich an der Schwelle zum Erwachsenwerden an einem Spinnrad verletzt und in einen todähnlichen Schlaf fällt, findet sich allerdings schon knapp 100 Jahre zuvor in der Märchensammlung des Neapolitaners Gianbattista Basile. Hier wird allerdings Dornröschen oder "Thalia" wie die Prinzessin bei Basile heißt, nicht sanft durch einen Kuss geweckt.

Basile-Experte Michele Rak: ""Die Geschichte ist, der König läuft im Wald und findet im Wald ein Häuschen mit der schönen Schlafenden."

Und er wohnt ihr im Schlaf bei. Woraufhin sie im Schlaf zwei Kinder zur Welt bringt. Das ist eine Gewalttat.

Die Brüder Grimm kannten auch diese Version, aber sie entdecken eine zweite Dornröschen-Tradition:

"Sie haben auch über die deutschen Mythen gearbeitet gleichzeitig und da ist ihnen aufgefallen, dass es Parallelen gibt zu nordischen Mythen. Das sieht doch ganz verdammt ähnlich aus, wie die Brünnhilde, die mit dem Schlafdorn in den Schlaf gesenkt wird, und von Siegfried wachgeküsst wird."

Dornröschen, Thalia, Brünnhild ist im Mittelmeerraum, wie im hohen Norden zuhause: Ihre Geschichte, so die Volkskundlerin Ulrike Kindl ist universell und uralt:

"Es geht immer darum, dass die geschlechtsreife Frau aus der Gesellschaft für eine Zeit herausgenommen wird. Man darf ja nicht vergessen, dass bei vielen primitiven Völkern, der Übergang vom Mädchen zur fruchtbaren Frau auch eine gefährliche Phase war, und man musste da viel Ritus machen, damit die bösen Geister keinen Zugang bekommen."

Am Ende allerdings geht das Märchen gut aus, egal von wem es erzählt wird. Selbst bei Basille: Thalia- Dornröschen erwacht, als ihr zwei gute Feen ihre Kinder an die Brust legen und verliebt sich in ihren königlichen Vergewaltiger, bei dessen nächstem Besuch. Der König, beschließt Basile sein Märchen:

Nahm Thalia zur Gemahlin, die sich eines langen Lebens mit Mann und Kindern erfreuen sollte und dabei reichlich erfuhr: Wem nur das Glück erst zugelacht, wird selbst im Schlaf vom Segen nass gemacht.