Die Ware Mensch

Von Dorothea Jung · 15.04.2013
Die meisten Opfer von Menschenhändlern sind Frauen, viele von ihnen werden zur Prostitution gezwungen. Allein im Jahr 2011 wurden 640 Fälle von Menschenhandel offiziell aktenkundig.
Eine junge Frau, wir nennen sie Alexandra, lebt in einer kleinen Stadt irgendwo in Osteuropa. Sie hat keinen Job, versteht sich nicht mit ihren Eltern, möchte fort von zu Hause. Eines Tages hört sie, dass jemand aus der Nachbarschaft eine Gastwirtschaft in Deutschland hat. Sie fragt ihn nach Arbeit.

"Also, er hat zu mir gesagt, er hat da Restaurant so kleine Kneipe und Wohnung. Da hab ich gesagt: ‚Okay, ich fahre mit dir.‘ Und dann bin ich hier nach Deutschland mit ihm gekommen. Und dann sind wir in die Wohnung gekommen; und in die Wohnung war wirklich ganz schön viel Mädchen schon und zwei Männer. Und da hab ich ihn gefragt: Wo bin ich überhaupt?"

Alexandra ist sofort klar: Die Frauen sind keine Restaurantfachkräfte, die Männer keine Oberkellner. Und ihr Arbeitgeber ist kein normaler Gastronom.

"Hat er meine Tasche weggenommen, hat meine Pass weggenommen. Und er hat zu mir gesagt, ich soll für ihm arbeiten im Puff. Ich konnte weinen, ich konnte schreien und egal, was machen - das hat eigentlich mir gar nichts geholfen. Hab ich keine Chance gehabt, jetzt aus die Wohnung rauszugehen."

Alexandra sitzt in der Falle. Die Wohnung ist rund um die Uhr bewacht. Im verschlossenen Pkw chauffiert ein Bewacher sie abends zum Bordell, und morgens wieder zurück zur Wohnung. Fliehen? Unmöglich. Protestieren? Aussichtslos. Denn die Bewacher schlagen zu.

"Da hab ich paar Mal richtig auf die Gesicht gekriegt, nicht nur das - und Dresche gekriegt, aber richtig. Ich hab blaue Auge gehabt. Und dann musste ich trotzdem in dem Puff arbeiten. Und das ist so ... - Ist ganz anders, wenn ich geh mit meine Freund in Bett; wie geh ich mit jemand, wo bezahlen mir - also, bezahlen mir das nicht, weil ich hab wirklich keine einzige Cent gesehen und er hat die ganze Geld behalten."

Geschichten wie die von Alexandra sind Heike Rudat vertraut. Nach Erkenntnissen der Polizeibeamtin sind die Profite beim Menschenhandel ähnlich hoch wie beim Drogenhandel oder bei illegalen Waffengeschäften. Heike Rudat leitet im Berliner Landeskriminalamt die Fachdienststelle für Menschenhandel. "Nicht jede Frau wird beim Anwerben über die Art ihrer Arbeit belogen", sagt die Kriminaldirektorin. "Aber keine weiß, unter welchen Bedingungen sie hier arbeiten wird."

"Sie dürfen sich ihre Freier nicht aussuchen, sie müssen mitunter 24 Stunden jeden Tag arbeiten, ihnen wird sehr viel mehr von ihrem Lohn abgenommen, als es ausgemacht war. Also, hier beginnt dann tatsächlich das Delikt des Menschenhandels, auch mittels psychischer Gewalt, indem die Familien bedroht werden oder aber auch physischer Gewalt, indem sie schlichtweg geschlagen und vergewaltigt werden."

Um ihre Opfer gefügig zu halten, nehmen die Menschenhändler den Frauen mit illegalem Aufenthaltsstatus die Papiere weg. Sie kassieren für Anreise und Wohnung Fantasiepreise, die sich dann zu Fantasieschulden aufsummieren und versetzen die Frauen kontinuierlich in Angst. Rund 70 derartiger Fälle hat Heike Rudats Dezernat im letzten Jahr bearbeitet. Und immer zeichneten sich die Täter durch große Skrupellosigkeit aus, sagt die Kriminalbeamtin.

"Es sind Menschen, denen das Schicksal von ihrem Gegenüber ziemlich egal ist, die absolut ein Gewinn- und Machtstreben haben gegenüber den Frauen, die die Frauen tatsächlich nur als Ware behandeln in einer menschenverachtenden Art und Weise, ohne Skrupel zu psychische und physische Gewalt auszuüben, letztendlich auch den Tod der Frau in Kauf zu nehmen. Da wird die Frau zur Ware gemacht und einfach ausgewechselt."

Trotz aller Bedrohungen finden manche Frauen den Mut, vor Gericht gegen ihren Peiniger auszusagen. Dann hängt die Verurteilung des Menschenhändlers häufig fast ausschließlich von ihrer Zeugenaussage ab. Weshalb viele Verteidiger im Gerichtsverfahren versuchen, die Angaben der Zeuginnen in Zweifel zu ziehen. Und so gesellt sich zur Angst vieler Frauen, nach dem Prozess abgeschoben zu werden, die Angst vor der Rache der Täter, falls diese freigesprochen werden.

Alexandra hat vor Gericht ausgesagt. Doch sie musste eine Niederlage einstecken. Die anderen Frauen aus dem Bordell, in dem sie zur Prostitution gezwungen wurde, haben Alexandras Aussagen nicht bestätigt. Die Täter erhielten Bewährungsstrafen. Dem Vernehmen nach betreiben sie jetzt ein Bordell in Polen.