Documenta

Das Parlament der Körper debattiert

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Georgia Sagris Performance "Attempt. Come."(2016) bei der documenta 14 mit Parko Eleftherias © Stathis Mamalakis / documenta
Von Ludger Fittkau · 29.04.2017
Von drögem Parlamentarismus keine Spur: In Athen diskutiert die documenta im "Parlament der Körper" über den erstarkenden Nationalismus in Europa. Die Performancekünstlerin Georgia Sagri zeigt dabei als "Schmerzmaschine" vollen Einsatz.
Jedes Parlament hat eine Lobby. Einen Ort, wo sich die Parlamentarier außerhalb des Plenarsaales versammeln können, die gerade gehörten Reden diskutieren, die sogenannten "Lobbyisten" oder auch Journalisten treffen können. Getanzt wird in einer Parlamentslobby eher selten. Beim "Parlament der Körper" der documenta 14 war das an diesem Wochenende in Kassel anders.

Der Körper als Schmerzmaschine

Wer die Lobby betrat, stieß auf eine einsam vor sich hin tanzende Frau, die 38 Jahre alte Athenerin Georgia Sagri. In einer stundenlangen Performance wechselten ihre Bewegungen zwischen völliger Erstarrung und Tanzschritten, die oftmals in Verzweiflungs-Ausbrüchen endeten. Der Körper der heute in New York lebenden Griechin wird zur Schmerzmaschine. Hannah Arendt und Judith Butler sind die Denkerinnen, die Georgia Sagri heranzieht, um ihre Aktion zu erklären:
"Meine Arbeit ist in dem Sinne feministisch, dass sie die Öffentlichkeit braucht, um sichtbar zu machen, dass reale Kämpfe, auch Körperkämpfe existieren, und um sie zu einem gesellschaftlichen Thema zu machen. Feminismus muss die Geschlechter-Polaritäten sichtbar machen, die durch Erziehung entstehen. Und sie muss diese bekämpfen und sie überwinden."
Dass ein schmerzerfüllter Frauenkörper den Weg in den Plenarsaal des documenta-Parlamentes weist, ist auch ein Hinweis darauf, dass es kein fröhliches Parlament ist, das hier zusammenfindet. Die politischen Verhältnisse sind nicht so. Zieht in Europa und in Amerika ein neuer Faschismus auf? Diese Frage spinnt sich seit Monaten wie ein roter Faden durch die Veranstaltungen des documenta 14-Teams in Athen und in Kassel.

Faschistisches Denken in der politischen Elite

Der in Kroatien geborene und seit langem in Berlin lebende Kulturwissenschaftler Boris Buden verdeutlichte anhand eines Gedankenspiels, wie sehr faschistisches Denken bereits die politische Elite seines Geburtslandes Kroatien prägt:
"Können Sie sich die deutsche Kulturstaatsekretärin vorstellen, von der in einer Zeitung ein Jugendfoto veröffentlicht wird, auf dem sie Nazi-Symbole trägt?Natürlich können Sie sich das nicht vorstellen. Oder Bundespräsident Steinmeier nach dem Besuch eines Fußballspiels der deutschen Männer-Nationalmannschaft im Berliner Olympiastadion, wo während des Spiels viele deutsche Fans 'Sieg Heil" brüllen. Hinterher wird hinterher von Journalisten nach seinen Eindrücken gefragt und antwortet: 'Eine wundervolle Atmosphäre!'"
Solche Ereignisse seien aber inzwischen in der kroatischen Staatsspitze beinahe alltäglich geworden, beklagt Boris Buden.

Wie Nationalismus und Rechtsradikalismus entgegen treten?

Wie aber sieht ein mögliches Vordringen nationalistischen Gedankengutes oder gar rechtsradikaler Gewalttaten in den beiden diesjährigen Documenta-Städten Athen und Kassel aus? Gibt es eine Möglichkeit, Antifa-Initiativen zu vernetzen? Das war das Thema einer großen Podiumsrunde heute Nachmittag, an der Aktivist_innen aus beiden Städten teilnahmen. Ebenso wie Mitglieder einer Kasseler Initiative, die sich seit langem dafür engagiert, dass das Kasseler NSU-Opfer Halit Yozgat nicht vergessen wird. Der Mord an Yozgat vor elf Jahren war schon bei der Eröffnungs-Pressekonferenz in Athen Anfang April ein Thema. Aber in Griechenland gibt es auch aktuell mit der paramilitärischen "Goldenen Morgenröte" eine gefährliche Faschistenorganisation, die ebenfalls vor brutaler Gewalt nicht zurück schreckt.
Der griechische Filmemacher Aris Chatzistefanou, zeigte heute seinen Dokumentarfilm "Fascism Inc", in dem er sich mit rechtsextremen Tendenzen in Griechenland und Europa auseinandersetzt. Er berichtete anschließend von einem aktuellen Übergriff möglicherweise rechter Schläger auf einen befreundeten Kameramann in Athen. Die Schläger stehen wohl im Dienste eines griechischen Oligarchen, der in einem kleinen Wald bei Athen ein Stadion bauen will und Bürgerprotesten mit Gewalt begegnet:
"Mein Kollege ist jetzt im Hospital. Dort wird er heute oder morgen operiert, um sein Auge zu retten, wegen dieser Attacke."
Dieses erschreckende Geschehen zeigt: die konkreten Bedingungen für antifaschistische Arbeit in Athen unterscheiden sich von dem, was heute in Kassel und Umgebung zu tun ist, wo die kleinen gewaltbereiten Gruppen von Rechtsradikalen keinerlei Unterstützung des gesellschaftlichen Establishments bekommen.

Ko-Existenz von Norden und Süden

Die Athener Künstlerin Georgia Sagri dämpft jedenfalls die Erwartungen an ein antifaschistisches Nord-Süd-Bündnis womöglich noch über Europa hinaus bis nach Afrika:
"Es geht nicht darum, dass der Norden und der Süden eins werden sollen. Es geht darum, wie der Norden und der Süden es zustande bringen, zu koexistieren. Das ist bereits schwer genug, nach einer jahrhundelangen Geschichte von Kriegen und Gewalt. Es geht also um eine Koexistenz von ungleichen Rationalitäten und Erfahrungen, aber dabei auch um die Unterschiede."
Dazu kann eine Doppel-Documenta in Athen und Kassel sicherlich beitragen. Das "Parlament der Körper" wird aber wohl wegen der großen Unterschiede bei den lokalen Bedingungen für Kulturproduktion und der politischen Arbeit sicher eher eine sporadische Einrichtung bleiben. So charmant es auch ist, sich ein Parlament voller Künstler vorzustellen, in dessen Lobby getanzt wird.
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