Doppelter Bauchschuss

Von Stefanie Müller-Frank · 26.08.2007
Poker kommt direkt aus der Hölle. Ob im Wilden Westen, in Las Vegas oder in verrauchten Hinterzimmern: Das Kartenglück entscheidet schon immer über Leben und Tod - außer man zieht schneller. Oder blufft besser.
Seit dem James-Bond-Film "Casino Royale" ist halb Deutschland im Poker-Fieber. Auf dem Schulhof spielt niemand mehr Skat. Man zockt. Das Geschäft mit Online-Poker boomt. Und das Fernsehen überträgt die großen Turniere ins Wohnzimmer. Dank einer im Tisch eingebauten Kamera, die die Karten der Spieler filmt, ist selbst für den Laien zu Hause erkennbar, wer gerade blufft. Und im Casino? Da müssen die Zocker schon zu anderen Tricks greifen, um ihre Gegner zu knacken und über den Tisch zu ziehen. Zwei Frauen Anfang 20 - eine Spielerin und eine Dealerin - lassen sich in die Karten schauen.

"Also ich sehe das sofort den Leuten an, ob sie bluffen oder nicht. Wenn ich Dealer bin. Wenn ich selbst spiele, sehe ich das nicht. Weil ich dann selbst auf die Karten konzentriert bin und versuche, meine Maske zu wahren."

Alle Spieler am Tisch schauen auf die Hände der jungen Frau: Ihre Finger fahren über den grünen Filz, greifen unter die Karten, schieben sie sekundenschnell ineinander. Teilen den Stapel, blättern die Karten auf, verschränken sie ein weiteres Mal. Keine einzige Karte rutscht aus dem Stapel.

"Aber als Dealer weiß man ungefähr, welche Kombination der hat, wie der jetzt blufft und wie die spielen – da hat man irgendwann ein ganz komisches Gefühl dafür. Man kriegt’s irgendwie mit."

Lässig wendet sich die Dealerin dem Spieler zu ihrer Linken zu: Der Pflichteinsatz? Liegt! – Die nächste Runde kann beginnen.

Mareike Müller sitzt kerzengerade am Spieltisch, verteilt im Uhrzeigersinn die Karten – der silberne Armreif an ihrem Handgelenk schaukelt leicht. Von ihrem Platz aus hat sie den Festsaal gut im Blick: Die Bühne mit dem roten Samtvorhang, die verspiegelte Bar, das Roulette, die Poker- und Black-Jack-Tische. Opulente Bogenlampen tauchen den grünen Filz der Spieltische in warmes Licht. Um die Tische stehen etwa 120 Männer in dunklen Anzügen. Man unterhält sich, beobachtet – eine Zigarre zwischen den Zähnen – den Spielverlauf. Schweres Aftershave liegt in der Luft.

Die Dealerin legt eine Karte verdeckt zur Seite – und blättert routiniert den Flop, also die ersten drei Gemeinschaftskarten, auf den Filz: Karo acht, Karo neun, Karo fünf. Herausfordernd blickt die 21-Jährige in die Runde: Vier Herren in Maßanzügen sitzen an ihrem Tisch, mehr als doppelt so alt wie sie. Mareike Müller versucht, die Spieler mit einem Spruch zu provozieren. Keiner reagiert. Der Herr zu ihrer Linken lehnt sich mit vollem Gewicht auf den gepolsterten Lederrand des Tisches, greift zu seiner Zigarre. Rolex und Manschettenknöpfe blitzen unter dem Ärmel hervor. Die Dealerin verfolgt jede Geste, wartet, pustet sich unauffällig die kurzen, blonden Haare aus dem Gesicht.

"Man guckt sich das halt eine Stunde an, wie die so spielen. Und dann hat man ein Schema rausgefunden bei den Leuten. Und dann sieht man halt: Allet klar, der blufft jetzt bestimmt. Und dann sieht man tatsächlich, was im Fernsehen immer gesagt wird: Die Nasenflügel fangen an zu zittern oder der trinkt besonders viel oder der zündet sich immer eine Zigarette an, wenn er einen Bluff macht oder trinkt immer einen Schluck. So ne Sachen gibt’s eben und das ist bei jedem verschieden. Und dann gibt's eben auch die Saucoolen, die nichts machen, bluffen oder gewinnen oder wie auch immer. Die sind dann auch hart zu knacken."

Mareike Müller pokert auch privat regelmäßig. Aber wie man Spieler knackt, also ihre Körpersprache richtig deutet - das lernt man am besten beim Dealen, sagt sie, lächelt angriffslustig. Beim Spielen muss man ja ständig aufpassen, die eigene Maske zu wahren.

"Wenn man selbst spielt, dann versucht man ja selbst, nicht aufgeregt zu sein, sich keine Muster einzuprägen – und deswegen kriegt man es bei den anderen nicht so gut hin. Wenn man selbst spielt."

Mareike Müller legt den Turn, also die vierte Karte, türmt die Jetons aufeinander, schiebt den Ärmel ihrer weißen Hemdbluse hoch. Darüber trägt sie eine schwarze Weste, der allgemeine Dresscode für Croupiers. Mit dem Dealen finanziert die 21-Jährige ihr Wirtschaftsingenieurstudium. Wie viel Geld sie pro Abend verdient, verrät Mareike Müller nicht. Die Spieler an ihrem Tisch sind Manager einer Fast-Food-Kette, für den Abschlussabend ihrer Tagung in Berlin lassen sie sich ein komplettes Casino kommen: Roulette, Black Jack, Poker, mitsamt Croupiers, Dealern und einer Bank. Dem Sieger winkt eine Kreuzfahrt. Um Geld darf nur in staatlichen Casinos gezockt werden.

Letzte Runde, zwei Spieler sind noch dabei. Der gewichtige Mann mit der Rolex am Handgelenk kaut auf seiner Havanna und nickt der Dealerin fast unmerklich zu: Er geht also mit. Der andere, etwas jünger, mit weichen Gesichtszügen und hoher Stirn, lächelt überlegen, nippt an seinem Glas Rotwein – und erhöht auf fünfzig.

Showdown. Der Herausforderer muss als erstes seine Karten offen legen: Pik acht, Pik fünf – zusammen mit den Gemeinschaftskarten macht das zwei Paare. Die anderen Mitspieler am Tisch nicken anerkennend, der Herr mit dem Rotwein lächelt bescheiden, aber geschmeichelt. Bis er die Karten seines Gegners sieht: Zwei Asse. Und ein weiteres As liegt bereits auf dem Tisch. Der Gewinner verzieht keine Miene, klopft nur kurz seine Asche ab.

"Er war halt nicht aufgeregt und hat sofort alles gesetzt, sondern er hat wirklich sehr langsam gespielt und hat sozusagen die anderen langsam ausgezogen, nach und nach nackig gemacht. Dadurch, dass er erst so zehn gesetzt hat – so nach dem Motto: Ich bin mir nicht sicher, ob ich was habe. Dann noch mal zehn und noch mal zehn. Und am Ende hat er gesagt: So, das war sowieso ein unschlagbares Blatt. Hätte er zum Bespiel sofort fünfzig gesetzt, wären die anderen sofort ausgestiegen."

Der ältere Herr klopft dem Jüngeren auf die Schulter, der Verlierer zieht die Mundwinkel hoch, versucht ein Lachen, das seine Ehre rettet. Es fällt ihm sichtlich schwer – auch wenn er kein Geld verliert. Die Dealerin lehnt sich zurück. Zwei Profis am Tisch – das habe ich selten bei solchen Veranstaltungen, sagt sie, nickt anerkennend.

"Diesmal konnte ich echt wenig über die Taktiken erkennen, weil sie ihre Blätter nicht aufgedeckt haben. Manchmal, wenn einer gewonnen hat, dann zeigt er trotzdem, was er hat, oder wenn er rausgeht, dann zeigt er – und dann sieht man ja, was der hatte. Aber viele Hände sind auch so rumgegangen, dass alle ausgestiegen sind und der letzte hat gewonnen, ohne zu zeigen, was er hatte. Was natürlich dann auch als Dealer Spaß macht: Trotzdem versuchen, was zu erkennen. Aber das war heute nicht möglich. Die waren heute alle total cool und abgebrüht."

Mareike Müller sortiert die Jetons ein, breitet einen roten Samtüberwurf über den Pokertisch. Der Spieler mit der Zigarre bedankt sich für das professionelle Dealen, überreicht ihr gelassen zwei 20-Dollar-Scheine und verabschiedet sich. Zum ersten Mal an diesem Abend ist Mareike Müller nicht schnell genug für einen flotten Spruch. Aber die Nacht ist ja noch lang.

Während Mareike Müller die Tische zusammenklappt für den zweiten Einsatz am Abend, wird im "Safe Club" gerade um den Einzug in die Finalrunde gezockt: Einmal in der Woche treffen sich hier die rund 200 Mitglieder vom Pokerverein "Bad Beat Berlin". Ein DJ legt Lounge-Musik auf, das Licht ist gedimmt, fast ausschließlich junge Männer in Turnschuhen und weiten Pullovern sitzen an den Tischen. Man blufft, fachsimpelt und trinkt dazu Cola. Seit dem James-Bond-Film "Casino Royale" ist halb Deutschland im Poker-Fieber: Acht Millionen Menschen, so die offiziellen Schätzungen, spielen hierzulande regelmäßig Poker. Vor allem das Geschäft im Internet boomt: 23 Millionen Euro Umsatz im vergangenen Jahr.

An der Rückwand des Raums führt eine Stahltür ins Hinterzimmer: Hier ist es still, das Licht hart. Sieben Männer und eine Frau, unter 30, sitzen konzentriert um den Pokertisch: Den Blick tief in die Karten, Stift und Block griffbereit – um, je nach Blattkombination, die Gewinnchancen auszurechnen.

Ein braungebrannter Mann Ende 30, in ausgewaschenen Jeans und weißem Sportblouson, Typ Tennisspieler, schreitet langsam den Tisch ab, beobachtet die Hände der Spieler, registriert jede Geste, wartet auf ein Durchatmen, ein Schlucken. Und Henry St. Llamar kann warten. Seit 15 Jahren ist er Profipokerspieler.

"Poker, gerade der No-Limit-Bereich, ist ein Spiel um Stärke und Schwäche. Und man bekommt sehr gut mit, wenn jemand Schwäche zeigt. Und diese Schwäche sollte man eben nicht zeigen."

Fünf Stunden am Stück pokern die Nachwuchsspieler bei Herny St. Llamar, einmal die Woche. Manchmal gibt er einem seiner Protegées eine Aufgabe, von der die anderen nichts wissen: Über zwei Stunden auch das beste Blatt wegwerfen zum Beispiel. Selbst zwei Asse. Das erfordert Selbstdisziplin, sagt der Pokerprofi streng, schnalzt mit der Zunge, muss dann doch grinsen: Den meisten juckt es so in den Fingern, dass sie das Blatt einfach spielen müssen. Henry St. Llamar selbst wirkt so, als muss er kein Blatt mehr spielen. Vielleicht respektieren ihn die jungen Spieler deshalb so. Nach der Pokerrunde bewerten sie sich gegenseitig, einzelne Situationen werden noch mal per Video durchgegangen: Wer wie Druck aufbaut, wer wo Schwäche zeigt, wie ein Bluff auffliegt.

"Also wenn man zum Beispiel blufft, dass man dann betont wichtig und aufmerksam den Einsatz platziert und sagt: Tausend. Das würde man ja nicht tun, wenn man ein starkes Blatt hat. Weil dann ist man ja bemüht, dass der andere mit dabei bleibt. Dann will man den ja nicht erschrecken. Also ist man eher softer, wenn man was Gutes hat uns versucht, den anderen in was reinzulocken. Das sind so ganz offensichtliche Geschichten, die aber immer und immer wieder passieren. Was den Leuten nicht bewusst ist: Dass sie, wenn sie starke Hände halten, sich anders verhalten als wenn sie schwache Hände halten."

Die Nachwuchsspieler will der Profi fit machen fürs Cash-Game – also für Turniere, bei denen es um richtig viel Geld geht. Aber er warnt sie auch. Das Coaching bietet er kostenlos an. Denn die Talentschmiede ist nebenbei auch ein gutes Aushängeschild für seine kommerzielle Pokerschule. "Der Weg des Löwen" – so nennt der Profi seinen Basiskurs:

"Eine Antilope ist ja wesentlich schneller als ein Löwe auf lange Sicht gesehen. Also geht der Löwe zur Tränke, brüllt mal ganz laut gegen den Boden, dann weiß die Antilopenherde nicht, woher das Brüllen kommt – weil die können die Richtung nicht einordnen. Also rennen sie nicht alle in eine Richtung, sondern in hundert Richtungen. Dadurch kommt es vor, dass eine Antilope alleine ist, die greift sich dann der Löwe. Also er arbeitet mit gewissen Tricks und einer gewissen List. und so ist es im Prinzip im Pokersport auch: Man muss sich jede Deckung und Tarnung zunutze machen."

Die Pokerregeln selbst sind einfach, sagt Henry St. Llamar, holt eine Videokamera aus der Tasche, geht zurück zum Spieltisch. Aber man muss auch seine Körpersprache kennen: Also wie man sich tarnt, den Gegner täuscht oder in die Enge treibt. Ständig die Einsätze erhöhen zum Beispiel – raisen, also jagen - genannt:
"Das äußert sich im Pokerspiel dadurch, dass man Druck aufbaut. Also man raist, man wirkt dann auch gefährlich, sodass der andere immer schon zusammenzuckt. Und wenn man offensiv ist, ist der andere automatisch gefordert, entweder defensiv zu bleiben und sich zu ergeben oder aber den ganzen Spaß mitzumachen, passiv, oder wirklich die Gegenposition aufzubauen. Und dann wird’s natürlich interessant."

Letzte Wettrunde: Zwei Spieler sind noch dabei. Oliver Steyer, ein junger Mann mit freundlichen, braunen Augen und Kastenbrille, erhöht den Einsatz. Ihm gegenüber sitzt seine Gegnerin: Heike Schmidt, die einzige Frau am Tisch. Sie schlägt ruhig die Augen auf, die langen, blonden Haare fallen ihr über die Schulter bis auf den Rücken. Die Ellbogen auf den Tisch gestützt, wiegt sie ihren Kopf in den Händen, blickt ausdruckslos nach rechts, dann nach links, überlegt, schweigt.

"Das Problem ist: Alles, was ich jetzt sage, hört der Gegner."

Heike Schmidt geht aufs Ganze. Mit ihren langen, schmalen Fingern schiebt sie sämtliche Jetons, die vor ihr liegen, in die Mitte. Henry St. Llamar schaltet seine Videokamera ein, zoomt auf das Gesicht der jungen Frau. Die blickt direkt in die Kamera, nimmt ihre Hände vom Kinn, stemmt sie in die Hüfte und stützt sie mit dem rechten Arm ab.

"Ja, es ist im Prinzip kämpfen. Auf einem ganz komischen Niveau: Man kämpft eigentlich um jeden Chip, will keine Hand aufgeben - und es ist halt einfach diese Auseinandersetzung, die mit psychologischer Kriegsführung zu tun hat. Und insbesondere als Frau finde ich es interessant, sich mit den Männern da auseinanderzusetzen, weil Poker ist natürlich männlich dominiert. Zumindest auf der Profiebene."

Während ihr Gegenspieler zögert, dreht die 25-Jährige zwei Jetons zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her, beobachtet ihn aufmerksam. Unter dem enganliegenden, lila Kleid hebt und senkt sich ihr Brustkorb. Profis können Aufregung auch simulieren.

"Die berühmte Geschichte mit der Halsschlagader, die man beobachten kann oder die Aufregung, das Zittern an sich: Man merkt es bei manchen Spielern, die was extrem Gutes haben und eigentlich wissen, sie können gar nicht mehr verlieren. Aber einfach dann so aufgeregt sind, weil sie eben Angst haben, sie könnten nicht genug Geld dafür bekommen. Sie wollen, dass die anderen eben noch bezahlen, ja - und diese Aufregung allein führt dann dazu, dass man zittert oder schwitz oder was auch immer. Das kann man den Leuten zwar sagen, aber nicht alles kann man abstellen."

Ein, zwei Minuten vergehen – dann gibt Oliver Steyer auf, schmeißt verdeckt seine Karten hin. Heike Schmidt lächelt selbstbewusst, holt die Jetons zu sich ran, schichtet sie zu kleinen Türmchen auf.

"Weil ich wollte erstens auch mal meine Position oder mein 'standing' am Tisch ein bisschen untermauern. Dass ich einfach mal sage: Ich lege dir hier nicht nur meine Chips rein und du kannst mich dann raisen und dann schmeiß ich weg – weil ich hatte ein wenig das Gefühl, dass mein Gegner das dachte. Und deshalb war es auch so eine Sache, um mich zu behaupten."

Die junge Frau legt ihr Blatt umgedreht auf den Tisch. Ein Profi zeigt seine Karten nicht, wenn er nicht muss. Vor allem dann nicht, wenn er gerade den Tisch abräumt. Soll ja niemand sehen, mit was für einem schlechten Blatt er die anderen vielleicht gerade abzieht, sagt Heike Schmidt. Es ist bereits das vierte Mal in Folge, dass sie gewinnt, weil ihre Gegner aufgeben, also ihre Karten folden. Sie hat eine Glückssträhne – einen Lauf haben, heißt das beim Pokern.

"Und wenn Du beim Pokern in den Zustand kommst, dann gelingt dir auch plötzlich alles. Dann ist es egal, welche Karten du hast – und dann foldet der Gegner Sachen, die er sonst vielleicht gar nicht folden würde, weil er das Gefühl hat: Aha, die ist gerade 'in the zone'."

Ihre Mitspieler geben sich belustigt, diskutieren, wie wahrscheinlich es ist, dass sie den Flop tatsächlich getroffen, sprich: gute Karten gehabt hat. Einen anerkennenden Blick auf die Jetonstürmchen können sie sich dann aber doch nicht verkneifen. Heike Schmidt setzt noch einen drauf:

"Na ja, ohne jetzt Namen am Tisch zu nennen, gibt es Leute am Tisch, die ich mit gewissen Blicken, leichtem Lächeln oder ähnlichem vielleicht schon verunsichern kann."

Heike Schmidt zieht, ohne von ihren Karten aufzuschauen, die Schulter hoch, schaltet ihren i-pod ein, steckt sich die Kopfhörer in die Ohren.

"Wer gewinnt, hat immer Recht. So kann man auch sagen."

Auch Mareike Müller pokert oft mit Kopfhörer, um sich die Sprüche ihrer Mitspieler zu sparen. Beim Dealen geht das natürlich nicht. Ihr zweiter Auftraggeber heute Abend ist ein Club: Bässe wummern von der Terrasse des Penthouses mit Blick auf den Potsdamer Platz. Jeden zweiten Freitag im Monat lädt das 40 seconds zur "Zocken Royal"- Party. Seit Anfang des Jahres ist das der große Renner: Tanzen, feiern – und nebenbei zocken. Das Publikum ist jung, gibt sich lässig: Viel Gel, viel gebräunte Haut – die Frauen mit Push-Up, Haarreif, die Augenbrauen zu schmalen Linien gezupft. Man nimmt lässig an den Filztischen Platz, tauscht das Spielgeld gegen Jetons und erklärt der Begleiterin die Spielregeln.

Mareike Müller sitzt wieder aufrecht am Spieltisch, über sich die gelbe Bogenlampe, die Wand im Rücken. Ihre schwarze Weste trägt sie nicht mehr, das dezente Lip-Gloss aufgefrischt, ein Wodka Red Bull – die nächste Schicht beginnt. Nur dealt sie diesmal beim Black-Jack-Tisch. Gepokert wird im 40seconds seit letztem Monat nicht mehr. Dauert zu lange. Und ist auch zu kompliziert. Vor allem, wenn man schon das eine oder andere Bier getrunken hat.

"Partyvolk ist halt immer was anderes als Firmenveranstaltungen, wo die Leute am Abschluss einer Tagung aus Spaß zocken. Die sind halt meist etwas älter. Und hier hat man eben alles: Die älteren Leute, die damit umgehen können, wie sie sich betrinken. Dann die Jungschen, die halt überhaupt nicht mehr wissen, was sie tun. Hier hat man eben alles. Und wer es hier besteht, der schafft's auch überall anders."

Es ist kurz vor Mitternacht, die Tische füllen sich erst langsam. Zwei Freundinnen fragen nach den Spielregeln, wollen erst nur zuschauen, kichern. Ramin Gadiri, einer der beiden Veranstalter, das weiße Hemd weit offen, stellt sich an den Black-Jack-Tisch, blickt in die Runde, nickt dann der Dealerin kurz zu. Dass der Event-Veranstalter heute nur Roulette und Black-Jack anbietet, ist ihm sowieso lieber als Poker.
"Weil Poker ein Zockerspiel ist. Es gibt in Berlin auch mehrere Szenen, wo halt Leute auch heimlich spielen, privat. Das wollen wir hier gar nicht haben. Wir wollen halt nur Spaß haben hier und Spiele, die schnell gespielt werden und wo viele Leute daran teilnehmen können und Spaß haben können. Darum geht’s bei uns."

Die Dealerin bittet um die Einsätze, zieht mit ihrem rechten Zeigefinger einen Halbkreis über den grünen Filz. Zwei junge Männer quetschen sich noch schnell sich an den Tisch - die Bierflasche achtlos auf den Holzrand - und kramen mit großen Gesten ihre Dollar-Noten aus der Tasche. Mareike Müller wirft ihnen einen strengen Blick zu, und zwei Papierservietten hinterher. Sie gucken verdutzt, dann nicken sie, der eine entschuldigt sich.

"Hier muss man locker und offen sein, man muss aber auch die Distanz wahren. Man muss den Leuten klarmachen: Ich bin Chef am Tisch. Wir haben ja hier auch die Möglichkeit, wenn die Leute richtig frech werden, die von der Security rausschmeißen zu lassen. Du musst nett sein, Du musst aber auch die Distanz wahren: Du bist Croupier, du bist der Chef am Tisch."

Mit der linken Hand zieht Mareike Müller eine Karte nach der anderen aus dem schwarzen Kartenschuh, blättert sie mit der Rechten auf den grünen Filz vor den Spieler. Der entscheidet, ob er noch eine weitere Karte haben will oder nicht. Black Jack funktioniert wie 17 und 4: Man versucht, so nah wie möglich an die 21 zu kommen – darüber ist das Spiel automatisch verloren. Überkauft. Die beiden jungen Männer verspielen ihr Startgeld innerhalb von zehn Minuten. Nachkaufen können sie die Jetons allerdings nicht – die gibt’s nur zusammen mit einem Getränk.

"Wenn man Getränke kauft, kriegt man Dollars, für diese Zocken-Royal-Dollars kriegt man Jetons, und wenn man eine bestimmte Anzahl an Jetons erspielt hat, bekommt man wieder Getränke. Dreißig für ein Getränk, dreihundert Flasche Wodka, vierhundert Flasche Schampus, fünfhundert Flasche Belvedere Wodka."

Pro Getränk ein Jeton. Ein Jeton reicht für ein Spiel. Und ein Spiel dauert zwei Minuten. Die Bar brummt, das Konzept geht auf: Zocken wie in der Unterwelt– aber ohne Risiko, beim illegalen Glücksspiel erwischt oder im Hinterzimmer einer Spelunke abgestochen zu werden. Wohl dosierter Nervenkitzel neben der Tanzfläche.

Black Jack für die Bank. Damit verlieren automatisch alle Spieler. Mareike Müller greift zu den Jetons, ein Mann in gestreiftem Sakko steht wütend auf, haut mit der flachen Hand auf den Spieltisch, geht. Die Dealerin bleibt gelassen, sortiert weiter die Jetons ein, aber mit den Augen folgt sie ihm. Zur Sicherheit. Manchmal lässt sie auch Gäste vom Sicherheitspersonal rausschmeißen. Vom Spiel her ist Black Jack nicht so interessant wie Poker, sagt die junge Frau, hebt die Augenbrauen. Spannend ist, wie unterschiedlich die Leute reagieren, wenn sie gewinnen – und vor allem, wenn sie verlieren.

"Von, das, was man eben gesehen hat: Dass der eine Mann auf den Tisch gehauen hat und gegangen ist bis überschwängliche Freude und Champagner für alle – gibt es alles. Es gibt eben diese ernsten Spielertypen und die, die nur unterhalten werden wollen."

Nächste Runde, die Dealerin zahlt einen Gewinn aus – dabei hat die Bank 18, der Spieler nur 17. Er weist die junge Frau netterweise auf den Fehler hin. Mareike Müller schenkt ihm ein Lächeln, und die Jetons – Fehler der Bank, Glück für den Spieler. Weiter geht’s. Der junge Mann ist beeindruckt. Aber die Dealerin nimmt seinen bewundernden Blick scheinbar nicht zur Kenntnis, zieht schon die neuen Karten aus dem Stapel.

"Schwierig wird’s einfach irgendwann, wenn’s laut ist, Musik, Zigarettenrauch – und man einfach unkonzentriert wird und dann sich Sachen nicht mehr merken kann. Das ist ganz besonders schlimm: Wenn man da spielt und man weiß nicht mehr, was der da hatte und man muss ewig lange nachrechnen. Und man kann aber einfach nicht mehr rechnen. Und dann die Souveränität zu behalten, dass man trotzdem professionell wirkt und alles weiter machen kann."

Wenn ich mir mal einen groben Fehler leiste, dann schmeiße ich eben eine Runde Jetons, sagt Mareike Müller lässig, schlägt die Augen auf. Wenn sie jetzt blufft – dann so charmant, dass man es ihr einfach abnehmen muss.

"Also beim Black Jack geht’s ja nur gegen die Bank: Also alle haben schon mal das Gemeinschaftsgefühl, dass sie die Bank ausnehmen wollen. Beim Poker spielt man nur untereinander – und das ist halt eher ein Männerspiel tatsächlich, weil sie versuchen, sich gegenseitig auf die Brust zu trommeln, wie toll sie doch sind."

Pokert Mareike Müller mit Freunden, sind es auch meist Männer, mit denen sie zockt. Morgen Abend treffen wir uns wieder, sagt die junge Frau, zündet sich eine Zigarette an, schiebt die Jetons zur Seite. Und dann dealt sie nicht, dann spielt sie selbst.