Die USA nach Bush

Moderation: Annette Riedel · 24.03.2008
Nächstes Jahr zieht ein neuer Präsident oder eine neue Präsidentin ins Weiße Haus. Welche Aufgaben stehen dann für das Land in der Außen- und Innenpolitik, in Wirtschaft und Gesellschaft an? Deutschlandradio Kultur sprach mit der Amerika-Kennerin Constanze Stelzenmüller und dem Leiter des Aspen Instituts Berlin, Charles King Mallory IV.
Annette Riedel: Zu Lesart Spezial begrüßt Sie Annette Riedel. Unser Thema heute: die USA nach Bush. Was wird der neue Präsident oder die neue Präsidentin - egal, wer nun Anfang nächsten Jahres ins Weiße Haus einzieht - an Aufgaben, an Baustellen vorfinden, innenpolitisch, gesellschaftspolitisch, außenpolitisch?
Um diese Fragen zu diskutieren, habe ich zwei Gäste im Studio, eine deutsche Amerikakennerin, Constanze Stelzenmüller, und einen amerikanischen Deutschlandkenner, der sich auch in der politischen Landschaft der USA ein wenig auskennt, Charles King Mallory IV. Frau Stelzenmüller leitet das Berliner Büro des "German Marshall Fund of the United" und Herr Mallory ist der Chef des Aspen Instituts Berlin. Schön, dass Sie da sind.

Wir wollen die genannten Fragen anhand von zwei Büchern diskutieren, die beide mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten analysieren, was nach Bush für die USA auf der Agenda steht. Autor von Buch Nummer eins ist einer der weltweit wohl bekanntesten und einflussreichsten Wirtschaftswissenschaftler und Mediensuperstars. Das ist Paul Krugman. Sein Buch heißt "Nach Bush", und auf Englisch – aus Gründen, über die wir vielleicht noch reden sollten – dem Inhalt, finde ich, gerechter werdend als der Titel der deutschen Ausgabe: "Conscience of a Liberal"; wörtlich übersetzt würde man sagen: "Das Gewissen eines Linken."

Autorin des zweiten Buches ist Madeleine Albright, von 1997 bis 2001 US-Außenministerin unter Bill Clinton. Ihr Buch heißt "Amerika, du kannst es besser" und ist so eine Art offener Brief mit politischen Hausaufgaben an die Adresse des künftigen Hausherrn oder eben der Hausherrin im Weißen Haus, wie der englische Titel ja auch schon andeutet.

Bleiben wir erst mal bei Madeleine Albright. Was bringt das Buch dem Leser?

Constanze Stelzenmüller: Das Buch von Madeleine Albright hat den Charme, dass es sich liest, als würde man Frau Albright reden hören. Sie ist ja bekanntlich eine unprätentiöse, direkte und humorvolle Person. So liest sich auch dieses Buch. Das hat sie mit Bob Woodword unter anderem, denen Sie am Ende natürlich ausführlich und offen dankt, geschrieben. Es nimmt ihren Ton schon sehr genau auf. Deshalb ist auch das Buch inhaltlich erfreulich unprätentiös.

Es ist einerseits eine Anleitung zum Regieren für den Präsidenten, so im Stil der Fürstenbücher, die es in Europa in der frühen Neuzeit gab. Es ist aber gleichzeitig auch vielleicht eine Erklärung der Präsidentschaft oder des Präsidentenamts für den normalen Bürger. Sie schafft es auf sehr kluge, und - wie schon gesagt - unprätentiöse Weise diesen Spagat zu halten.

Riedel: Und sie versucht ja auch ganz bewusst nicht unbedingt Partei zu ergreifen, Parteienpartei zu ergreifen. Sie richtet diese Hausaufgabenstellung ja wirklich an wen auch immer es sein mag. In Klammern: Als Demokratin kann man mal davon ausgehen, dass sie auch einen Demokraten, eine Demokratin gern im Weißen Haus hätte. In Ihrer Analyse ist sie dann schon sehr Demokratin. Herr Mallory, das ist eine Abrechnung mit der amtierenden Bush-Regierung.

Charles King Mallory IV: Das Buch ist so ein Tour de Raison von der ganzen Bush-Ära und es ist auch hilfreich in dieser Hinsicht. Für einen deutschen Leser ist es, glaube ich, auch gut zu wissen, dass es Leute in den Vereinigten Staaten gibt, dass es einen Nachholbedarf in den Staaten gibt und es Leute gibt, die das verstehen. Für Amerikaner, glaube ich, ist es auch eine gute Auflistung der Herausforderungen, die vor uns stehen.

Was mir aber ein bisschen fehlt: Die Geschichte fing an mit der Bush-Administration, wenn man dieses Buch liest. Also, es sind keine Probleme, die von der Clinton-Periode, von ihrer Amtsperiode vererbt wurden.

Riedel: Sie geht natürlich auch sehr stark an die Fragen des Stilistischen, des Diplomatischen, des Umgangs mit Macht heran. Sie wirft Bush unter anderem vor, dass er einen Machtmissbrauch betrieben hat, dass er sich undemokratisch verhalten hat, dass sein Umgang nach innen mit Medien, Partnern, Regierungsmitgliedern absolut unangemessen war, genauso wie nach außen.

Mallory: Für mich ist das mehr ein Kommentar über die Art und Weise, auf der die Politik in den Vereinigten Staaten gemacht wird, als irgendein Vorwurf Bush gegenüber. Das hat man vielleicht im Ausland mehr unter Bush gesehen, weil dieser Angriff am 11. September seine ganze Amtsperiode geprägt hat. Aber wenn ich zurückdenke über das Verhalten von der Clinton-Mannschaft, dann würde ich sagen: Passt bloß auf mit den Vorwürfen!

Riedel: Sie konzentriert sich ja neben dem so ein bisschen Demokratietheoretischen sehr stark auf die Außenpolitik, naheliegenderweise. Und sie geht eigentlich die gesamte Agenda durch. Sämtliche Krisenregionen der Welt werden gestreift und beleuchtet. Was ist schief gelaufen, was könnte man besser machen? Es geht auch um den Umgang mit anderen Staatsmännern künftig, mit Partnern und Gegnern, den diplomatischen Stil, der sich ändern muss nach Madeleine Albright. Und wir hören mal einen kleinen Auszug:

"Wir Amerikaner sehen uns gern als die Verkörperung von Großzügigkeit und Tugendhaftigkeit. Aber viele Menschen in anderen Ländern empfinden uns als selbstsüchtig, rechthaberisch und gewalttätig. Die Wähler erwarten, dass sie an dieser Wahrnehmung etwas ändern, während sie uns gleichzeitig schützen und unsere Feinde besiegen und nebenbei noch die wirtschaftliche Entwicklung des Landes sichern. Mit anderen Worten, dass sie das tun, was sie in ihren Wahlversprechen angekündigt haben."

Wer der drei real noch existierenden Kandidaten - also, Republikaner: John McCain, Demokraten: Hillary Clinton oder Barack Obama - könnte denn diesen Gewaltakt, also das Ansehen Amerikas in der Welt - und von nichts Geringerem reden wir hier - besser Ihrer Einschätzung nach wieder zurechtrücken?

Mallory: Ich glaube, dass alle drei mehr oder weniger der Aufgabe gewachsen sind. Sie sind ihr gewachsen, weil jede Verbesserung von Null ist eine Verbesserung von tausend Prozent. Aber man muss eines verstehen, und das ist, dass es sehr, sehr verschiedene Ansätze gibt auf den beiden Seiten des Atlantiks. In Europa und in Deutschland gibt es eine Reihe von Staaten, die mehr und mehr ihre Souveränität aufgegeben haben für ein übernationales System und bewusst in einem Fall dem Machtdenken der alten Zeit den Rücken gekehrt haben.

Die Einsicht, glaube ich, gibt es weniger in Amerika und weniger in Russland. Ich glaube, das hat auch einen Einfluss, wie die Ereignisse im internationalen Umfeld auf den beiden Seiten des Atlantiks wahrgenommen werden.

Riedel: Es ist ja auch noch eine Frage, ob es tatsächlich ein Wahrnehmungsproblem ist, also, ob man dem zustimmen möchte, was Madeleine Albright an anderer Stelle schreibt. Ich zitiere: "Wo wir einst auf globaler Ebene diplomatische Praktiker erster Güte waren, benehmen wir uns heute wie Amateure." Ist es tatsächlich ein Vermittlungsproblem, womit der Neue oder die Neue zu tun haben wird?

Stelzenmüller: Vielleicht noch ein Punkt zu Ihrem Zitat und eine kleine Vorbemerkung: Wir Deutsche haben natürlich nie Gewalt angewendet und sind auch nie selbstgerecht. Das ist ja sehr beruhigend. Ich hoffe, das wird im Radio deutlich, dass ich das ironisch meine.

Riedel: Wir haben die Anführungsstriche gehört.

Stelzenmüller: Noch mal zu den drei Kandidaten und wer das am ehesten tun wird: Man muss ja einmal sagen, dass die Amerikaner zurzeit ein Luxusproblem haben. Sie haben die Wahl zwischen einer intelligenten Frau, einem sehr interessanten und klugen afroamerikanischen Politiker und einem gleichermaßen sehr interessanten und sehr ungewöhnlichen Konservativen. Das ist wirklich die interessanteste Wahl, die alle von uns, glaube ich, zu Lebzeiten erlebt haben und vielleicht noch etwas darüber hinaus. Und jeder dieser drei Kandidaten hat jetzt schon erkennbare Schwächen gezeigt, aber auch sehr große und sehr interessante Stärken. Ich glaube, dass jedem von ihnen zuzutrauen wäre, dass er die amerikanische Politik, die amerikanische Außenpolitik in andere Bahnen zurückführt, möglicherweise auch in zivilisiertere Bahnen.

Man darf nicht vergessen, dass dieser Moment nach den Anschlägen vom 11. September für Amerika ein existenzieller Schock war und dass hier so eine Art von Kernfusion stattgefunden hat zwischen der konservativen Bewegung und einem profunden Trauma, das sozusagen zu einer Art von hysterischen Übersprungshandlung in vielen Punkten geführt hat. Ich glaube, davon erholen sich die Amerikaner gerade, konservative wie liberale und progressive.

Riedel: Eine der Megabaustellen außenpolitisch für den künftigen Hausherrn im Weißen Haus, Hausherrin, wir müssen es ja immer noch dazu sagen, ist natürlich der Nahe Osten, ein Aufgabenfeld - so sieht es Madeleine Albright - durch die Bush-Ära sozusagen unter erschwerten Bedingungen zu beackern ist. Und sie schreibt dem künftigen mächtigsten Menschen der Welt folgendes ins Stammbuch:

"Sie werden ihre diplomatischen Initiativen im Nahen Osten aus einer unvorteilhaften Position heraus beginnen. Amerika hat eine schwache Ausgangslage, wenn es um grundlegende Fragen der Sicherheit geht, um Themen wie Recht, Aufrichtigkeit und Menschenrechte. Sie stehen einem selbstbewusst gewordenen Iran gegenüber. Die terroristische Bedrohung hat zugenommen und die Fraktionierungen sind stärker geworden innerhalb des Irak, unter den Palästinensern, innerhalb Israels und zwischen den schiitischen und sunnitischen Moslems. Da die Vereinigten Staaten in den letzten acht Jahren entweder vorurteilsbehaftet agierten oder auf dem falschen Fuß erwischt wurden, werden sie feststellen müssen, dass der Platz des Vorsitzenden am diplomatischen Verhandlungstisch, der lange Zeit für die Vereinigten Staaten reserviert war, verrückt worden ist. Ihnen kann es auch passieren, dass der Konferenzraum, den sie angemietet haben, halb leer ist, weil die Iraner, Russen, Europäer, Saudis und Ägypter ihre eigenen Treffen zur gleichen Zeit terminiert haben."

Ihr Rat trotzdem: "Steigen Sie auf das Karussell auf, sobald Sie im Amt sind. Möglicherweise gelingt es Ihnen richtungweisend zu wirken, vielleicht auch nicht. Geschichte wird jedenfalls nicht von jenen gemacht, die als Publikum daneben stehen." Also, ausgerechnet im Nahen Osten ganz schnell Flagge bekennen?

Mallory: Das ist, was mir ein bisschen nicht gefallen hat an ihrem Buch. Es ist fast eine zynische Einstellung, dass es wichtiger ist, dass man sieht, dass man versucht etwas zu machen im Friedensprozess, selbst aber nicht daran glaubt, dass man deswegen das Karussell besteigen muss. Ich bin nicht überzeugt von dieser Einschätzung.

Natürlich ist die Lage sehr, sehr schwierig im Nahen Osten, aber man muss auch immerhin sagen: Auf irgendeine Weise ist es immerhin dieser Administration noch gelungen, zusammenzuhalten mit den Europäern und den Russen, was Iran betrifft. Ja, die Ausgangslage ist eine schwierige. Man kann nur hoffen, dass es sich im Irak weiter in eine bessere Richtung bewegt und dass die Administration Kapital ausgeben wird, um irgendwelche politischen Ergebnisse zu erzielen, bevor der neue Präsident tatsächlich antritt.

Riedel: Irak und auch Iran erwähnen wir gleich noch. Bleiben wir einen kleinen Moment noch bei dem, was wir speziell Nahen Osten nennen. Da meinen wir natürlich immer Israel und Palästina und die Nachbarstaaten.

Eins, was Sie auch von dem Künftigen fordert, ist, dass er oder sie sich mehr auf die verschiedenen Sichtweisen der verschiedenen Akteure konzentrieren soll. Sie wirft ja Bush vor, dass er zu sehr und zu einseitig die Israelis unterstützt hat und sich ihre Sichtweise zu eigen gemacht hat und damit eben in der Region viel Porzellan zerschlagen hat.

Stelzenmüller: Auf weiblich heißt so was Empathie.

Riedel: Was nicht schaden kann.

Stelzenmüller: Das war jetzt eine ironische Bemerkung.

Riedel: Da hat sie aber die eine oder andere auch in ihrem Buch, ganz amüsant zum Teil.

Stelzenmüller: Richtig. Das ist auch das Angenehme daran, dass sie sich selber gelegentlich in diesem Buch auf die Schippe nimmt. Das ist ganz erfreulich. Das findet man normalerweise in den Memoiren von Präsidenten und Traktaten über Außenpolitik selten. In dieser Eigenschaft hat sie mich übrigens ein bisschen an Angela Merkel erinnert, diese Fähigkeit, ohne Prävention und nüchtern, vielleicht nicht mit sehr viel Fantasie, aber mit großem Realitätsbewusstsein an die Dinge ranzugehen.

Charles, ich weiß gar nicht, ob ich ihre Vorstellung bei Nahost so zynisch finde. Ich glaube, sie sagt, unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Wir haben so viel Kredit verloren in Nahost, wir alle. In Klammern: Wir Europäer haben ja nicht so viel mehr. Wo die Amerikaner Sünden aktiv begangen haben, haben wir vielleicht einfach unterlassen uns zu engagieren. Auf Englisch sagt man dazu: Sense of commission und sense of omission. Ich glaube, sie sagt, wir müssen erst mal wieder unseren Ruf herstellen als Amerikaner. Und das können wir nur tun, indem wir zunächst mal ehrlich sind über unsere Motive und uns dann als ehrlicher Vermittler anbieten. Das finde ich nicht eben wenig.

Riedel: Und indem wir auch unsere eigenen Hausaufgaben machen und uns an unsere eigene Nase fassen. Das betont sie auch noch mal im Zusammenhang mit dem Thema Iran. Sie findet, dass es geschadet hat, dass Ahmadinedschad mit Hitler verglichen wurde, weil man dann in letzter Konsequenz, wenn man dieser Argumentation folgt, tatsächlich mit allen Mitteln hätte eingreifen müssen oder müsste eingreifen.

Sie empfiehlt, lieber auszuloten, ob die iranische Führung nicht "mit der richtigen Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche zu beeinflussen ist" und kommt dann eben zu der Frage, ob denn in Sachen atomarer Rüstungspolitik sich nicht wirklich die USA öfter an die eigene Nase fassen müssen.

"Unter George W. Bush konzentrierte sich unsere Politik völlig auf die Verhinderung der nuklearen Aufrüstung feindlicher Nationen. Auf unsere eigenen Verpflichtungen wurde dabei wenig geachtet, ebenso wenig wie auf die Wirksamkeit einer allgemeinen Politik der Nichtverbreitung dieser Waffen. Und was noch schlimmer war, unsere Glaubwürdigkeit wurde durch die Ankündigung des Präsidenten, eine neue, völlig überflüssige Generation von Nuklearwaffen zu entwickeln, die auch Bunkerwände durchdringen kann, schwer in Mitleidenschaft gezogen. Ihre Regierung kann ja einiges gut machen, wenn sie diese Pläne zurückzieht und sich stattdessen darauf konzentriert, das Ziel einer Welt ohne Nuklearwaffen zu unterstützen, auch wenn wir nicht wissen, wie wir dieses Ziel erreichen werden."

Riedel: Dieser letzte Halbsatz spielt Ihnen natürlich wieder, Herr Mallory, in die Hände, wieder diese Art von Zynismus - lass und was machen, auch wenn es nicht funktioniert. Die Frage wird aber sein, wenn wir das Habhaftere aus diesem Zitat nehmen: Wird sich denn der Neue, die Neue tatsächlich in Sachen Iran beispielsweise oder atomarer Rüstungspolitik oder Nichtverbreitungspakt und ähnlichem anders verhalten können?

Mallory: Ich glaube, sie hat da einen wirklich guten Punkt. Es geht eben um viel, viel mehr als Iran. Es geht über das ganze Regime des Nichtverbreitungspaktes und - sage ich mal - merkwürdige Einstellungen, die gegenüber Pakistan und Indien eingenommen worden sind. Sie haben irgendwie freie Bahn bekommen und plötzlich kriegt Iran eine völlig andere Antwort. Natürlich wurde dieser Vertrag unterschrieben unter Bedingungen, die zwei Supermächte haben sich verpflichtet, ihre Bestände kleiner zu machen. Das ist nicht geschehen, mit der Ausnahme von einer Phase gerade nach dem Kalten Krieg. Da hat sie Recht.

Das wird eine Riesenherausforderung für den nächsten Präsidenten sein. Dieser Pakt steht am Rande des Zerfalls. Es hat auch Konsequenzen für die gesamte Sicherheitsordnung nach dem Zweiten Weltkrieg, weil es ein Baustein von der UNO war und eine große Herausforderung einer nächsten Administration ist. Wie kann man die Kurve kratzen? Man hat ja Indien und Pakistan zugelassen und jetzt beschwert sich Iran, dass er laut dem Vertrag ein Recht hat auf Anreicherung für die zivile Energie. Da haben sie natürlich Recht.

Stelzenmüller: Ich glaube schon, dass das eine sehr rational und nüchtern denkende Frau ist und auch Politikerin war. Aber das Problem ist, dass sie es sich beim Thema Iran sehr leicht macht. Sie sagt ja explizit, man darf die Anwendung von Gewalt nicht ausschließen. Das würde sicherlich auch keiner der drei Kandidaten tun. Sie sagt, aber wenn es mal so weit kommen sollte, dass wir erkennen, dass sie Nuklearwaffen entwickeln, dann müssen wir was tun. Was das Tun ist, lässt sie offen. Und vor allem, jeder, der mal Außenminister war, weiß, dass es eben keinen klaren Zeitpunkt gibt. Sie müsste sich dann schon auch darauf einlassen, ab wann wird es eigentlich gefährlich. Wie viele Zentrifugen? Welche Beweise braucht man und wie gut müssen diese Beweise sein, damit ein amerikanischer Präsident handeln muss?

Riedel: Relativ konkret wird sie ja mit einem Vorschlag in Sachen Irak, nachdem sie festgestellt hat, worüber wir hier nicht ausführlicher sprechen müssen, das ist Commonsense, das ist Allgemeingut, diese Situation ist schwierig und es gibt keinen leichten Weg raus. Aber sie sieht als eines der größten Probleme ja die sektiererische Gewalt, also zwischen den verschiedenen Volksgruppen. Und sie sagt:

"Möglicherweise ist die Aufteilung die einzige Möglichkeit den Irak zusammenzuhalten, keine förmliche oder vollständige, aber immerhin ein Maß, um Lebensraum für die Schiiten im Süden, die Kurden im Norden und die Sunniten dazwischen zu schaffen."

Sinnvoller Vorschlag? Sehr konkret auf alle Fälle.

Mallory: Man muss sich aber dann ganz im Klaren sein, dass - wenn diese Pandorabüchse aufgemacht wird im Nahen Osten - dann alles, was sozusagen zusammengenäht wurde aus dem osmanischen Imperium, wieder infrage steht oder offen ist. Vielleicht sollte man das nicht so ausdrücklich sagen, wenn man der neue Präsident ist, sondern eher einen Föderalismus, einen ganz lockeren Föderalismus anstreben. Weil, wenn man tatsächlich als Ausgangsposition sagt, dass man mit einem aufgesplitteten Irak leben kann, also, Israel selber wurde aus einer Provinz vom osmanischen Imperium gebildet. Wo hört es auf?

Riedel: Man sieht, wie viel Zeit wir schon auf dieses Buch verwenden, schon allein deshalb, weil ja jede Region der Welt gestreift wird. Trotzdem sollten wir da einen Punkt machen, damit wir noch zu Paul Krugman kommen, der ja nun seinen Blick fast ausschließlich auf die innen- respektive wirtschafts- und sozialpolitischen Aspekte nach Bush richtet, so der Titel der deutschen Ausgabe. Wobei es tatsächlich in dem Buch weniger um nach Bush geht, sondern - jedenfalls auf 240 von 300 Seiten - eher da drum: vor Bush.

Also, wie war Bush möglich? Wie kam es zu Bush? Was ist unter Bush mit den USA passiert und mit den Republikanern? Trotzdem oder vielleicht auch gerade deswegen ein empfehlenswertes Buch?

Mallory: In seiner Analyse ist er voll zutreffend. Er ist weiter links als Frau Albright. Er hat vollkommen Recht, dass die Verteilung der Ressourcen innerhalb der Gesellschaft ein Problem ist. Er hat auch vollkommen Recht, dass die Gesundheitsvorsorge eine Schlüsselfrage ist. Ob sie gelöst wird, ist eine andere Sache.

Ich bezweifle, ob ein stärkeres Rücken nach links wirklich die Lösung für die demokratische Partei ist. Meine Auffassung der letzten Präsidentschaftswahlen ist, dass es sich immer um einen Kampf in der Mitte handelt. Das heißt, dass man ein bisschen in der Mitte bleiben muss, wenn man überhaupt attraktiv bleiben will für die unabhängigen Wähler.

Riedel: Er bescheinigt den Republikanern oder den Konservativen nichts weniger als Konzeptlosigkeit und Orientierungslosigkeit. Hören wir mal rein:

"Bei einem Blick auf die gegenwärtige politische Landschaft fällt einem auf, wie wohl formuliert das progressive Programm ist und wie tief die konservative Bewegung intellektuell heruntergekommen ist. Während ich an diesem Buch schrieb diskutieren die Präsidentschaftskandidaten der Demokraten über Pläne für eine allgemeine Krankenversicherung, über neue Wege zur Armutsbekämpfung, über Möglichkeiten Hauskäufern zu helfen und vieles mehr. Die republikanischen Bewerber trugen dagegen überhaupt nichts Konkretes vor. Allenfalls konkurrierten sie untereinander darum, wer am ehesten wie Ronald Reagan klingt und wer sich am stärksten für die Folter erwärmt.
Die demokratische Partei ist in dem Maße, wie sie die progressive Bewegung vertritt, zur Partei der Ideen geworden. Das progressive Programm ist klar und erreichbar, aber es wird auf scharfen Widerstand stoßen. Das politische Leben Amerikas ist heute entscheidend davon geprägt, dass die Republikanische Partei in den Händen der konservativen Bewegung ist."


Riedel: Wie wunderbar, dass Krugman so überhaupt nicht polemisch ist. Ich glaube, man hört auch da bei mir die Anführungsstriche raus. Haben denn, um es ein bisschen auf eine sachliche Ebene runter zu brechen, die Demokraten Ihrer beider Einschätzung nach tatsächlich zurzeit die besseren Konzepte?

Mallory: Der McCain hat natürlich auch ein Konzept für Gesundheitsvorsorge. Sie sind lange Zeit nicht an der Macht gewesen und haben vielleicht mehr Zeit gehabt, sich Gedanken darüber zu machen. Die echte Frage ist doch: Auf welcher Ebene wird es im Wahlkampf dann entschieden? Als Leute, die so von einem politischen Hintergrund kommen, möchten wir alle glauben, dass alle so Vorschläge für verschiedene Politiken im Bereich Gesundheit et cetera beurteilt werden und dann entscheidet der Wähler, für wen er wählen möchte. Aber das ist leider, glaube ich, eine Fehleinschätzung.

Riedel: Frau Stelzenmüller, würden Sie Wetten abschließen, ob die Demokraten es beweisen werden können müssen, ob sie die besseren Konzepte haben?

Stelzenmüller: Das müssen sie schon, wenn sie gewinnen. Ich finde auch, dass Paul Krugman ein brillanter Polemiker ist. Das liest sich alle sehr angenehm natürlich, weil er so lebhaft schreibt und auch so überzeugt ist. Er hat natürlich auch seine Schwächen. Seine größte Schwäche, wie mir scheint, ist die Außenpolitik. In den wenigen mageren Passagen über Außenpolitik in diesem Buch, das ist - Madeleine Albright würde sagen, mit Verlaub, mein Herr - Stuss.

Ich würde heute nicht darauf wetten wollen, dass die Demokraten diese Präsidentschaftswahl gewinnen. Nicht nur deshalb, weil sowohl Hillary Clinton als auch Obama klar erkennbare Schwächen haben, an denen sie noch scheitern können, sondern auch weil sie einander sehr nah auf den Fersen sind. Dadurch können sie sich gegenseitig ausblocken. Das wiederum ist eine Chance für John McCain.

In der Tat ist es richtig, dass die Konservativen in diesem Wahlkampf inhaltlich und auch persönlich ein sehr schwaches Bild abgeben haben. Sämtliche anderen Kandidaten waren bedeutungslos, außer John McCain. Und auch John McCain hat erkennbare Schwächen und ist insbesondere für weite Teile des konservativen Lagers, insbesondere für die alten Bewegungskonservativen, unattraktiv, weil er für sie aus ihrer Sicht - das jetzt natürlich ironisch - zu liberal ist.
Aber in einem Punkt hat Charles sehr Recht, da irrt, glaube ich, Krugman. Das Letzte, was die Amerikaner jetzt wollen, ist eine weitere Polemisierung, Polarisierung der Politik. Das ist genau das, was Sie gesagt haben. Das sieht man auch in allen Umfragen. In der Tat sind die sozialen Gegensätze sehr groß. In der Tat sind die Meinungen polarisiert, aber umso größer ist die Sehnsucht nach einem Präsidenten, der sozusagen wieder die Mitte zurückbringt und Harmonie verbreitet - in der Innen- wie in der Außenpolitik.

Mallory: Übrigens McCain ist ein perfektes Gegenbeispiel von dieser Polemik. Für mich ist McCain ein Fall, wo die republikanischen Wähler die Partei wider ihren Willen in die Mitte geschleppt haben. Sie haben gesehen, wie diese stark konservativen Leute auf dem Radio in den Vereinigten Staaten gemeckert haben, nachdem es so aussah, als ob der McCain tatsächlich Kandidat wird, und versucht haben Sabotage zu organisieren. Die Kandidatur McCains ist eigentlich ein Gegenbeweis für die Behauptung, dass es jetzt weiter nach rechts geht auf der konservativen Seite.

Riedel: Ein ganz langes Kapitel, ein Herzstück sozusagen des Buchs von Paul Krugman, widmet sich der Notwendigkeit einer Gesundheitsreform. 47 Millionen Amerikaner, die keine Krankenversicherung haben - spricht ja für sich. Er nennt sein Kapitel auch "Über die Notwendigkeit einer Gesundheitsreform". Und sein Credo ist: Eine Gesundheitsreform lohnt sich in jedem Fall.

"Für moderne Liberale sollte ein allgemeines System der Gesundheitsversorgung die höchste innenpolitische Priorität haben. Wenn sie das erreicht haben, können sie sich der umfassenderen, schwierigeren Aufgabe zuwenden, die Ungleichheit in Amerika einzudämmen."

Also, Priorität hat die Krankenversicherung und dann gehen wir her und schließen die Schere wieder zwischen Armen und Reichen in den USA. Nicht weniger verlangt er ja eigentlich. Das ist ja vielleicht doch ein großer Berg, den der Kommende, die Kommende da abzutragen hat.

Stelzenmüller: Ich meine, alle drei Kandidaten sind sich übrigens einig, dass es eine Krankenversicherung geben muss, die möglichst demokratisch ist, also möglichst vielen Menschen zugänglich ist. Der Streit ist allein über die Methode und über das Verhältnis zwischen öffentlichem und privatem Anteil - ähnlich wie bei uns übrigens.

Wird das geeignet sein, die Schere zwischen Arm und Reich zu schließen? Angesichts der gegenwärtig sich anbahnenden Rezession und der Krise auf den Finanzmärkten in Amerika würde ich sagen, das ist eine illusorische Hoffnung. Der nächste Präsident kommt möglicherweise unter ähnlichen Umständen, wie damals Bill Clinton rein, also in einer Zeit großer wirtschaftlicher Schwierigkeiten, die Krugman ja auch eloquent beschreibt. Der wird sozusagen Katastrophenmanagement beschreiben müssen. Da sind dann andere Fähigkeiten gefragt. Da werden große staatliche Ausgaben für eine Gesundheitsvorsorge möglicherweise gar nicht drin sein.

Riedel: Zumal die Widerstände, wird ja auch prognostiziert von Krugman in seinem Buch, "enorm" sein werden, wie damals bei Hillary Clinton zu beobachten und jetzt wieder, und zwar auch von Konservativen, egal von welcher Parteizugehörigkeit, für den die Idee, dass der Staat sich an dieser Ecke in irgendeiner Form einmengt, ja ohnehin schon Teufelszeug ist.

Mallory: Man muss aber nicht unbedingt als Konservativer ein Problem damit haben. Sie kommen von zwei verschiedenen Richtungen. Obama und Clinton wollen durch Direktiven dafür sorgen, dass Leute Versicherung haben, sogar in einem Fall - ich glaube, in Frau Clintons Fall - zwangsmäßig die Leute dazu bringen, dass sie Versicherung aufnehmen.

Riedel: Da wird Ihnen ganz übel bei dem Gedanken, oder?

Mallory: Ich bin da ganz parteilos. Die Frage ist, was hat die größte Möglichkeit, eine gute Gesundheitsversorgung zustande zu bringen in den Vereinigten Staaten? Ich glaube, dieser Ansatz hat sich anderswo nicht bewiesen. Ich bin einem Land groß geworden. Ich kenne, welche Probleme mit solchen Systemen verbunden sind. McCains Ansatz ist, das ist eigentlich das Problem mit der Gesundheitsvorsorge in Amerika, ist eher ein Problem der Kosten und dass es quasi oligopolistische Strukturen gibt.

Das klassische Beispiel sind die pharmazeutischen Produkte, die man zu einem wesentlichen Abschlag in Kanada kaufen kann. Der Republikanische Kongress unter dieser Administration hat ein Gesetz durchgezogen, laut dem es illegal ist, in Kanada solche Produkte zu importieren. McCain hingegen ist dafür. Es gibt bessere Aussichten meiner Meinung nach, als mit irgendwelchen zwangsmäßigen Versuchen Leute dazu zu zwingen, ein Produkt zu kaufen, das viel zu teuer ist - von Anfang an.

Riedel: Da kämen Sie heftig in den Clinch mit Herrn Krugman, wenn er Ihnen gegenüber säße, der interessanterweise ausgerechnet das in letzter Zeit bei uns so viel gescholtene deutsche Gesundheitssystem durchaus als Vorbild zitiert.

Lassen Sie uns da einen Punkt machen. Wir könnten gerne noch zweieinhalb Stündchen plaudern, aber ich möchte gern die letzten Minuten doch darauf verwenden, dass Sie mir noch mal jeweils kurz erzählen, was gerade auf Ihrem Nachttisch liegt, was Sie gerade lesen.

Mallory: Ich lese ein Buch von einer Teilnehmerin von einer von unseren Konferenzen, eine deutsche Journalistin - Christiane Hoffmann. Das Buch heißt "Hinter den Schleiern Irans". Diese Frau ist eine sehr interessante Frau. Sie ist mit dem ehemaligen Schweizerischen Botschafter in Teheran verheiratet. Und die Schweizer haben natürlich die Interessen der Vereinigten Staaten im Iran vertreten. Das ist ihr sehr persönliches Tagebuch von ihren Eindrücken von - ich glaube - etwa vier Jahren im Iran.

Stelzenmüller: Mein Problem ist, dass ich irgendwann mal von dem Stapel der Bücher neben meinem Bett erschlagen werde, wenn er nachts über mir zusammenbricht, auch wenn das eine poetische Art wäre zu gehen. Ich will sagen, ich lese immer mehrere Sachen auf einmal. Ich lese gerade ein Buch von Dickens, "Great Expectations", seinen letzten großen Roman. Dickens war ein großer Sozialreporter. Das habe ich eigentlich, als ich jünger war, nicht begriffen. Das finde ich jetzt sehr beeindruckend.

Das andere, was ich gerade lese, ist die Autobiografie von F. J. Raddatz, dem langjährigen Feuilletonchef der "Zeit", seinen unglaublich nazistischen Memoirenband, sehr narzisstisch und sehr emotional, aber gleichzeitig auch sehr großherzig. Das ist eine faszinierende Biografie der ersten 40 Jahre Westdeutschlands. Und er hat ja in Ostdeutschland angefangen, insofern ein bisschen Biografie von Deutschland nach dem Krieg - es lohnt sich, beides.

Riedel: Vielen Dank. Das war unsere heutige Lesart Spezial. Es ging um zwei Bücher nach Bush und die Frage, wie es weitergehen soll mit einem neuen Präsidenten, einer neuen Präsidentin im nächsten Jahr. Vielen Dank vor allen Dingen an unsere Gäste hier im Studio, Constanze Stelzenmüller, die Leiterin des Berliner Büros des German Marshall Funds und Charles King Mallory IV, Chef des Aspen Instituts Berlin.

Buchtipps:
Madeleine Korbel Albright: "Memo to the President Elcet
We Can Restore America's Reputation and Leadership"


Paul Krugmann: Nach Bush
Das Ende der Neokonservativen und die Stunde der Demokraten

Campus Verlag, Frankfurt am Main 2008

Buchtipp von Charles King Mallory IV:
Christiane Hoffmann: Hinter den Schleiern Irans
Einblicke in ein verborgenes Land

Dumont-Verlag, Köln 2007

Buchtipp von Constanze Stelzenmüller:
Charles Dickens Great Expectations

F. J. Raddatz: Unruhestifter - Erinnerungen
List-Verlag, München 2007
Paul Krugmann: Nach Bush - Das Ende der Neokonservativen und die Stunde der Demokraten
Paul Krugmann: Nach Bush© Campus Verlag