Documenta-Radio SAVVY-Funk

Radio im Ausnahmezustand

Eine junge Frau mit Kopfhörer lacht und tanzt zur Musik.
Am Ende der Talkshow tanzen alle: die Künstler, die Kollegen von der nächsten Sendung, ein paar Galeriebesucher und der Tontechniker. © imago/Westend61
Von Gerd Brendel · 27.06.2017
Das documenta-Radio Savvy-Funk aus Berlin präsentiert Kunst zum Hören als 24-Stunden-Vollprogramm. Dort gibt es gesungene Nachrichten. Und das Wetter wird audiophon eingespielt. Ein Sendetag in der SAVVY-Galerie in Berlin-Wedding – im Ausnahmezustand.
In den Nischen an der Wand standen früher Urnen, jetzt bieten sie die Kulisse für eine 12-stündige Unterbrechung des normalen Sendebetriebs des documenta-Radios. "Emergency" – Notstand, Notfall, flüstert Tim Etchells von "forced entertainment" immer wieder. So klingt sie also, die Katastrophe, wenn alle Systeme versagen, die politischen, die wirtschaftlichen, die technischen und eben auch der normale Sendeablauf. Was in den Comptersystemen auch dieses Senders als Audio-Dateien schlummert, und hoffentlich nie zur Ausstrahlung kommt, das documenta-Radio Savvy-Funk erlaubt sich wie weiland Orson Wells mit seinem Hörspiel "Krieg der Welten" den radiophonen Ausnahmezustand als Dauerperformance. Die Gründe für den Notstand erfahren die Hörer nicht. Aber liegen die nicht auf der Hand?
"Der Notstand ist doch schon längst ausgebrochen", sagt Tito Valery, Journalist und Radiomacher aus Kamerun. "Weil Donald Trump Präsident ist, weil keiner mehr sicher ist vor Terroristenbomben, die jeden töten egal ob Weiße, Araber oder Schwarze und weil Europa dringend begreifen muss, dass man die Arbeitskraft von Migranten nicht ohne die Menschen dahinter haben kann."
Nach dem Notfallprogramm geht Tito Valery mit seinem Magazin auf Sendung: "Ich und meine Umstände ist eine Morgen-Talkshow, mit Künstler als Gästen aber eigentlich geht es mehr um die Person als um die Kunst.
"Wie findest du einen Freund, wenn du in einer fremden Stadt ankommst?", fragt Valery seine Gesprächspartnerin Natalie Mba Bikoro, eine Künstlerin aus Gabun.
Dann erzählt Tito erstmal von seinen eigenen Erfahrungen auf fremden Flughäfen. Am Ende der Talkshow tanzen alle: die Künstler, die Kollegen von der nächsten Sendung, ein paar Galeriebesucher und der Tontechniker. Dass der darüber die Playlists durcheinander wirft und einen falschen Abschiedssong abfährt. Egal.

Die Radio-Formen werden parodiert

Zeit für die Nachrichten: Die Nachrichten des gestrigen Tages gesungen. Anschließend folgt der Wetterbericht - was denn auch sonst - nur dass hier das Wetter wirklich zu hören ist.
"Für mich hat der Wetterbericht immer was von Horoskop."
Der belgische Künstler Givan Bela sendet quasi sein ganz eigenes Wettergefühl: Aufnahmen von Wind und Regen, abwechselnd mit Gedichten über Wolken oder einer Weather-Soap, in der Bela Menschen zum Einfluss des Klimas auf ihr Liebesleben befragt. Auf den Nachrichten-Wetterblock ein Magazin mit der Überschrift: Science- Noscience, Wissenschaft- Nichtwissenschaft, dann ein Musikmagazin und so weiter.
Die Formen werden parodiert, aber dahinter präsentieren die Radiomacher ihre sehr eigene Sicht auf die Welt. Statt Politiker sind die Künstler die Stars, statt Krisenexperten sind Utopie-Experten gefragt, die sich für Grundeinkommen oder einen Weltbürgerpass einsetzen. Und die Utopie im Kleinen wird in den Senderäumen nicht nur vor dem Mikros gelebt. Zum Essen finden sich Radiomacher, Besucher und Freunde zusammen.
"Wir machen dieses Programm für Menschen", sagt Elena Gudio, eine der drei Kuratoren, "für Menschen, die daran glauben, dass eine andere Welt möglich ist, nicht für kindische Träumer und Spinner, sondern für Menschen, die daran glauben, dass es mehr als eine Sichtweise auf die Welt gibt, mehr als eine Erkenntnismöglichkeit."

"Unmögliche Instrumente" im Klanglabor des documenta-Radios SAVVY Funk aus der Sendung Tonart (11:00 min.):