Dominique Manotti: "Kesseltreiben"

Agitprop-Krimi aus Frankreich

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Wirtschaftskrimi aus Frankreich: Dominique Manottis "Kesseltreiben" © Cover: Ariadne-Verlag, Foto: dpa/Maurizio Gaumbarini
Von Thomas Wörtche · 22.06.2018
Um die geplante Übernahme eines französischen Konzerns entspinnt sich ein gigantisches Komplott von Banken, Mafia und US-Politik: Dominique Manottis "Kesseltreiben" ist Wirtschaftskrimi und Politthriller zugleich und ein Appell an Europa, sich zu wehren.
"Orstam" ist ein französischer Konzern, der Kraftwerksanlagen und Turbinen baut und weltweit agiert. Er gehört zur nationalen Schlüsselindustrie. Allerdings hat ein amerikanischer Konzern ein Auge auf Orstam geworfen und strebt eine Übernahme an. Weil man nicht davon ausgeht, dass die Franzosen dem ergeben zustimmen, werden Top-Manager des Konzerns unter Druck gesetzt. Gegen die konzertierte Aktion von US-Justiz, FBI und CIA bei gleichzeitiger Indolenz, Korruption und Beißhemmung (aus Gründen der Bündnis-Politik) der französischen Regierung kann das "Kesseltreiben" gegen Orstam nicht gut ausgehen. Zumal der Konzern keinesfalls saubere Pfötchen hat und schon längst von Menschen auf der amerikanischen Gehaltsliste unterwandert ist.
Dieses gigantische Komplott, bei dem es um 12 Milliarden Dollar geht, wird erst allmählich sichtbar, weil sich Commandant Nora Ghozali, die wir, wie auch andere Figuren der Pariser Polizei, schon aus früheren Romanen von Manotti kennen, und ihre Leute eher zufällig einschalten. Minutiös schildert der "Kesseltreiben", wie Schicht für Schicht des Gespinsts in mühsamer Kleinarbeit über allerlei Umwege und Abschweifungen freigelegt werden.

Wie ein Sachbuch mit Erzählhandlung

Manottis stilistischer Minimalismus erzeugt dabei den Eindruck eisiger Zwangsläufigkeit. Eine Art böser Determinismus setzt sich in Gang, der sich manchmal wie eine Art Sachbuch mit Erzählhandlung liest. Zumal für aufmerksame Leser des Wirtschaftsteils bald klar wird, dass die Affäre Orstam der sogenannten "Alstom Affäre" von 2013 bis 2015 nachgebaut ist, als General Electric (bei Manotti heißen die Bösen "PE") Siemens bei der Übernahme der "Alstom Énergie" wundersamerweise augebootet hatte.
Neben diesem Kernplot integriert Manotti noch den Schulterschluss der großen Banken mit der Mafia (verschiedener Nationalität), wenn es um Geldwäsche und verdeckte Zahlungen geht. Die Sex-Spiele der Reichen und Mächtigen und die "Honigfallen" der Geheimdienste, um wichtige Menschen zu diskreditieren, geben in "Kesseltreiben" den human factor her und stehen für die grundsätzliche Verderbtheit der "Eliten", die den Interessen des entfesselten Kapitalismus in die Hände spielt.

Anklage gegen die amerikanische Außenpolitik

Dagegen sind die aufrechten Polizistinnen und Polizisten, denen die gestandene Linke Manotti erstaunlich wohlgesonnen ist, die aber gegen die systemischen Kräfte als chancenlos gezeigt werden. Genauso chancenlos wie die Politik gegenüber dem Kapital ist. Das Kapital hat die Politik längst in der Tasche, zumindest die französische. Denn die amerikanische Politik handelt deckungsgleich mit der amerikanischen Wirtschaft – und nicht erst seit "America First", sondern genauso auch unter Obama. Insofern ist "Kesseltreiben" weniger ein Buch wider französische Verhältnisse, sondern eine Anklage gegen die amerikanische Außen- und Wirtschaftspolitik. Oder, wenn man so will, ein Appell an Europa, Widerstand zu leisten. Aber eine solche Vermutung liegt auf der interpretativen Ebene. Vielleicht würde sich Manotti nicht einmal dagegen wehren, den Begriff "Agitprop" neu entdeckt und besetzt zu haben.

Dominique Manotti: "Kesseltreiben"
Aus dem Französischen von Iris Konopik
Ariadne-Verlag, Hamburg 2018
397 Seiten, 20 Euro

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