Donaueschinger Musiktage

Absage an den gepolsterten Konzertsessel

Der künstlerische Leiter Björn Gottstein schaut in Donaueschingen (Baden-Württemberg) bei den Donaueschinger Musiktagen.
Björn Gottsein: Wir müssen ständig daran arbeiten, wie wir Musik präsentieren. © picture alliance / dpa / Patrick Seeger
Björn Gottstein im Gespräch mit Matthias Mauersberger · 20.10.2017
Die aktuell stattfindenden Donaueschinger Musiktage sind das weltweit älteste und renommierteste Festival für Neue Musik. Im Konzert "Transit" muss sich das Publikum bewegen. Er sei glücklich über diese "leicht malträtierende Publikumsführung", betont der künstlerische Leiter Björn Gottstein.
Wenn klassische Violinisten Alufolie über ihre Saiten spannen oder wenn ein Orchester plötzlich klingt wie ein wild gewordener Bienenschwarm, dann hat man es mit neuer Musik zu tun. Die Donaueschinger Musiktage wurden 1921 ins Leben gerufen und sind das weltweit älteste und renommierteste Festival für Neue Musik. Am Donnerstag wurde die 96. Ausgabe des Festivals eröffnet.
20 Uraufführungen stehen in diesem Jahr auf dem Programm der Donaueschinger Musiktage in Baden-Württemberg. Einen Schwerpunkt bildet dabei das Experimentieren mit neuen Konzertformaten und Präsentationsformen. Im Stück "Transit" wollte man bewusst eine frontale Aufführung vermeiden und Publikum und Musiker zu einer Gemeinschaft werden lassen, die auch durch eine Bewegung im Raum entsteht. Im Stück "Container TV" ist die Bühne leer. Die Musik wird per Video aus Containern übertragen.
Der Wunsch sei von den Ensembles und den Komponisten gekommen, betont der künstlerischer Leiter Björn Gottstein:
"Wir sitzen immer noch im Konzert, wie wir das seit dem 19. Jahrhundert machen. Das ist so als wären alle Bilder im Museum immer noch in barocken Rahmen gehängt – und man würde nicht darauf achten, dass da auch andere Formen notwendig sind. Deswegen finde ich es wichtig, dass wir ständig daran arbeiten, wie wir Musik präsentieren oder hören – und wenn das von den Komponisten und Ensembles ausgeht, dann bin ich dafür sehr empfänglich."

"Glücklich über diese leicht malträtierende Publikumsführung"

Ihm gefalle die Vorstellung, wenn ein Konzert auch ein bisschen unangenehm sein könne, sagte Björn Gottstein im Interview mit der "Stuttgarter Zeitung". Danach gefragt, antwortet er lachend im Deutschlandfunk Kultur:
"Ich bin kein Sadist. (...) Ich finde, wir müssen immer mal gucken, ob wir nicht auch andere Formen konzentrierten Hörens herstellen können. Und wenn dabei zum Beispiel der Polstersitz wegfällt und wir vielleicht auch ein bisschen unbequem sitzen oder wir irgendwo stehen, wo wir uns mit unserem Körper nicht ganz wohlfühlen, wir aber trotzdem in der Lage sind, fokussiert auf die Musik zu achten, dann haben wir schon mal eine Parameter-Verschiebung hergestellt, die vielleicht ein neues Hören ermöglicht. Deswegen bin ich sehr glücklich über diese leicht malträtierende Publikumsführung in diesem Konzert 'Transit'."
Nach dem Tod des langjährigen Leiters Armin Köhler gab es zwei Jahre eine Art Interregnum unter dem designierten Leiter Björn Gottstein. Der Jahrgang 2017 ist der erste, den Gottstein, der als Musikredakteur beim SWR arbeitet, inhaltlich selbst gestaltet.

Programmtipp: Wir übertragen am Freitag, 20.10.2017, um 20:03 Uhr das Eröffnungskonzert der Donaueschinger Musiktage.

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