Digitalisierung

Versöhnt mit den Geheimdiensten

Lichtinstallation während der DLD (Digital-Life-Design) Konferenz in München
"Big Data" als Lichtinstallation auf der DLD (Digital-Life-Design) Konferenz in München © picture alliance / dpa / Foto: Sven Hoppe
Von Vera Linß  · 04.08.2014
Allen Enthüllungen Edward Snowdens zum Trotz scheinen viele mit der digitalen Überwachung leben zu können. Zu dieser Erkenntnis kommt der Medienwissenschaftler Roberto Simanowski in "Data Love". Er warnt vor den Gefahren der Datensammelwut.
Internet-Dystopien füllen inzwischen ein ganzes Bücherregal. Auch dieses Buch gehört zur Vielzahl der Veröffentlichungen, die in den letzten Jahren immer wieder vor dem Ende der Demokratie gewarnt haben. Denn, so klagt auch Roberto Simanowski, wie gefährlich die Überwachung durch digitale Medien ist, werde weitgehend unterschätzt – mit bedrohlichen Folgen. Wie alle vor ihm hat auch Simanowski kein Rezept dafür, wie man das scheinbar Unvermeidliche noch stoppen kann. Dennoch lohnt es, sein Buch zu lesen. Denn die große geniale "Einsicht" ist aufgrund des aktuellen Stands der Technik nicht zu erwarten. Doch der Medienwissenschaftler, der an der Universität Hongkong lehrt, bringt eine erweiterte Perspektive in die Diskussion ein.
Die Digital Natives kritisch hinterfragen
Und das ist aus Sicht von Simanowski auch nötig. Er kritisiert, dass die von Edward Snowden ausgelöste Debatte nicht an den kulturellen und gesellschaftlichen Wurzeln ansetzt, die Überwachung überhaupt erst erlauben. Die Gesellschaft, so meint er, hätte sich längst mit den Geheimdiensten versöhnt. Das sieht er daran, dass ein Großteil der Bevölkerung seit langem mit dem "Kontroll- und Überwachungssystem der digitalen Medien" kooperiert. Diese "radikale Digitalisierung" der Gesellschaft durch "immer neuen Kohorten vor allem der Digital Natives" müsse man kritisch hinterfragen.
Konkret zählt er – rückblickend, in der Rolle eines fiktiven Berichterstatters aus der Zukunft – beispielhaft auf, was ihm Sorge macht. Etwa die narzistische Kultur der Selbstvermessung durch digitale Schritt-, Puls- und Schlaftracker. Oder, dass die Politik, während Deutschland im WM-Halbfinale gegen Italien spielte, ein Gesetz verabschiedet hat, mit dem sie Bürgerdaten an die Industrie verkaufen darf. Unheimlich erscheint auch die Idee der britischen Supermarktkette Tesco, seine Angestellten mit Vermessungsarmbändern auszustatten, um die Arbeit "logistisch zu erleichtern".
Selbstbild unserer Gesellschaft
Dass da der Schritt zur Dystopie der totalen Überwachung, die Roberto Simanowski anschließend zeichnet, nur ein kleiner ist, kann man zumindest nachvollziehen. Spannender aber ist seine Analyse, was diese übergroße Liebe zu Daten, die "Data Love", die er diagnostiziert, über das Selbstbild unserer Gesellschaft aussagt. Denn wenn überhaupt, so sein Schluss, lässt sich im Diskurs darüber ein Umdenken erzielen.
Im Rückgriff auf Philosophie, Literatur und heutiger Geisteswissenschaft – von Adorno, über Shakespeare, Goethe bis zu Fukuyama und Morozow – zeigt er nicht nur, dass die Versuchungen des technisch Machbaren schon seit Jahrhunderten ein Streitthema sind. Er markiert auch, wo wir heute stehen. Big Data könnte nach dem Ende aller Sozialutopien zur neuen "Legitimationserzählung" werden, als konsequente Weiterentwicklung der (sozialen?) Marktwirtschaft, dirigiert von Sozialingenieuren, die aus Softwareschmieden kommen und sich technischer Logik unterwerfen. Ist das sozialer Fortschritt? Mit seinem Buch hat Roberto Simanowski die Debatte in die richtige Richtung gelenkt.

Roberto Simanowski: Data Love
Matthes & Seitz, Berlin 2014
189 Seiten, 14,80 Euro
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