Diskussion um vermeintliches Wundermittel

Mediziner lehnt Methadon in der Krebstherapie ab

Durch ein Mikroskop ist der Anreicherungsprozess von Nanopartikeln in Krebszellen zu sehen.
Erforschung von Krebszellen am Mikroskop. © Jan Woitas/dpa-Zentralbild
Lukas Radbruch im Gespräch mit Dieter Kassel  · 23.06.2017
Ein Wundermittel gegen Krebs? Derzeit wird in den Medien über den Einsatz von Methadon im Kampf gegen Krebs diskutiert. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, Lukas Radbruch, hält davon allerdings wenig.
Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, Lukas Radbruch, kritisiert die aktuelle Diskussion um den Einsatz von Methadon in der Krebstherapie. Es gebe keine Untersuchung am Menschen, dass der Einsatz des Schmerzmittels Vorteile habe, betonte der Mediziner am Freitag im Deutschlandfunk Kultur. Selbst in der Schmerztherapie sei die Ersatzdroge nicht das Mittel der ersten Wahl.

Negative Wirkungen von Opiaten bei der Krebsbehandlung

Vor zwei Jahren sei vielmehr diskutiert worden, ob Opiate unter Umständen einen schädlichen Effekt bei der Behandlung von Krebserkrankungen haben. "Unsere Erfahrung ist, dass diese Medikamente, wenn sie so eingenommen werden, auch vielleicht schädlich sein können für den Körper", so der Palliativmediziner.

Das Geschäft mit der Hoffnung

Radbruch äußerte zugleich Verständnis dafür, dass sich Menschen nach einer Krebsdiagnose an jeden "Strohhalm der Hoffnung" klammern. "Leider werden mit diesen Strohhalmen dann auch Geschäfte gemacht", kritisierte Radbruch.
Im Bereich der Schmerz- und Palliativmedizin gebe es in Deutschland insgesamt große Fortschritte, aber auch noch "weiße Flecken auf der Landkarte". Das gelte besonders in ländlichen Regionen für den Zugang zu Schmerztherapeuten und Palliativstationen, aber auch für die Behandlung von Menschen in Pflegeeinrichtungen, Kindern oder Menschen mit Migrationshintergrund.
(uz)
________________________________________________________________________

Das Interview im Wortlaut

Dieter Kassel: In Berlin beginnt heute der Kongress des Berufsverbands der Ärzte und psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin, ein Kongress, der diesmal die Überschrift trägt "Schmerzmedizin der Zukunft – Wege zur Sicherung der Versorgung", woran man schon merkt, in diesem Bereich der Medizin, der oft nicht so in den Medien vorkommt, weil er nicht so sensationsträchtig ist wie manches andere, ist auch nicht alles so, dass man sich nicht darum kümmern und nicht darüber reden sollte. Deshalb wollen wir jetzt über die Betreuung von Schmerzpatienten, aber auch über die Palliativmedizin, also die ärztliche Betreuung von Menschen, die sterben müssen, sprechen mit dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, mit Professor Lukas Radbruch. Herr Radbruch, einen schönen guten Morgen!
Lukas Radbruch: Guten Morgen!
Kassel: Durch die Medien wird in letzter Zeit wieder eine Substanz gejagt, die in einem anderen Zusammenhang schon vielen bekannt ist, die aber jetzt sehr häufig im Zusammenhang mit regelrechten Wunderheilungen im Bereich von Krebserkrankungen genannt wird, Methadon nämlich. Ist Methadon tatsächlich auch aus Ihrer Sicht ein Mittel, das vielen Krebspatienten im Moment Hoffnung geben sollte?
Radbruch: Nein, leider nicht, es sei denn, man nimmt es zur Schmerztherapie ein, aber dann ist es eigentlich auch nicht das Mittel der ersten Wahl. Es ist ein bisschen bedauerlich, weil das im Moment tatsächlich ja wirklich gerade in den Medien sehr positiv dargestellt wird. Man muss aber wirklich klar sagen, es gibt keine Untersuchung am Menschen, die zeigt, dass das einen Vorteil hat. Ich bin dabei etwas verwundert, weil vor nicht ganz zwei Jahren wurde sogar diskutiert, ob Methadon und ähnliche Medikamente, also alle Opiate nicht sogar einen schädlichen Effekt auf Krebserkrankungen haben, sodass der Krebs schneller wächst unter diesen Medikamenten. Also das passt irgendwie nicht zusammen, und unsere Erfahrung ist auch wirklich, dass das eher negativ ist und dass diese Medikamente, wenn sie so eingenommen werden, dann auch vielleicht schädlich sein können für den Körper.

Patienten ergreifen jeden Strohhalm der Hoffnung

Kassel: Seit ich die Berichterstattung beobachte, also nicht unbedingt als jemand, der selber Journalist ist, sondern auch als Leser und Zuschauer, und das sind denn doch schon ein paar Jahrzehnte, habe ich so das Gefühl, gerade was Krebs angeht, wird alle paar Jahre ein neues Wundermittel genannt, das dann endlich sämtliche Krebsarten heilen soll. Und wenn ich mich richtig erinnere, hat das eigentlich in keinem Fall wirklich gestimmt. Haben Sie eine Erklärung für diese fast schon periodischen Wundermeldungen?
Radbruch: Das ist halt eine furchtbare Situation, in der Patienten sind, die plötzlich diese Diagnose einer so schlimmen Krankheit kriegen, in vielen Fällen auch verbunden mit der Aussage, dass man das eben nicht mehr heilen kann, dass man daran sterben wird in vielleicht kurzer Zeit. Und das ist natürlich etwas, wo man sich an jeden Strohhalm der Hoffnung klammert. Leider werden eben dann auch mit diesen Strohhalmen dann Geschäfte gemacht. Also insofern ist das ja gar nicht so verwunderlich, dass da immer neue Wundermittel auftauchen. Bleibt aber eben leider nur nichts übrig. Ich bin immer ganz beeindruckt von zum Beispiel den Kollegen im Krebsforschungszentrum in Heidelberg, die sagen, dass sie jedem dieser Nachweise nachgehen, die bieten jedem an, dass er seine besten Fälle liefert, und da werden eben auch wirklich tatsächlich immer wieder Meldungen eingereicht von irgendwie möglichen exotischen Dingen. Nur leider sagen die Kollegen, da bleibt nichts bei übrig. Also wenn man das nachverfolgt, dann sind leider diese Menschen, die laut dem Behandler schon geheilt sein sollen, dann mittlerweile doch gestorben oder sie haben dann, wenn es ihnen besser geht, auch eine Chemotherapie bekommen, die das eher erklärt. Wie gesagt, das ist ein Geschäft mit der Hoffnung oder ein Umgang mit der Hoffnung, aber leider eben gibt es bis jetzt kein Wundermittel, auch wenn die Krebsforschung Fortschritte macht.

Wertvolle Zeit geht verloren

Kassel: Aber ist das nicht sogar auch neben natürlich anderen Dingen für Palliativmediziner wie Sie ein Problem im Alltag. Es ist natürlich schwierig, einem Patienten zu sagen, dass er wohl wird sterben müssen, dass ein Arzt nichts mehr für ihn tun kann, aber wird es nicht noch schwieriger, wenn der Patient einem dann sagt, das glaub ich aber nicht, ich war im Internet, es gibt doch noch Sachen, die man machen kann.
Radbruch: Ja, vor allen Dingen tut es mir dann oft leid um die Patienten, weil wenn wirklich nur wenig Zeit verbleibt im Leben, dann hat man doch das Gefühl, dann sollten die Menschen auch das tun, was ihnen noch wichtig ist, ob es nun eine Reise ist oder mit der Familie zusammen sein. Und wenn stattdessen eben wirklich viel Geld ausgegeben wird und vor allen Dingen aber auch viel Zeit verschwendet wird mit Dingen, die wirklich sinnlos sind und wo man als Außenstehender sagt, warum macht der das, da blutet mein Herz, weil ich wirklich finde, man sollte sich da nicht vom Wesentlichen ablenken lassen. Ich weiß nicht, wie ich in so einer Situation reagieren würde, und ich kann auch verstehen, dass dann Menschen in so einer Betroffenheit dann auch wirklich sagen, ja, dann mach ich halt was, warum nicht, weil irgendwie war eine ganz winzige Chance, und dann hab ich wenigstens das Gefühl, ich hab's versucht, dann probieren wir's halt. Ich kann dann auch manchmal Patienten verstehen, die dem Strohhalm nachjagen, aber wie gesagt, als Behandler ist man manchmal schon sehr betroffen und denkt dann, um Gottes Willen, da wird viel Zeit, wertvolle Zeit und eben auch viel Geld verschwendet.

Große Fortschritte in der Palliativversorgung

Kassel: Geld ist ein Stichwort, mit dem wir auf diesen Kongress kommen können, wobei ich gar nicht über den Kongress mit Ihnen reden möchte, sondern über diese Überschrift, die mich nachdenklich gemacht hat: "Schmerzmedizin der Zukunft – Wege zur Sicherung der Versorgung". Da klingt ja so ein bisschen an, dass Ihre Kollegen dort davon ausgehen, dass durchaus Probleme zu lösen sind, was die Versorgung von Schmerzpatienten angeht und auch die Betreuung im Sterbefall. Wie sehen Sie denn die Situation in der Bundesrepublik, ist da alles halbwegs ordentlich geklärt im Moment?
Radbruch: Nein, es ist schon so, dass in den letzten 20 Jahren unglaubliche Fortschritte gemacht worden sind, sowohl in der Schmerzbehandlung wie in der Palliativversorgung. Also es gibt Behandlungsmethoden, auch sehr komplexe Behandlungsmethoden, die sehr konsequent in guten Zentren umgesetzt werden. Also zum Beispiel für chronische Schmerzen gibt es die sogenannte multimodale Schmerztherapie, dass also wirklich in einem sehr strukturierten Programm die Mediziner, Pflegenden, Soziologen, Physiotherapeuten alle zusammenarbeiten und dass man mit diesem Programm weiß, dass man mittlerweile bei den Menschen mit chronischen Schmerzen vielleicht nicht immer die Schmerzen wegkriegt, aber zumindest wieder erreichen kann, dass sie arbeiten können. Und in der Palliativversorgung ist es auch so, dass wir mittlerweile Palliativstationen und Hospize haben und ambulante Dienste und ehrenamtliche Verbände, die auch mittlerweile für viele Patienten viel erreichen. Aber es gibt eben immer noch weiße Flecken auf der Landkarte, es gibt Regionen, wo es nicht gut funktioniert. In vielen ländlichen Bereichen ist der Weg zum nächsten Schmerztherapeuten sehr weit und der Weg zur nächsten Palliativstation auch, und es gibt bestimmte Gruppen – zum Beispiel Menschen in Pflegeeinrichtungen finden oft keinen Zugang, das gilt sowohl für Schmerz- wie für Palliativversorgung. Und es gibt noch viele andere Gruppen, wo wir sagen, da muss noch viel passieren, damit das besser wird. Für die Palliativversorgung haben wir im letzten Jahr eine Charta verabschiedet zur Versorgung Schwerstkranker in Deutschland mit vielen, vielen Einrichtungen im Gesundheitswesen und vielen Politikern im Hintergrund, und da sagen wir ganz klar, in 15 Handlungsfeldern gibt es noch Handlungsbedarf. Das gilt für Lehre und Forschung und Menschen mit Migrationshintergrund und Kinder – alle die werden im Moment noch nicht ausreichend versorgt. Also es muss noch viel passieren.
Kassel: Das will ich meinen bei 15 Feldern. Da werden wir, glaube ich, auch in Zukunft noch einiges zu besprechen haben. Vielen Dank erst mal für heute! Das war Lukas Radbruch, er ist der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Herr Radbruch, danke fürs Gespräch!
Radbruch: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema