Digitale Unsterblichkeit

Für immer und ewig da sein

10:38 Minuten
Eine Hand mit Zeigefinger tippt auf einen Bildschirm vor schwarzem Hintergrund.
Künstliche Intelligenz schafft Möglichkeiten, deren Folgen wir oft kaum überblicken können: die digitale Unsterblichkeit gehört dazu. © Getty / Moment RF
Hans Block und Moritz Riesewieck im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 28.09.2020
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Künstliche Intelligenz extrahiert aus riesigen Datenmengen unseren Wesenskern und lässt uns damit nach dem Tod weiterleben. Versprechen oder Horrorvision? Die Autoren Hans Block und Moritz Riesewieck über eine Zukunft, in der nur noch die Körper sterben.
Liane von Billerbeck: Der Traum vom ewigen Leben wird seit ewigen Zeiten geträumt. Bisher ist es bekanntlich nicht gelungen, aber könnte die künstliche Intelligenz es möglich machen, unser begrenztes Leben zu entgrenzen? Dass etwas bleibt von uns, nicht nur in den Erinnerungen der Menschen, die uns gekannt haben, mehr auch als Briefe, Mails, Videos, Fotos? Zwei Autoren – Hans Block und Moritz Riesewieck, beide 1985 geboren, auch Künstler, Regisseure – haben sich umgeschaut, wie weit solche Entwicklungen gediehen sind. Herr Riesewieck, was wird das mit uns machen, wenn wir über den Tod hinaus anwesend sind?
Moritz Riesewieck: Das wird vielleicht gar nicht das Sterben am meisten verändern, sondern das Leben, weil es natürlich einen großen Unterschied macht, ob wir leben in dem Bewusstsein, dass dieses Leben unendlich dauert, oder ob wir das Wissen darum haben, dass es irgendwann vorbei ist.
Es macht natürlich einen großen Unterschied, ob wir alles speichern können, ob wir alles ablegen können, ob wir das Gefühl haben in jedem Moment, den wir leben: Das bleibt, da muss ich mich gar nicht auf den Moment einlassen, sondern ich kann es ablegen und jederzeit wieder darauf zurückkommen.

Ein ganzes Leben archiviert und gespeichert

Ich habe einen jungen Mann getroffen in Toronto in Kanada, der seit 15 Jahren jeden Moment seines Lebens speichert in einem künstlichen Gedächtnis, das er sich geschaffen hat und das er jederzeit mit einem Algorithmus durchpflügen kann.
Er hat eine Art Computererinnerung geschaffen und kann da immer wieder durchsurfen und jederzeit zu jedem Moment zurückspringen, den er schon mal erlebt hat, ob es ein Song ist, den er wieder hört, bei dem er sich denkt, den hab ich doch schon mal gehört, oder ob es ein Gespräch ist, das aufgezeichnet wurde, zu dem er dann nochmal zurückspringen kann.
Das heißt, wann immer er irgendwas sieht, hört, vielleicht von etwas erfährt, einen Namen hört und sich denkt, den kenne ich doch, kann er jederzeit zurück. Das wird grundlegend verändern, wie wir leben, und Leben und Sterben werden wahrscheinlich in einen Topf geworfen irgendwann.

Die Sehnsucht, unsterblich zu sein, gibt es schon lange

von Billerbeck: Wenn Sie von digitaler Unsterblichkeit reden, dann meinen Sie ja nicht nur, dass ein Mensch tatsächlich mit Hilfe von Techniken unsterblich wird, sondern es geht um die vielen Versuche, mit denen man eine Art Kopie von sich hinterlässt - und mit dieser Kopie können dann Freunde, Familieangehörige sogar reden. Daran arbeiten Firmen weltweit. Warum ist die Unsterblichkeit so eine große Marktlücke?
Hans Block: Tatsächlich ist die Sehnsucht danach, unsterblich zu werden, für die Menschen ja gar nichts Neues. Schon immer schaffen wir uns Unsterblichkeitserzählungen, an die wir versuchen, zu glauben – zum Beispiel religiös geprägte. Und jetzt kommt eine neue, weltliche Unsterblichkeitserzählung hinzu, weil, zumindest in Mitteleuropa, ein Rückgang von Glauben und Religion zu verzeichnen ist.
Ein in Stein gehauenes Bild, das Iduna zeigt. In der nordischen Mythologie hütet sie die goldenen Äpfel, die den Göttern ewige Jugend und Unsterblichkeit garantieren.
Den Wunsch nach dem ewigen Leben gibt es auch schon ewig. Hier ist Iduna zu sehen. In der nordischen Mythologie hütet sie die goldenen Äpfel, die den Göttern fortwährende Jugend und Unsterblichkeit garantieren.© imago images / Artokoloro
Das heißt, obwohl wir weniger an Religionen glauben, ist dennoch die Sehnsucht da, dass nach unserem Tod noch etwas entsteht. Genau diese Lücke, diese Sinnlücke, versuchen Online-Unternehmen und Start-ups auf der ganzen Welt zu füllen und bieten jetzt so etwas wie die digitale Unsterblichkeit an. Das heißt, dass sie alle unsere Daten versuchen zusammenzubringen – Big Data ist da ein Stichwort –, und damit versuchen sie mithilfe von Künstlicher Intelligenz Muster von uns Menschen zu imitieren, unseren Humor zu imitieren, so wie wir sprechen, unsere Stimmen zu synthetisieren.
So könnte es sein, dass wir schon in wenigen Jahren vor einem Computer sitzen, mit Leuten skypen oder zoomen - und diese Menschen, mit denen wir reden, sind gar keine echten Menschen mehr, sondern sind virtuell künstlich erschaffene Wesen.

Gelungenes Leben und das wahre Ich

von Billerbeck: Sie sind ja in Ihrem Buch auch auf der Suche nach der unsterblichen digitalen Seele. Nun könnte man tagelang über das Wort Seele reden, bekanntlich gibt es ja auch Menschen, die dieses Wort ablehnen. Warum haben Sie aber genau diesen Begriff Seele gewählt, wenn es darum geht, was da unsterblich gemacht werden soll? Der eine von Ihnen ist aus dem Ruhrgebiet, da ist man gemeinhin katholisch, der andere aus Ostberlin, da ist man gemeinhin weder katholisch noch evangelisch. Spielte das eine Rolle in Ihren Diskussionen?
Riesewieck: Ja, auf jeden Fall. Wir sind da von diametral unterschiedlichen Punkten gestartet. Ich bin tatsächlich katholisch aufgewachsen, der Glaube hat mich dann aber irgendwann während der Pubertät verlassen.
Was wir festgestellt haben, ist, dass wir gerade so etwas wie eine Renaissance der Seele erleben. Wie das? Es hängt zusammen mit einer anderen Erzählung, nämlich der Erzählung von der Authentizität. Die geht ja schon länger rum, hängt auch mit dem Kapitalismus zusammen, also die Idee, dass ein gutes Leben, ein gelungenes Leben eines ist, das mir entspricht, das meinem eigentlichen, wahren Ich entspricht.
Wie kriegt man dieses wahre Ich denn raus? Das ist ja gar nicht so einfach. Da treten Algorithmen auf den Plan, sprich die Idee, dass es da jetzt eine neue Entität gibt, nämlich die künstliche Intelligenz, die uns und unsere großen Datenmengen so gut analysieren kann, dass sie so etwas wie einen Wesenskern von uns analysieren kann, also ausfindig machen kann, wer wir wirklich sind.

Algorithmen sollen den Wesenskern erfassen

Das ist die uralte Idee des Wesenskerns, die von den Neurowissenschaften eigentlich längst beerdigt wurde. Da hieß es dann, man kann vielleicht so etwas wie ein Bewusstsein messen, aber mehr auch nicht. Trotzdem war es aber für Menschen immer, auch in den letzten Jahrzehnten, eine Gewissheit, dass jeder Mensch eine Art von Einzigartigkeit hat, woran man diesen Menschen wiedererkennen kann – Liebenden war das bisher vorbehalten, einander wirklich zu "erkennen".
Und jetzt tritt eine neue Entität an, künstliche Intelligenz, und sagt, das können wir auch, wir können Menschen sogar besser erkennen, als es sehr nahestehende Menschen tun. Da gab es vor ein paar Jahren diese Studie von Facebook: Facebook kennt dich besser als dein Partner oder deine Familienmitglieder. Das ist natürlich ein großes Versprechen, zu sagen, wir können so etwas wie den Wesenskern eines Menschen über den Tod hinaus am Leben erhalten.
Das ist nichts anderes als zu sagen: Wir können die Seele eines Menschen lebendig halten, die ist nicht mehr Gott vorbehalten nach dem Tod, sondern kann auf Erden weiterleben. Ein großes Versprechen.

Psychologische Gefahren und überraschende Momente

von Billerbeck: Das Ziel einiger dieser Firmen ist ja, tatsächlich, den Tod abzuschaffen, uns also unsterblich zu machen. Da fragt man sich: Sollten wir wirklich so weit gehen, oder sollten wir solchen Versuchen doch etwas entgegensetzen und besser den Riegel vorschieben und für unsere Sterblichkeit kämpfen?
Block: Ja, tatsächlich ist das eine sehr widersprüchliche Entwicklung. Wir haben aber die Erfahrung gemacht während unserer Recherche, dass es neben sehr, sehr vielen Gefahren – psychologischen Gefahren, Gefahren, dass wir das Leben nicht mehr wertschätzen durch die unendliche Verlängerung – auch immer wieder überraschende positive Entwicklungen gab. Wir haben Menschen getroffen, die durch diese Unsterblichkeitstechnologie angefangen haben, ihr Leben tatsächlich zu reflektieren.
Der Tod ist immer noch sehr tabuisiert in unserer Gesellschaft, es wird kaum darüber geredet, wir kriegen kaum freie Tage, nachdem ein nahestehender Mensch gestorben ist, in denen wir trauern können. Man hat das Gefühl, der Tod hat im Kapitalismus keinen Platz gefunden, weil er nicht auszuschlachten ist, und deswegen drängt man ihn schnell weg.

Chancen für eine neue Erinnerungskultur

Diese Technologie könnte das ändern, man könnte durch den Umgang damit - diese Daten einzuspeisen, Gespräche zu führen, zu reflektieren, wer war dieser Mensch überhaupt - noch mal auf ein Leben zurückblicken und eine neue Erinnerungskultur auf die Welt bringen.
Nur ein Beispiel: Es gibt den Versuch in Amerika, die letzten Holocaust-Überlebenden unsterblich zu machen, das heißt, dass wir trotzdem, obwohl irgendwann niemand mehr da ist, noch das persönliche Gespräch suchen können mit historischen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen.
Das könnte ja auch ein sehr, sehr positiver Effekt sein, Geschichte neu zu vermitteln, anders zu vermitteln, dieser Geschichte näherzukommen. Es ist nicht nur negativ zu sehen, dennoch ist natürlich der kritische Blick auf solche Entwicklungen immer sehr angesagt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Hans Block und Moritz Riesewieck: "Die digitale Seele. Unsterblich werden im Zeitalter Künstlicher Intelligenz"
Goldmann Verlag, München 2020
592 Seiten, 20 Euro

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