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Warum schreiben und lesen wir Tagebücher und Weblogs?

Eine Frau schreibt ihre Gedanken und Gefühle in einen Schreibblock.
Tagebuch schreiben © picture-alliance/ dpa - Kai-Uwe Heinrich
Moderation: Dieter Kassel · 06.12.2014
Was haben Thomas Mann, Andy Warhol und Virginia Woolf gemeinsam? Sie alle haben Tagebuch geschrieben. Das Bedürfnis, regelmäßig das Leben festzuhalten, wird mittlerweile auch auf digitalen Wegen befriedigt. Unterhalten Sie sich mit uns über das Phänomen!
Das bekannteste Tagebuch dürfte das der Anne Frank sein; es wurde in 70 Sprachen übersetzt und 2009 von der UNESCO in das Weltdokumentenerbe aufgenommen. Als Online-Tagebuch hatte zuletzt das Blog "Arbeit und Struktur" von Wolfgang Herrndorf ein großes Leser-Echo; der Autor, der sich im August 2013 das Leben genommen hat, berichtete darin von seinem Alltag nach seiner Krebs-Diagnose.
Warum schreiben und lesen wir Tagebücher, warum berühren sie uns so sehr? Welche Bedeutung haben Tagebücher als Zeitzeugnisse? Sind Weblogs die neuen Tagebücher? Was heißt noch "privat" in Zeiten von Weblogs, Facebook & Co?
"Tagebuchschreiben ist eine Form von Therapie", sagt die Gründerin des Deutschen Tagebucharchivs, Frauke von Troschke. "Einem Tagebuch kann man alles sagen, es ist unendlich geduldig, widerspricht oder korrigiert niemals. Das tut gut und kann zudem einen Denkprozess in Gang setzen."
Das Archiv in Emmendingen, zu dem seit kurzem auch ein Museum gehört, umfasst 13.000 private Lebensgeschichten von 1760 bis heute: Tagebücher, Erinnerungen und Briefwechsel aus dem deutschsprachigen Raum, darunter auch viele Kriegszeugnisse. "Sie zeigen das pralle Leben abseits der großen Schlachten, die in den Geschichtsbüchern auftauchen. Ich finde es unglaublich spannend, wie Leben stattfinden kann. Man kann sich mit vielem identifizieren, viel lernen, und nicht selten relativieren sich beim Lesen die eigenen Probleme."
Wie unterschiedlich sind Tagebuch und Weblog?
Ihr Archiv präsentiert ausschließlich klassische Tagebücher, keine Blogs oder Online-Tagebücher: "Das ist was völlig anderes; Tagebuch schreibt man mit sich selber – und ein Weblog setzt man ins Netz und will 'ne Antwort haben. Und man schreibt im Bewusstsein der andere liest das. Und das verändert, was und wie viel man von sich preisgeben kann."
Der Blogger Julian Finn versucht beide Welten zusammenzubringen: Der Informatiker hat die Kriegstagebücher seines Urgroßvaters Hans Pauleit aus den Jahren 1914 bis 1918 rekonstruiert und veröffentlicht sie als Echtzeit-Blog, jeweils auf den Tag genau 100 Jahre nach den Ereignissen."Mein Opa hat das Tagebuch noch als eine Art Trauma-Therapie genutzt; es hat ihm geholfen, die Ereignisse zu überwinden." Die handschriftlichen Erinnerungen umfassten zehn Bände, die der Urgroßvater nach dem Krieg abtippte und als Buch binden ließ. Nun wird es von seinem Urenkel sukzessive digitalisiert, unter dem Titel: "1914-1918 – Die Entwicklung der Dinge". Für den 34-Jährigen ist das Leben und Schreiben im Netz Alltag, ob in seinen Blogs, bei Facebook, Twitter oder als Online-Tagebuch bei shortdiary.me. Er nutzt sie sehr differenziert: "Das sind völlige Unterschiede: Ein Tagebuch ist sehr persönlich: Das bin ich. Online bin ich die Person, die ich mehr oder minder in der Öffentlichkeit darstelle."

Warum schreiben und lesen wir Tagebücher und Weblogs? Darüber spricht Dieter Kassel heute von 9:05 bis 11 Uhr mit Frauke von Troschke und Julian Finn. Hörerinnen können sich beteiligen und Fragen stellen unter der Telefonnummer 00800 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@deutschlandradiokultur.de.