Dokumentarfilm "Die Temperatur des Willens" beim Filmfest München

Legionäre Christi mit Führungsproblemen

Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Der Gründer der "Legionäre Christi", Marcial Maciel, mit Papst Johannes Paul II. © picture alliance / dpa / Mauro Paola
Peter Baranowski im Gespräch mit Anne Françoise Weber · 25.06.2017
"Die Temperatur des Willens" bietet Einblicke in das Leben des Ordens der Legionäre Christi. Regisseur Peter Baranowski berichtet von einer Welt, die mit der Aufdeckung zahlreicher Fälle sexuellen Missbrauchs durch den Ordensgründer tief erschüttert wurde.
Anne Françoise Weber: In München läuft seit Donnerstag und noch bis zum 1. Juli das Filmfest. Dort hat heute ein ungewöhnlicher Dokumentarfilm Premiere: "Die Temperatur des Willens" von Peter Baranowski. Er begleitet Mitglieder des katholischen Ordens der Legionäre Christi. Er wurde 1941 von Marcial Maciel in Mexiko gegründet und gilt als erzkonservativ. Lange hatte er großen Erfolg und beste Beziehungen in den Vatikan. Doch schon in den 70er-Jahren gab es Hinweise, dass der Ordensgründer zahlreiche Minderjährige sexuell missbraucht hat. Erst 2006 wurden daraus Konsequenzen gezogen – harmlose Konsequenzen: Maciel wurde zu einem zurückgezogenen Leben ins Kloster geschickt.
Das alles ist aber nicht das Hauptthema des Films "Die Temperatur des Willens". Er zeigt Mitglieder der Legionäre Christi und der dazugehörigen Laienbewegung Regnum Christi in Deutschland bei Gesprächen, Veranstaltungen, Hausbesuchen und Messen und bietet damit Einblicke in ihr Denken und Handeln. Ich habe vor der Sendung mit dem Regisseur Peter Baranowski gesprochen, der den Film als Abschlussarbeit an der Hochschule für Fernsehen und Film München vorgelegt hat. Hat die Tatsache, dass sein Bruder Priester und im Orden der Legionäre Christi ist, den Zugang erleichtert, aber vielleicht auch die Distanz erschwert?
Peter Baranowski: Die Tatsache, dass mein Bruder dort aktives Ordensmitglied ist, also auch geweihter Priester, hat natürlich den Zugang erst mal erleichtert und auch für mich vom ganzen Denkgebäude erst möglich gemacht, weil ich in einer ähnlichen Art und Weise erzogen wurde wie mein Bruder. Ich würde mal sagen: konservativ katholisch. Aber natürlich, wenn man dann einen Film machen möchte und sich da auf eine auch kritische Art und Weise mit auseinandersetzen möchte, wofür mein Bruder und seine Organisation vielleicht heute stehen, dann hat das natürlich einige Auswirkungen darauf, wie man so einen Film dann konzipiert. Und deshalb ging da sehr viel Aufmerksamkeit in diese Überlegung, also, wie nähert man sich diesem Komplex? Und ich habe mich da in der Vorbereitung viel mit Filmen auseinandergesetzt, die sich umstrittenen Protagonisten widmen, und habe überlegt: Was gibt es denn da für Zugänge oder wie kann man sich dem nähern?
Weber: Sie haben sich dann für den Zugang entschieden, eigentlich als begleitende Kamera immer dabei zu sein, aber keine Kommentierung – außer an einer Stelle, über die wir gleich noch reden werden – einzuschieben, sondern wirklich den Leuten das Wort und das Bild sozusagen zu überlassen.
Baranowski: Genau, ich habe halt versucht, einen sehr beobachtenden Film zu machen, einen Film, der weniger meine eigene Problematik zum Thema hat, die ich vielleicht mit dem Orden haben könnte, als jetzt eher zu rekonstruieren, wofür die stehen und was die denken und wie die denken, und so dem Zuschauer es möglich zu machen, sich für die Dauer dieses Kinoerlebnisses in diese Welt einzufinden und ein eigenes Urteil zu fällen oder zu einer eigenen Ansicht zu kommen.
Schwieriger Umgang mit den Missbrauchsfällen
Weber: Es gibt eine Szene in Jerusalem oder in Israel jedenfalls, wo Ihr Bruder sich mit einem Pater unterhält, der ihn selbst wohl auch zu den Legionären gebracht hat und da mit ihm auch über den Umgang mit diesem schwierigen Ordensgründer spricht. Haben Sie da Ihren Bruder sozusagen zum Interviewer gemacht?
Baranowski: Ich glaube, das ist so ein bisschen rausgekommen in der Art. De facto ist das halt ein Gespräch, was die zu dem Thema geführt haben, was sie auch führen wollten, weil diese Auseinandersetzung mit diesem Ordensgründer natürlich etwas ist, was sie fast täglich beschäftigt. Ich würde nicht sagen, dass das, was mein Bruder da äußert, meine Meinung zu dem Thema ist, aber es ist schon so, dass er in dem Film dort ein bisschen als jemand an der Stelle rüberkommt, der diesem Pater Kelly mehr auf den Zahn fühlt, als ich das selber vielleicht so erwartet hatte.
Weber: Ich habe vorhin gesagt, Sie verlassen die Form nur an einer Stelle, und das ist genau die Stelle, wo es um die Missbrauchsfälle geht. Da blenden Sie erst mal Text ein, in dem das thematisiert wird, und dann zeigen Sie in Zeitlupe und mit Musik unterlegt eine Begegnung von Ordensgründer Maciel mit Johannes Paul II. Warum dieser Stilbruch? War das der einzige Weg, um dieses Thema erst mal so aufs Tapet zu bringen?
Szene aus Peter Baranowskis Dokumentarfilms "Die Temperatur des Willens"
Szene aus Peter Baranowskis Dokumentarfilms "Die Temperatur des Willens" © Filmfest München 2017
Baranowski: Auf jeden Fall. Wir haben für diesen Film, ich würde sagen, über 200, fast 300 Stunden Material angesammelt und natürlich ist es so, dass das Thema innerhalb dieser 200 Stunden vergleichsweise selten auftritt. Das heißt, man muss, wenn man sich auf so einen beobachtenden Ansatz einlässt, dann muss man halt nehmen, was man kriegt. Und man kriegt halt aber nicht alles. Und ich habe mich dem Zuschauer jetzt an der Stelle schon auch schuldig gefühlt, zumindest ein bisschen zu erklären, wovon da die Rede ist. Und die Szene mit der Zeitlupe, mit dem Papst und dem Gründer, das habe ich übernommen, das ist kein von mir selbst gedrehtes Material. Das ist Archivmaterial, das ich entnommen habe aus einer Art Werbevideo, das die Legionäre Christi zu, ich sage mal in Anführungszeichen: noch guten Zeiten selbst verbreitet hatten, um für sich Werbung zu machen, und wo natürlich besonders diese Nähe zu dem Papst gezeigt werden sollte. Und diese Ästhetik, Zeitlupe, Musik und so weiter, das ist eine Ästhetik, die ich auch interessant finde, weil sie auch etwas erzählt und von der ich mich auch stilistisch dadurch absetze, wie der Film sonst erzählt.
Weber: Interessant ist ja, dass an den Stellen, an denen das angesprochen wird, diese Missbrauchsskandale, es immer darum geht: Das war der Ordensgründer, der da ein Doppelleben geführt hat, das sollte aber nicht zurückfallen auf das Charisma unseres Ordens, also wir müssen das trennen und unser Orden ist trotzdem richtig und gut. Da wird auch nicht thematisiert, dass es weitere Missbrauchsfälle gegeben hat, die auch 2012 im Vatikan angezeigt werden. Ist da so eine Blindheit im Orden der Legionäre Christi?
Baranowski: Diese Argumentationsstruktur – Menschen sind fehlbar, die Lehre ist gültig –, die taucht ja überall auf, wo man sich mit der katholischen Kirche auseinandersetzt. Und die ist ja auf eine Art und Weise dann nicht so leicht angreifbar, selbst wenn es dann weitere Missbrauchsfälle gibt, bis man dann zu dem Punkt kommt, dass hier was systematisch im Alltag des Ordens falsch läuft oder laufen könnte. Das ist ein Schritt, den ich bei meinen ganzen Beobachtungen nicht wahrgenommen habe. Ich muss allerdings auch sagen, dass das Thema mit dem Missbrauch so in diesem Alltag, den ich in Deutschland beobachtet hatte, gar nicht so das dominierende Thema war, interessanterweise weder bei den Eltern, die da ihre Kinder hinschicken, noch jetzt in den Gesprächen oder so. Was halt schon auffällig ist, wie das dann hinter den Kulissen doch eine große Rolle spielt. Zum Beispiel wenn mein Bruder so ein Jugendcamp dort veranstaltet irgendwo in Bayern, dass der dann tatsächlich es auf sich nimmt, unter Umständen 20 Kilometer nachts ins nächste Kloster zu reisen, um dort zu übernachten, einfach damit er nicht auch nur in der Nähe der Kinder nächtigt.
Strenge Geschlechtertrennung und festgelegte Rollen
Weber: Interessant ist ja auch der Umgang mit den jungen Leuten. Einerseits werden da beim Frühstück Kriegserinnerungen vorgelesen und es gibt so eine ganz starke Geschlechtertrennung, Freizeiten für Jungs unter dem Titel "Get strong", für Mädchen unter dem Titel "Looking good". Das deutet auf so ganz festgelegte Geschlechterrollen hin und eine "Komplementarität der Geschlechter", wie es auch an einer Stelle heißt. Für mich klingt da totale Unterordnung der Frauen durch, also auch wenn manche vorkommen - es gibt auch "Gottgeweihte", die sich dem Orden anschließen. Aber haben Sie das nicht so erlebt, dass Frauen Menschen zweiten Ranges sind?
Baranowski: Ganz so kann ich es nicht bestätigen. Ich habe allerdings auch in meiner Beobachtung, die ja vor allem meinem Bruder folgt, vor allem solche Freizeiten begleitet, die für Jungen waren. Also, was richtig ist, ist, dass diese Ausbildung streng getrennt stattfindet, Mädchen für sich, meistens begleitet von einer Gottgeweihten, und dann die Jungs, begleitet von einem Priester. Ich habe das so verstanden, dass man davon ausgeht, dass es in diesem Alter für die Jugendlichen eine zu große Ablenkung von den eigentlichen Inhalten bedeutet, wenn man sich dann noch mit den Geschlechtern auseinandersetzen muss.
Weber: Und wer entscheidet sich für … also, gerade auch Regnum Christi, also die Laienbewegung? Da sieht man die Jugendlichen, man sieht aber auch Erwachsene in so einem Gesprächskreis. Was sind das für Leute? Ist das gutbürgerlich-biodeutscher Hintergrund? Das wäre so mein Eindruck.
Baranowski: Na ja, ich glaube, das ist halt das, wo es wirklich interessant wird. Denn die Frage ist ja: Welche Lücke schließen die Legionäre Christi eigentlich mit ihrem Angebot? Und ich glaube, das wird in dieser einen Szene ganz gut deutlich, wo an einem Tisch ein paar dieser Mitglieder sitzen und sich darüber austauschen, über ihre Unzufriedenheit in den Strukturen der Ortskirche. Und ich habe das Gefühl, dass das halt Leute sind, die schon auch aus allen Schichten kommen. Also, ich glaube, gutbürgerlich ist sicherlich, aber auch ganz andere. Also es gibt dort auch Legionäre Christi, die zum Beispiel aus der ehemaligen DDR kommen und überhaupt gar keinen religiösen Hintergrund mitbringen. Aber ich glaube, das sind Leute, die das Gefühl haben, dass die Ortskirche ihr spirituelles Interesse nicht mehr ganz abdeckt und sich von sehr vielen eher liberaleren Strömungen bestimmen lässt, und dadurch das aus ihrer Sicht Eigentliche des katholischen Glaubens ein bisschen aus dem Blick verlieren.
Faszinierende Zuwendung zum Ritual
Weber: Sie lassen viele Szenen mit Gesang, Anbetung, Stille lange stehen. Ist da das Faszinierende für Sie, an diesem Orden oder an der Bewegung?
Baranowski: Ich glaube, was die Legionäre Christi insbesondere natürlich vor dem Skandal tatsächlich für viele junge Menschen interessant und attraktiv gemacht hat, das ist durchaus auch diese Zuwendung wieder zum Ritual, zu diesem Heiligen, die vielleicht in der herkömmlichen Volks-, Ortskirche ein bisschen weniger betont wurde oder wird. Ich denke, dass das etwas ist und natürlich auch diese Ernsthaftigkeit, die dabei immer zum Ausdruck kommt. Also, das ist jetzt nicht nur ein Jugendclub, sondern wir glauben an das, was wir verkünden. Und wir stehen dafür ein, dass das nicht nur symbolisch gemeint ist, sondern dass zum Beispiel in der Eucharistie, also der Brotwandlung im katholischen Ritus, dass halt da sich wirklich quasi jedes Mal während der Heiligen Messe ein Wunder vollzieht und Jesus gegenwärtig wird. Und das ist, glaube ich, das, was junge Leute daran interessiert.
Weber: Der Film heißt "Die Temperatur des Willens". Wille kommt tatsächlich häufiger vor, das sollen alles willensstarke Männer sein, die sich eben für Jesus entscheiden. Aber wieso "Temperatur"?
Baranowski: Also auch die "Temperatur" ist ein Filmzitat. Mein Bruder ruft die Jugendlichen dazu auf, die Temperatur ihres Willens zu messen, um festzustellen, ob der Wille wirklich brennt. Und dieses Bild von einem brennenden Willen oder einem lauwarmen oder einem kalten Willen, das fand ich auf eine Art und Weise sehr treffend für das ganze Unterfangen, was wir da beobachten, weil die Legionäre ja nicht nur in ihrer Jugendarbeit, sondern auch als Organisation selber ziemlich großen Stresstests ausgesetzt sind, indem sie sich auch selbst behaupten müssen gegen sehr viele Widerstände. Und in Deutschland zum Beispiel ist das quasi ihr täglich Brot, sich auch mit Ablehnung, Kritik und Auseinandersetzung abfinden zu müssen.
Weber: Wie wurden Sie denn mit Ihrem Kamerateam aufgenommen? Wurde Ihnen mit Misstrauen begegnet? Ich habe auch gesehen am Schluss, dass Sie eine Rechtsberatung hatten. War das nötig?
Baranowski: Rechtsberatung war eigentlich bislang nicht nötig. Wir sind auf sehr, sehr wenige Barrieren gestoßen, eigentlich gar keine, was wir filmen durften. Also, wir durften eigentlich alles filmen und das habe ich auch sehr wertgeschätzt, dass es da keine Barrieren oder Absprachen und auch keine Schnittabnahmen im Übrigen gab. Natürlich gibt es dann immer Sachen, die man nicht filmen kann, wie zum Beispiel persönliche Gespräche zwischen dem Priester und den Jugendlichen, oder Beichten oder dergleichen, das geht natürlich nicht. Aber ansonsten gab es das eigentlich nie, dass die Kamera draußen bleiben musste. Also das haben wir als sehr, sehr positiv wahrgenommen.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Peter Baranowskis Dokumentarfilms "Die Temperatur des Willens" © Filmfest München 2017
Weber: Und ist Ihnen mit diesem Film die Welt Ihres Bruders vertrauter oder fremder geworden?
Baranowski: Das ist eine schwierige Frage, wenn man mit dem Film, so wie ich, sich fast drei Jahre auseinandergesetzt hat. Da gibt es dann so viele unterschiedliche Phasen. Also, ich glaube, als ich angefangen habe, mich mit dem Film zu beschäftigen, da war es eigentlich in meinem Leben ein ganz guter Zeitpunkt, weil ich zu dieser Welt, die da gezeigt wird, eine ziemlich solide kritische Distanz aufgebaut hatte, aber gleichzeitig auch noch ein Interesse dafür hatte, und zu verstehen, wie mein Bruder, mit dem ich in den letzten 15 bis 20 Jahren recht wenig Kontakt hatte, wie der jetzt da sein Leben lebt. Und ich würde sagen: Auf einer persönlichen Ebene sind wir uns natürlich dadurch sehr viel nähergekommen, weil das ja auch was mit Vertrauen zu tun hat, einen filmen zu lassen. Also, da ist, glaube ich, doch einiges passiert. Was jetzt die weltanschauliche Nähe angeht, da weiß ich nicht genau, ob sich da so viel aus beider Perspektive getan hat. Aber ich finde es halt einfach toll, dass der Film ihn dann auch mal in meine Welt, in das Kino bringt, und dass ich die Möglichkeit hatte, hautnah zu erleben, was er da so macht.
Weber: Vielen Dank, Peter Baranowski, Regisseur des Films "Die Temperatur des Willens", der heute beim Filmfest München Premiere hat.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema