Die Würde der Vierbeiner

22.04.2012
Tiere brauchen kein Mitleid, sondern einen guten Anwalt. Davon ist der Schweizer Jurist und Tierschützer Antoine Goetschel überzeugt. In seinem Buch plädiert er ausgesprochen sachlich dafür, die Würde des Tieres auch in Deutschland gesetzlich zu verankern.
Die braunen Hundeaugen auf dem Umschlag scheinen um Hilfe zu bitten: Im Namen vieler Tiere, denen Unrecht geschieht. Aber der erste Eindruck täuscht. Dieses Buch appelliert nicht an unser Mitgefühl. Antoine Goetschel versucht im Gegenteil, eine hoch emotionale Diskussion zu versachlichen und auf neue Grundlagen zu stellen.

"Tiere klagen an": Der Titel ist wörtlich zu nehmen. Drei Jahre lang vertrat der Autor als offizieller "Rechtsanwalt für Tierschutz" für die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich die Interessen geschädigter Tiere zum Beispiel gegenüber ihren Haltern: 149 Katzen hielt ein Ehepaar in seinem Einfamilienhaus, von denen die Hälfte unterernährt war. Das weltweit einzigartige Amt des Tieranwalts wurde 2010 wieder abgeschafft. Als Publizist kämpft Antoine Goetschel aber weiterhin für einen rechtlich fundierten Tierschutz. In seinem Buch plädiert er dafür, die "Würde des Tieres" gesetzlich zu schützen.

Goetschel zeigt anschaulich, dass es dabei um keine Wortklauberei geht. Wenn man Tiere verlässlich schützen will, bietet ihre Würde dafür ein festeres Fundament als Tierliebe, zumal diese auf Heim- und Nutztiere höchst ungleich verteilt ist. Der eigene Hund ist vielen näher als die Kuh im Mastbetrieb.

Im Industriezeitalter greift die gesetzliche Verpflichtung, Tieren "ohne vernünftigen Grund" keine "Schmerzen, Leiden oder Schäden" zuzufügen, in vielen Fällen ohnehin zu kurz: Wenn durch Genmanipulation grundlegende Eigenschaften verändert werden können, ist die Integrität ganzer Arten gefährdet. Tieren "Würde" zuzugestehen, bedeutet für Goetschel keine Vermenschlichung, sondern eine Anerkennung ihrer Natur und ihrer elementaren Bedürfnisse: ein Gegengewicht, um abwägen zu können, wie weit wir Tiere unseren Zwecken unterordnen dürfen. Denn Tierethik ist ein notwendiger Teil unserer eigenen Zivilisierung. Wir dürfen schon deshalb nicht grausam zu Tieren sein, sagt er mit dem Philosophen Immanuel Kant, damit wir selbst nicht moralisch verrohen.

In zehn kompakten Kapiteln geht der Autor auf die Haltungsbedingungen in der Landwirtschaft, im Zoo, Zirkus oder in Privathaushalten ein; er zeigt, wie Tierversuche vermeidbar wären, weshalb Jagd kein Beitrag zum Naturschutz ist, und dass Tiere, die zu Therapiezwecken eingesetzt werden, dabei oft selbst enorm belastet werden.

Der ebenso kämpferische wie nüchterne Anwalt bringt einen ungewohnten Ton in die aktuelle Debatte. Sein Buch bietet vor allem eine fundierte Argumentationshilfe. Ein eigenes Kapitel zitiert gängige Einwände und zeigt, wie Tierschützer sich gegen sie zur Wehr setzen können. "Fleisch zu essen ist natürlich." Ein Großteil der Weltbevölkerung, so Goetschel, ernähre sich fast ausschließlich vegetarisch.

Es bereitet nicht unbedingt Freude, Antoine Goetschels Buch zu lesen. Der Autor beschönigt nichts, und anders als Schriftsteller wie Karen Duve oder Jonathan Safran Foer, die nach Antworten suchten, wie man "anständig essen" kann, wird er nicht mal persönlich. Die schnörkellose Klarheit macht "Tiere klagen an" dennoch sehr empfehlenswert. Man findet zentrale philosophische Thesen, wichtige Fakten zusammengefasst und viele Gedankenanstöße, was man selbst tun kann, um den Tieren, mit denen und von denen wir leben, mit reinerem Gewissen ins Auge zu sehen.

Besprochen von Frank Kaspar

Antoine F. Goetschel, Tiere klagen an
Scherz Verlag, Frankfurt am Main 2012
272 Seiten, 19,99 Euro
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