Die Ware Frau

Von Stefan Keim · 04.12.2012
Andrea Breth konzentriert sich bei der Geschichte um die unglückliche Liebe von Violetta und Alfredo ganz auf die Frau als Ware. Barbusige Darstellerinen, billige Fummel - die Pariser Halbwelt wird als kalt und lieblos dargestellt.
Schon zur Ouvertüre öffnet sich der Vorhang. Der Blick fällt auf eine Containerwand. Frauen treten daraus hervor, werden begutachtet, herum geschubst, zu Boden geworfen. Gleich zu Beginn ihrer Inszenierung von Verdis "La Traviata" in Brüssel macht Andrea Breth klar, worum es ihr geht. Die Welt, in der die schöne Violetta zum Star wird und an der sie verreckt, ist kalt, lieblos, ein Fleischmarkt, auf dem die Ware Frau verramscht wird.

Auf den Partys der Pariser Halbunterwelt sehen wir die Frauen wieder, größtenteils barbusig, in billigen Anmachfummeln. Auch ein Kind ist dabei, jeder Geschmack soll bedient werden. Da versteht man fast, dass Vater Germont seinen in dieser Großstadtdekadenz versinkenden Sohn retten will. Dass eine Frau aus diesem Milieu aufrichtige Gefühle haben könnte, wird ihm sogar klar, als er Violetta näher kennen lernt. Germont fühlt sich selbst zu ihr hingezogen. Doch er kämpft um sein Weltbild, seine moralische Orientierung, und sein Sohn muss sich in diese Strukturen fügen. Andrea Breth ist auch auf der Opernbühne eine Meisterin der vielschichtigen, genauen Charakterzeichnung.

Giuseppe Verdis Oper - mit dem grandiosen Libretto von Francesco Maria Piave - liefert ihr ausgezeichnetes Material. Zumal sie im Dirigenten Adám Fischer einen perfekten Partner gefunden hat. Fischer setzt auf radikale Gegensätze. Lyrische Passagen dirigiert er manchmal am Rande der Unhörbarkeit, die wilden Tänze brechen brutal vital in die Aufführung hinein. Sie wirken kaum noch wie Ohrwürmer, sondern sind aus der Handlung heraus gedacht schwärzeste, bitterste Ironie. Groteske Totentänze einer im Kern verfaulten Männergesellschaft.

Immer wieder hält man den Atem an, wenn Fischer Details der Partitur funkeln lässt. Das Klarinettensolo zum Beispiel, bevor Violetta einen Brief an ihren Geliebten schreibt, in dem sie die Beziehung beendet, klingt wie der Klagegesang eines Klezmersongs. Selten wurde die Traviata so lyrisch gesungen wie es die slowakische Sopranistin Simona Saturová tut. Bisher war Mozart der Schwerpunkt ihres Schaffens, das hört man in jedem Augenblick ihrer subtilen musikalischen Charakterzeichnung. Auch wenn das Orchester sie in kurzen Momenten zudeckt, forciert Simona Saturová nie, bleibt ganz bei sich und findet im dritten Akt, wenn der Tod langsam näher rückt, Schattierungen, die einem das Herz bluten lassen.

Der junge französische Tenor Sebastien Guèze ist als Violettas Geliebter Alfredo ebenfalls eine Entdeckung, jugendlich, klangsicher, in dessen wilder Liebesentschlossenheit auch Egoismus mitschwingt. Ein Garant für höchste Qualität ist der Bariton Scott Hendricks, der als Vater Germont schauspielerisch wie musikalisch überzeugt. Sein Loblied auf die paradiesische Provence ist die ideologische Beschwörung einer Traumwelt, mit verführerischem Schmelz vorgetragen und zugleich kritisch hinterfragt.

Andrea Breth bricht mit der Opernkonvention, dass der Chor szenisch mitwirken sollte. In anderen Aufführungen werden Statisten und Sänger gemischt, wenn es um Action oder - wie hier - um Erotikszenen geht. Breth lässt den Chor aus dem Off singen und arbeitet auf der Bühne nur mit Darstellern, die choreographische Vorgaben an der Grenze des bürgerlichen Geschmacks überzeugend erfüllen. Martin Zehetgrubers Bühne wechselt zwischen Containerarmut und der sterilen, weißen Leere der Partys. An beiden Orten kann man nicht leben, sondern nur von Blow Job zu Low Job ums Überleben kämpfen. Nicht allen gelingt das.
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