"Dieser Rechtsaußen-Splitterpartei ist ein medialer Coup geglückt"

Alexander Häusler im Gespräch mit Katrin Heise · 19.09.2012
Der populistischen Bewegung "Pro Deutschland" und deren Ankündigung, den anti-islamischen Film zeigen zu wollen, werde zu viel Aufmerksamkeit geschenkt, sagt der Sozialwissenschaftler Alexander Häusler. Der Propaganda-Erfolg der Splitterpartei gelinge nur, wenn andere - wie aktuell - mitspielten. Die Splitterpartei inszeniere ganz bewusst einen Tabubruch, um sich dann als Opfer politischer Korrektheit darzustellen.
Katrin Heise: Die Bundeskanzlerin, der Innenminister, der Außenminister, viele, viele Politiker und sämtliche Medien debattieren in Deutschland momentan wieder über die Meinungsfreiheit. Der antiislamische Hetzfilm "die Unschuld der Muslime", den eigentlich niemand sehen will, den gilt es zu verteidigen oder soll man ihn oder seine Aufführung verbieten? Aufgedrängt mehr oder weniger hat uns die Debatte die rechtspopulistische Bürgerbewegung pro Deutschland, einfach indem sie angekündigt hat, den Film öffentlich zeigen zu wollen. Das ist eine typische Provokation à la pro Deutschland – sie waren es auch, die im August mit den Mohammed-Karikaturen vor Moscheen demonstrierten. Immer wieder bekommen sie maximale Aufmerksamkeit für ihre Aktionen. Über diese Strategie möchte ich mit Alexander Häusler sprechen, er ist Rechtsextremismus-Experte und Sozialwissenschaftler an der Fachhochschule in Düsseldorf. Schönen guten Tag, Herr Häusler!

Alexander Häusler: Ich grüße Sie!

Heise: Pro Deutschland ruft: Wir führen den Film auf! Und schon geht es los in Deutschland mit der Verbotsdebatte oder der Diskussion über Meinungsfreiheit – wie ist das eigentlich möglich, dass eine so kleine Gruppe die Tagesordnung der Politik mehr oder weniger bestimmt?

Häusler: Nun, in der Tat ist dieser Rechtsaußen-Splitterpartei mal wieder ein guter medialer Coup geglückt. Man kann sagen, mit minimaler Aktion eine maximale Aufmerksamkeit erreicht zu haben, das ist in der Tat politisch gesehen ein guter Propaganda-Erfolg für diese Bewegung. Und eine Inszenierungsform, die nicht neu ist, der sie sich schon seit langem bedient, und das funktioniert eben auch nur dann, wenn die anderen eben mitspielen.

Heise: Ja, und das tun wir ja. Denn anders, oder sagen wir mal, ausgeklügelter als beispielsweise die NPD klagt die Pro-Bewegung ja immer verbürgte Rechte ein, also eben die Meinungsfreiheit oder Volksabstimmungen werden ja ganz häufig auch eingeklagt, wenn möglich. Sie agieren also nicht demokratiefeindlich, sondern eher im Gegenteil. Ist das so ein Mittel von ihnen?

Häusler: Sie agieren in der Tat nicht demokratiefreundlich, sondern die vermeintliche Kritik am Islam, Islamismus, das ist nur eine Chiffre für ein dahinter stehendes Feindbild, nämlich unsere multikulturell verfasste Einwanderungsgesellschaft. Das ist das eigentliche Ziel dieser Rechtsaußengruppierung, was angegriffen werden soll, und das wird verkleidet unter dem kulturreligiösen Deckmantel, in dem man sich vermeintlich für die Meinungsfreiheit und gegen den Islamismus einsetzt.

Was diese Kleinstpartei dort macht, ist eigentlich eine Kopie dessen, was wir in Europa in den ganzen modernisierten Rechtsaußen-Parteien schon seit Jahren gesehen haben. Das haben wir in den Niederlanden bei Geert Wilders gesehen, das sehen wir seit einigen Jahren bei Front Nationale, einer klassisch rechtsextremen Partei, die seit dem Stabswechsel von Vater zu Tochter auch diese antimuslimische Hülle sich umgibt. Das heißt also, der eigentliche Rassismus dieser Rechtsaußen-Parteien wird verpackt, kulturreligiös verpackt, um einfach Mehrheiten erreichen zu können, und den Sprecher dieses Rassismus eigentlich eher in die demokratische Ecke als Verteidiger von Meinungsfreiheit verrücken.

Heise: Dann hat Lamya Kaddor, die Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes, ja Recht, wenn sie sagt, ein Filmverbot in diesem Fall jetzt, an diesem Moment dieser Diskussion, würde der Pro-Deutschland-Bewegung die Möglichkeit geben, eben die Meinungsfreiheit als beschnitten zu brandmarken, kaum mucken die Muslime auf, die Mehrheit also als Opfer der Muslime darzustellen, oder?

Häusler: Damit hat sie meines Erachtens recht, man muss ganz deutlich sagen, dass hier viel zu sehr Aufmerksamkeit einer Kleinstgruppierung geschenkt wird, die nur drauf wartet, ihren Kulturkampf, ihr marktschreierisches Kulturkampfszenario dort in die Öffentlichkeit zu bringen, und meines Erachtens ist weder der Film, an sich ein schlecht gemachtes Machwerk, zu verbieten, noch die Ankündigung, sich einen solchen Film, den man in Ausschnitten sowieso auf YouTube gucken kann, der ja auch schon zu diesen ganzen gewalttätigen Protesten geführt hat, wenn die sich den in irgendwelchen Hinterzimmern noch einmal angucken. Ich glaube, diese Diskussion muss viel mehr versachlicht werden.

Heise: Das heißt also, bei all den Parteien, auch die Sie angeführt haben, und der Pro-Bewegung, ist Mitbestimmung und auch Kampf um Meinungsfreiheit mehr oder weniger ein Vehikel zur Stimmungsmache und zur Hetze?

Häusler: Richtig. Was diese Parteien alle machen, ist das Drehen an einer populistischen Schraube. Man inszeniert ganz bewusst einen Tabubruch, einen öffentlichen Tabubruch durch eine solche Aktion, um Aufmerksamkeit zu bekommen, um Proteste hervorzurufen. Wenn diese Proteste, legitimen Proteste, dann dagegen kommen, dann inszeniert man sich als vermeintliches Opfer politischer Korrektheit und versucht, diesen Konflikt eben auf höherer Stufenleiter weiter fortzuführen. Das hat diese Pro-Bewegung ja schon an anderen Beispielen vorexerziert: in Köln durch die Inszenierung sogenannter Anti-Islamisierungs-Kongresse, durch Märsche durch die Städte, wo die Karikaturen gezeigt worden sind – sie wollen Muslime konkret provozieren, wollen den Kulturkampf auf der Straße vorantreiben und wollen dann quasi die Gewinner dieses Kulturkampfszenarios sein. Das ist deren Form der Inszenierung, und das kann man nur durchbrechen, indem man deutlich macht, was für ein instrumentelles Verhältnis diese Leute zum Thema Meinungsfreiheit haben.

Heise: Die Strategien der Pro-Bewegung erläutert der Sozialwissenschaftler Alexander Häusler. Sie sagen, Versachlichung der Debatte, wer soll denn das machen beziehungsweise wer kann sich dem Sog im Moment entziehen? Denn ich meine, es geht dann da immer um Meinungsfreiheit oder um Versammlungsfreiheit, um Demonstrationsrechte.

Häusler: Es gilt meines Erachtens sehr klar zu differenzieren. Man muss diese Debatte versachlichen und differenzieren. Und differenzieren bedeutet, zu sagen, und deutlich zu machen, dass es ein Unterschied ist, das, was in der arabischen Welt jetzt passiert, wo diese aufgeladenen Konflikte ein Resultat sozialer Probleme, sozialer Ursachen sind, die dann aufgeladen werden, wo ein Funke einen Flächenbrand entzündet, was nichts mit der Realität hier in der Bundesrepublik zu tun hat. Wir haben hier keine Massen von Muslimen, die gewalttätig durch die Straßen ziehen und irgendwelche Botschaften angreifen, wenn eine rechtsextreme Kleinstpartei ein Filmchen irgendwo zeigt, das entspricht nicht der Realität.

Heise: Ja, wobei wir dann schon – das hat man in Bonn ja durchaus gesehen im Mai – salafistische Demonstrationen, die doch auch sehr brutal dann aussehen können.

Häusler: Selbstverständlich haben wir das Problem des islamistischen Extremismus, und den gibt es auch nicht nur weltweit, sondern den gibt es auch in Deutschland, aber er ist ein Randphänomen, er bestimmt nicht das …

Heise: Er wird aber genau dann rausgekitzelt durch solche Publikationen.

Häusler: … genau, er bestimmt nicht das interkulturelle Zusammenleben. In Berlin beispielsweise, als vor einigen Monaten pro Deutschland die Karikaturen gezeigt hat, da sind politische Initiativen zusammengetreten, dort sind sie zusammen mit muslimischen Gemeinden gegangen: Die Polizei, Politiker, sind zu muslimischen Gemeinden gegangen, haben gesagt, lasst euch nicht provozieren, wir halten zusammen, wir zeigen gemeinsam Flagge dagegen, das hat nichts mit uns zu tun, das hat nicht mit unserem Wunsch der Mehrheitsgesellschaft zu tun, wie wir miteinander interkulturell auskommen wollen. Und das ist die richtige Botschaft, und das ist auch die Aufgabe im Umgang mit diesen Leuten. Diese politischen Hetzer, die müssen isoliert werden, und sie müssen als das dargestellt werden, was sie real sind: ein Randphänomen, was mit der interkulturellen Realität in Deutschland nicht viel zu tun hat.

Heise: Also ein klarer Aufruf an die Zivilgesellschaft, sich zusammenzuschließen?

Häusler: So ist es, so ist es. Hier soll in Deutschland das deutliche Signal ausgestrahlt werden, wir lassen uns hier nicht unser interkulturelles Miteinander, unser friedliches Miteinander kaputtmachen durch solche Hetzer, wir lassen sie rechts liegen, wir zeichnen sie und zeigen ihnen ganz deutlich, was wir von ihnen halten, dass wir nichts von diesen Kulturkampfszenarien halten, dass wir einen anderen Umgang pflegen wollen, und wir lassen uns hiervon weder provozieren noch lassen wir uns einspeisen in diese populistische Schraube.

Heise: Was wir sehen, ist aber eigentlich eher doch das Gegenteil, oder?

Häusler: Man muss ganz deutlich sagen, dass wir natürlich auch insgesamt politisch das Problem haben, dass soziale Probleme nicht nur aufgeladen werden in politischer Form, sondern eben auch kulturell aufgeladen werden. Und natürlich ist immer die Debatte zwischen wir und die, ist eine Debatte, die auch Deutschland prägt. Und man muss ganz deutlich sagen, das ist eine Aufgabe, eine gesamtgesellschaftliche politische Aufgabe in unserer multikulturell und multireligiös verfassten Einwanderungsgesellschaft auch dem Islam und den Muslimen hier einen dementsprechenden Platz zu geben. Der Islam ist in Deutschland so noch nicht angekommen, er gehört noch nicht zum normalen Alltag im Verständnis der Leute, und das ist eine Aufgabe, an der wir alle arbeiten müssen, wo wir uns entscheiden müssen: Wollen wir friedlich miteinander umgehen oder wollen wir das nicht? Und wenn wir das wollen, dann müssen wir uns diesen Debatten stellen und müssen auch lernen, mit solchen Provokationen rechter Provokateure umzugehen.

Heise: Alexander Häusler appelliert an die Gesellschaft, sich nicht provozieren zu lassen. Rechtsextremismus-Experte und Sozialwissenschaftler an der Fachhochschule in Düsseldorf – Herr Häusler, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Häusler: Ich danke Ihnen!


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