Dokumentarfilmerin Laura Poitras

"Snowden war immer absolut direkt"

Die US-amerikanische Filmemacherin Laura Poitras
Die US-amerikanische Filmemacherin Laura Poitras © picture alliance / dpa / Britta Pedersen
Moderation: Patrick Wellinski · 01.11.2014
Sie ist die Frau, der sich Edward Snowden anvertraute: Dokumentarfilmerin Laura Poitras war die erste, die den Whistleblower filmen durfte. Im Gespräch verrät sie, wie es zu dem berühmten Treffen in Hongkong kam.
Deutschlandradio Kultur: Haben Sie sich nicht manchmal gefühlt wie eine Hitchcock-Figur, hineingeworfen in eine der größten Spionage-Verschwörungen unserer Zeit?
Laura Poitras: Darüber hatte ich bis jetzt noch gar nicht nachgedacht. Aber vielleicht steckt da ein Körnchen Wahrheit drin. Es fühlt sich schon so an, als wäre ich in etwas reingezogen worden, das ich so nicht geplant hatte.
Deutschlandradio Kultur: Als die ersten Mails von Snowden ankamen, stellten Sie die Frage, die sicherlich jeder von uns gefragt hätte: Warum ich? Und er antwortete Ihnen, dass nicht er sie ausgesucht hätte, sondern dass Sie sich selbst ausgesucht hätten. Hat Ihnen das sofort eingeleuchtet?
Poitras: Ja, das hat er gesagt, und auch, dass jede Grenze, die man überquert, jeder Freund, den man hat, jeder Einkauf, den man tätigt, entscheidend ist - da habe ich verstanden, was er meinte, nämlich, dass ich viele Jahre lang auf einer Beobachtungsliste war. Als er mir all das erzählte, sagte ich, "Moment mal - wer sind Sie? Sehen Sie sich gerade meine Akte an?" Aber er versicherte mir, dass er meine Akte nie gesehen, aber gelesen hatte, dass ich schon einmal festgehalten worden war und er deshalb dachte, dass ich mich für diese Geschichte interessieren würde.
Deutschlandradio Kultur: Warum haben Sie weiterhin Kontakt gehalten? Man könnte auch sagen: Nach drei Mails ist es vorbei und ich spreche nicht mehr mit ihm.
Poitras: Ich hatte ihn ganz am Anfang schon gefragt: "Woher weiß ich, dass Sie echt sind, dass Sie nicht versuchen, mir eine Falle zu stellen oder dass Sie nicht einfach verrückt sind?" Und er antwortete, dass ich die Dokumente bestimmt an offizielle Stellen weiterleiten würde, und anhand deren Antwort erkennen würde, dass die Dokumente echt sind und er nicht verrückt ist. Es könne auch deshalb keine Falle sein, weil er nichts von mir wissen wolle, sondern mir Informationen geben werde.
Edward Snowden in einer Szene des Dokumentarfilms «Citizenfour» (undatierte Filmszene). Laura Poitras half Edward Snowden, das Ausmaß der Überwachung durch amerikanische Geheimdienste aufzudecken. Nun ist ihr Dokumentarfilm «Citizenfour» fertig. Das Werk will mehr sein als ein «Snowden-Film».
Edward Snowden in einer Szene des Dokumentarfilms "Citizenfour"© picture alliance / dpa / Praxis Films
Dann schickte er auch noch ein paar E-Mails, die außergewöhnlich detailreich waren. Mein Instinkt sagte mir von Anfang an, dass ich dem Ganzen meine Aufmerksamkeit schenken sollte. Ich blieb aber skeptisch und wachsam, weil ich wusste, dass, wenn es denn eine Falle wäre, sie gefährlich sein könnte. Außerdem wusste ich, dass es, auch wenn es echt war und er diese Dokumente wirklich hatte, ebenfalls gefährlich war. Vor allem für ihn. Aber auch für jeden Journalisten, der damit arbeitet. Das war schon eine Art von Angst, die ich so in meiner vorigen Arbeit noch nicht erlebt hatte, obwohl ich viel in Krisengebieten gearbeitet hatte, weil ich wusste, dass die Leute die wir damit ärgern würden, unglaublich mächtig sind.
"Ich habe einige schlaflose Nächte gehabt"
Deutschlandradio Kultur: Also würden Sie heute sagen, dass Sie es nicht bereuen?
Poitras: Nein ich bereue es nicht. Ich habe in der Tat einige schlaflose Nächte gehabt, aber ich bereue nichts.
Deutschlandradio Kultur: "Citizenfour", ihr Film, ist aufgebaut wie eine Chronologie der Ereignisse. Erst die Kontaktaufnahme mit Snowden, dann das sehr berühmte Treffen in Hongkong im Hotel. Wir wissen schon sehr viel über die Gedanken Ihres Partners Glenn Greenwald, etwa wie er nach Hongkong gefahren ist zum ersten Treffen mit Snowden. Wir wissen aber nichts über Ihre Gedanken und auch aus dem Film erfährt man nichts.
Poitras: Ich denke, dass da egal welches Gefühl Sie selber aus diesem Film mitnehmen, mein Gefühl zu dieser Sache drin ist. Wenn man einen Film dreht oder ein Buch schreibt, kommuniziert man damit. Und hier handelt es sich um die Dokumentation über jemanden, der sein Leben aufs Spiel setzt, um etwas offen zu legen, von dem er glaubt, dass die Öffentlichkeit ein Recht hat es zu wissen.
Außerdem ist es eine Dokumentation darüber, wie Journalismus funktioniert. Ich glaube nicht, dass es die einzige Form zu kommunizieren ist, wenn man vor der Kamera steht und erzählt oder ein Interview macht. Vielmehr glaube ich, dass alles zusammen ein Bild ergibt, dass der Film durch viele Perspektiven erzählt wird - auch durch eine sehr subjektive, wenn ich z.B. am Anfang sage, dass ich auf einer Beobachtungsliste stand, man sieht, was mir an der Grenze passiert ist, ich bin also definitiv die Erzählerin des Films. Aber ich dokumentiere auch eine Begegnung, die zwischen Edward Snowden, Glenn Greenwald und Ewan McCaskill stattfindet, die zusammen die Dokumente durchsehen und entscheiden, was wann veröffentlicht werden soll.
Als ich in Hongkong war, dachte ich, dass das ein Moment war, der so nie wieder kommen würde, diese Menge an Informationen, die von einer der Organisationen mit der größten Geheimhaltung der Welt kam. Eine Quelle, die bereit war, unter ihrem eigenen Namen aufzutreten und identifiziert zu werden. Mit Glenn zusammen zu arbeiten, der so mutig in seinen Berichten war.
Das war eine historisch so besondere Gelegenheit, die ich einfach festhalten musste, nie wieder würde ich so einen Sitz in der erste Reihe haben. Und, ja, ich bin auch Teil dieser Erzählung. Man sieht die E-Mails, die sie an mich schicken, die Kommunikation zwischen Greenwald, Snowden und mir. Ich denke schon, dass sich der Eindruck einstellt, dass ich die Erzählerin bin.
"Ich mache Filme nicht, um Meinungen zu bilden"
Deutschlandradio Kultur: Die Bilder, die wir jetzt von ihm in Hongkong sehen sind anders als der kleine Film, der damals auf der Guardian-Homepage veröffentlicht worden ist. Das ist sehr humanisierend, sehr vermenschlichend. Wir kommen Snowden sehr nah, obwohl er immer sagt, es geht nicht um meine Person. Hatten Sie es darauf angelegt, dieses Material in ihrem Film zu verweben?
Poitras: Das war überhaupt nicht die Motivation des Films. Ich mache Filme als eine Art weiterreichende menschliche Erfahrung, nicht um Meinungen zu bilden, dafür nehme ich zu viele Risiken auf. Ich bin US-Bürgerin und ich nehme wahr, dass es in den USA eine moralische Verschiebung gegeben hat - wir haben die Folter legalisiert, wir haben Guantanamo, wir haben Drohnen, die über andere Länder fliegen und Leute töten. Und in diesem Kontext gibt es Leute, die enorme persönliche Risiken eingehen, Whistleblower und auch Journalisten, Glenn geht auch ein großes Risiko ein durch seine Berichterstattung, Leute, die bereit sind, vorzutreten und zu sagen: "Das ist es, was die Regierung macht", ich bin bereit, das Risiko einzugehen, das offen zu legen, weil die Regierungen versuchen, diese Dinge geheim zu halten.
Für mich ist das eine Menge Erzählmaterial - Leute die zu persönlichen Opfern bereit sind, um zu zeigen, was falsch läuft, etwas dagegen tun wollen und zumindest die Öffentlichkeit informieren. Und das sieht man in Hongkong. Das ist der Moment, an dem jemand den Punkt erreicht hat, an dem er bereit ist, das höchste Risiko einzugehen, Leute zu treffen, und etwas offenzulegen, das es ihm wert ist, seine persönliche Freiheit zu opfern, sein bisheriges Leben, um die Öffentlichkeit zu informieren. Das ist viel größer als die Frage nach der Menschlich-Machung der Protagonisten.
Aber, ja - man erhält auch ein Porträt von Snowden, das vorher so noch nicht erschienen ist, einfach weil in dieser Woche etwas Außergewöhnliches passiert ist. Normalerweise werden solche Treffen ja gar nicht gesehen, man muss sie aus der Erinnerung erzählen lassen, und das war eine Gelegenheit, bei der man Dank der daran beteiligten Personen vor Ort dokumentieren konnte, was geschah.
Es geht im Film auch sehr stark um Journalisten und Whistleblowers und die Angriffe, denen sie ausgesetzt sind. Die USA gehen sehr heftig gegen Whistleblower und Informanten vor und versuchen ihre Regierungsgeheimnisse zu schützen. Auch Journalisten werden überwacht, um herauszufinden, mit wem sie sprechen. Es geht also auch um Leute, die versuchen in einem repressiven Umfeld eine freie Presse aufrecht zu erhalten.
"Das, was er als seine Motivation beschreibt, ist echt"
Deutschlandradio Kultur: Am Ende würde ich noch gern zurück auf Snowden kommen und eine ganz einfache Frage stellen: Vertrauen Sie Snowden?
Poitras: Ja, er ist jemand, der immer absolut direkt war, in jeder Kommunikation, die wir hatten. Ob ich glaube, dass er die Informationen aus dem Gewissen eines Whistleblowers heraus an die Öffentlichkeit gebracht hat? Ja, absolut. Ich denke, dass wird sehr deutlich in dem Hotelzimmer, da sieht man, das ist jemand, der diese Entscheidungen trifft, weil er glaubt, dass es richtig ist, so zu handeln.
Das Publikum kann einverstanden sein mit seiner Entscheidung oder nicht, aber es ist praktisch unmöglich ihm eine andere Motivation als die des Whistleblowers zu unterstellen, es ist klar dass er nicht für eine andere Regierung arbeitet, was Teil der irren Unterstellungen war, die ihm gemacht wurden. Ich glaube, dass das, was er als seine Motivation beschreibt, echt ist.
Deutschlandradio Kultur: Ist denn jetzt "Citizenfour" ein weiteres Stück der journalistischen Aufarbeitung der NSA-Affäre oder ist das für Sie auch eine Art filmisches Werk in sich?
Poitras: Das ist eine interessante Frage. Ich denke, es ist wahrscheinlich beides. Als wir diesen Film begannen, wussten wir, dass er einige neue Informationen ans Licht bringen würde, aber wir wussten auch, dass der Film über die Zeit hinweg Bestand haben sollte. Alles, was im Film enthalten war, musste also über den reinen Nachrichtenwert hinausgehen, eine weiter reichende Bedeutung haben. Es gibt also diese Information, aber es gibt auch noch den anderen Aspekt.
Wir haben zum Beispiel einige Male die letzte Szene für unseren Verleih und die Koproduzenten gezeigt, dabei haben wir nur die Papierstücke gezeigt, aber nicht was sich dahinter verbarg, trotzdem war die Szene noch sehr dramatisch, wegen der Interaktion von Ed, Glenn und mir. Sie transportierte also noch dieses Gefühl von Drama, obwohl sie vollkommen von dem Nachrichteninhalt befreit war. Einem so langen dokumentarischen Format ist es eher möglich, größere Themen anzuschneiden, menschlichere, die über die bloße Nachricht hinausgehen.
Ich denke also, der Film funktioniert in beide Richtungen, als Information und als Aufnahme eines journalistischen Treffens, das in einem Hotelzimmer stattgefunden hat und globale Auswirkungen hatte - in diesem Sinne ist es also Journalismus, aber es gibt auch noch eine Erzählebene, die wir konstruiert haben, um bestimmte Themen in den Vordergrund zu rücken, zum Beispiel den vorigen und den aktuellen Whistleblower, diese Entscheidungen haben wir getroffen, welche Gegenüberstellungen da gemacht werden.
Mehr zum Thema