"Dieses Geld ist ja nicht verloren"

Holger Schmieding im Gespräch mit Christopher Ricke · 23.03.2011
Der Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding, hat die Bundesregierung für die Verhandlungen zum Euro-Rettungsschirm deutlich gelobt: Deutschland habe es geschafft, den Euro zu stabilisieren, seinen Arbeitsmarkt zu schützen und Bedingungen für die Wirtschaftspolitik in anderen Ländern durchzusetzen.
Christopher Ricke: Und wenn es in der Finanzwelt noch so stürmt: Wenn ein Schirm nicht mehr reicht, so soll doch der Euro in Zukunft absolut wetterfest sein. Das ist das erklärte Ziel, darum geht's beim EU-Gipfel in Brüssel morgen und übermorgen, die EU-Staats- und Regierungschefs wollen das Paket zur dauerhaften Sicherung des Euro beschließen. Dazu gehört neben dem Krisenfonds auch ein Pakt für eine verstärkte Wirtschaftskoordinierung innerhalb der Eurozone, das ist ein großer Wunsch der Deutschen. Ich spreche jetzt mit dem Ökonomen Holger Schmieding, er ist Chefvolkswirt bei der Berenberg Bank. Guten Morgen, Herr Schmieding!

Holger Schmieding: Guten Morgen!

Ricke: Also erst einmal muss ich feststellen: Das wird für Deutschland richtig teuer. Als stärkstes Land in Europa ist Deutschland automatisch Hauptgeldgeber bei jeder künftigen Rettungsaktion. Warum müssen wir uns denn um Gottes Willen darauf einlassen?

Schmieding: Zunächst einmal: Wir sind einfach das größte Land in Europa. Was immer in Europa passiert: Wir sind betroffen. Wir sind die größten Nutznießer der europäischen Einigung, der europäischen Wirtschaft, wir sind natürlich auch das größte Land, das die erreichten Erfolge sichern kann. Ob es uns überhaupt letztlich etwas kostet, ist ja völlig unklar. Es geht ja fast nur um Kredite, die verzinst werden.

Ricke: Na ja, fast nur – es muss erst mal eingezahlt werden, 80 Milliarden in bar. Deutschland ist mit 27 Prozent bei jeder Zahlung dabei. Das ist teuer!

Schmieding: Das ist einiges Geld, das über mehrere Jahre eingezahlt wird, aber dieses Geld ist ja nicht verloren, es ist ja nur von einem deutschen auf einen europäischen Topf verlagert, wo es weiterhin ist. Verloren wäre es ja nur, wenn ein Schuldenland seine Schulden auf Dauer nicht bedienen kann, das ist in dem einen oder anderen Fall möglich, bisher aber noch nicht eingetreten.

Ricke: Ist es möglich oder ist es wahrscheinlich?

Schmieding: Es ist im Falle Griechenland wahrscheinlich, dass dort auf Dauer bei den Schulden etwas passieren muss, aber es kann gut sein, dass wir im Falle Griechenlands, das ja bereits jetzt ein Programm hat und das ja von den neuen Beschlüssen nur teilweise betroffen ist, das wir im Falle Griechenlands die Laufzeiten der dortigen Schulden strecken müssen. Das hieße immer noch, dass von dem Kapital so viel nicht verloren wäre.

Ricke: Die, die gut gewirtschaftet haben, zahlen für die, die das Geld verschleudert haben. Das kann man glaube ich – auch wenn es verknappt und etwas scharf formuliert ist – doch so zusammenfassen. Das gefällt natürlich keinem, der achtsam mit seinem Geld umgeht. Jetzt wollen die Deutschen eine sparsamere Haushaltspolitik, also eine Verbesserung des Verhaltens in den anderen Staaten, aber das ist ja Wunsch. Da gibt es die Willenserklärung. Wird da auch eine Tatsache draus?

Schmieding: Zunächst einmal möchte ich der ersten Feststellung schlicht und einfach widersprechen: Es geht bei dem Eurorettungsschirm nicht im Wesentlichen darum, den Ländern Geld zu geben, die in der Vergangenheit schlecht gewirtschaftet haben. Es geht im Wesentlichen darum, Ansteckungsgefahren zu vermeiden. Wir sollten gerade als Deutsche darüber nachdenken, weshalb wir im vergangenen Jahr die beste Wirtschaftsleistung seit 20 Jahren haben konnten, nämlich nur deshalb, weil wir einen Eurorettungsschirm aufgespannt haben, der uns, nochmals: uns, die Deutschen, geschützt hat vor der Griechenlandkrise. Wir erinnern uns an den Fall der Finanzkrise in den USA, Lehman Brothers – damals hatte man nicht schnell einen Rettungsschirm aufgespannt, das Ergebnis war eine schlimme Rezession.

Noch mal: Mit dem Eurorettungsschirm haben wir – Rettungsschirm, sagt das Wort – uns selbst abgeschirmt vor einer Krise in Griechenland. Ohne diesen alten Rettungsschirm, den aus dem vergangenen Jahr, hätten wir heute wesentlich mehr Staatsschulden und wesentlich mehr Arbeitslose. Natürlich brauchen wir, um auf Dauer Schuldenprobleme zu vermeiden, eine neue Wirtschaftspolitik in Europa. Wir sehen, dass die Schuldenländer, auch Griechenland, auf dem Wege sind, sich zu bessern, und ich denke, dass dieser Pakt für den Euro, der jetzt verabschiedet wird, durchaus in die richtige Richtung geht.

Ricke: Es könnte ja sein, dass unmittelbar nach dem Gipfel schon der Nächste vor der Tür steht, der Hilfe braucht – Portugal. Wie lange geben Sie den Portugiesen noch? Da droht ja schon der Regierungschef zu kippen.

Schmieding: In Portugal werden wir das ja wahrscheinlich heute sehen: Entweder nimmt das Parlament die neuen Sparmaßnahmen an, oder es wird vermutlich die Regierung fallen und Portugal wird um Hilfe bitten müssen. Wir könnten dann in Portugal etwas Ähnliches erleben wie in Irland. Auch da hat es ja einen Regierungswechsel gegeben, aber die neue Regierung hat keine andere Wahl – der Sachzwang ist einfach so –, als nahezu unverändert die Sparpolitik fortzuführen, die die alte Regierung zu ihrem Abschied eingeleitet hat.

Also, in Portugal mag es einen Regierungswechsel geben, es mag Neuwahlen geben, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass kurz nach eventuellen Neuwahlen dann ein Sparprogramm wie in Griechenland und wie in Irland auch durchgezogen wird.

Ricke: Ich würde gern mit Ihnen noch auf das Verhalten der Kanzlerin schauen, wo ich ja einen gewissen Kurswechsel erkläre: Sie hat ja anfangs – wie eine ordentliche schwäbische Hausfrau – erst mal das eigene Geld verteidigt und übt sich nun in großer Eurosolidarität. Ist das ein Kurswechsel?

Schmieding: Ich glaube nicht, dass es ein Kurswechsel ist. Die deutsche Position ist eigentlich von Anfang an gewesen, dass man im äußersten Notfall helfen müsste, a) den betroffenen Ländern und b), das ist noch viel wichtiger, um einen Flächenbrand, um Ansteckungsgefahren zu vermeiden. Natürlich hat Deutschland bis zum Schluss sich geziert und es ist auch heute noch so, dass Deutschland hart verhandelt, weil Deutschland ja harte Bedingungen durchsetzen will.

Wenn wir es vom Ergebnis her sehen, nämlich dass Deutschland in der Lage ist, a) den Euro zu stabilisieren, b) seine eigene Konjunktur und seinen eigenen Arbeitsmarkt zu schützen, und c) dabei Bedingungen durchzusetzen in anderen Ländern, dass dort die Wirtschaftspolitik besser wird, wenn wir es von diesem Ergebnis her sehen, hat Deutschland bisher eigentlich hervorragend verhandelt.

Ricke: Heißt das, es wird auch ein Ende des Steuerwettbewerbs innerhalb der EU geben, damit endlich gleiche Bedingungen stehen?

Schmieding: Ich hoffe nicht, dass es ein Ende des Steuerwettbewerbs geben wird, ich denke, dass Irland an einem Punkt etwas einlenken wird und vielleicht die reine Bemessungsgrundlage, die Art, wie es berechnet wird, der Unternehmenssteuer anpasst. Aber Irland braucht seine niedrigen Unternehmenssteuersätze, so kann es neue Arbeitsplätze schaffen. Und wenn man sich die tatsächliche Steuerbelastung anguckt, so ist beispielsweise das löchrige französische Unternehmenssteuergesetz, wo es zwar hohe Steuersätze, aber viele Ausnahmen gibt, insgesamt für die Unternehmen wahrscheinlich, für die, die es ausnutzen können, eher freundlicher als das irische. Irland hat im Prinzip das richtige Steuergesetz, nämlich einen niedrigen Steuersatz, aber sehr wenig Ausnahmen, sodass man die tatsächliche Steuer, die draufsteht, auch zahlt.

Ricke: Der Ökonom Holger Schmieding. Vielen Dank, Herr Schmieding!

Schmieding: Gerne!