"Die ungarische Regierung hat verstanden, was die Europäische Kommission erwartet"

Michael Gahler im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 16.01.2012
Der CDU-Europapolitiker Michael Gahler, Mitglied im Europäischen Parlament, hat die ungarische Regierung gegen die allgegenwärtige Kritik in Schutz genommen. Gahler sagte, die Regierung von Viktor Orbán habe bereits die Zusage gegeben, nicht EU-Recht-konforme Gesetze zu ändern.
Jan-Christoph Kitzler: Europa gibt zurzeit ein eher desolates Bild ab als stolze Europäische Union, kämpft mit Zerfallserscheinungen an allen Ecken und Enden. Wo man früher wenigstens hin und wieder an einem Strang zog, gefährdet heute die Euro-Krise die Einheit und die Staatsverschuldung. Und weil die wirtschaftliche Union immer das wichtigste Bindemittel war und die politische Union eher unterentwickelt, bleibt jetzt nicht mehr viel übrig vom alten Glanz. Und dann gefährden nationale Alleingänge den letzten Rest an Solidarität in Europa.

Ungarn gehört zwar nicht zum Euro-Raum, aber die Regierung von Viktor Orbán beschließt mit ihrer Zweidrittelmehrheit gerade ein paar Reformen, die so gar nicht zum europäischen Geist passen wollen: Da wird die Presse an die Leine gelegt, die Unabhängigkeit der Zentralbank und die Rechte des Verfassungsgerichtes beschnitten. Und das in einer Zeit, in der Ungarn auf Finanzhilfen auch von Europa hofft. Statt das Land vor der Pleite zu retten, will die EU-Kommission morgen erst mal darüber entscheiden, ob gleich mehrere Vertragsverletzungsverfahren auf den Weg gebracht werden. Wie soll Europa umgehen mit Ungarn? – Das will ich jetzt besprechen mit Michael Gahler. Er sitzt für die CDU im Europaparlament, kümmert sich dort um Außenpolitik und ist Mitglied im Fraktionsvorstand der Europäischen Volkspartei. Schönen guten Morgen!

Michael Gahler: Morgen, Herr Kitzler!

Kitzler: Was sind denn Ihre Erwartungen? Wird oder muss die EU-Kommission eine härtere Gangart einschlagen gegenüber Ungarn?

Gahler: Also, zunächst mal wollen wir ja alle gemeinsam, dass die Gesetzgebung Ungarns mit dem Rechtsbestand der Europäischen Union und ihren Werten und Prinzipien im Einklang steht. Und ich denke, die Kommission hat ja jetzt in den letzten Wochen die neuen Gesetze bewertet. Und um der Kritik vielleicht an Ungarn gleich die Spitze zu nehmen, möchte ich hinweisen, dass die ungarische Regierung erneut die Zusage gegeben hat, dass sie überall dort, wo die EU-Kommission feststellt, dass die Rechtslage eben nicht mit EU-Recht vereinbar ist, dass sie die erforderlichen Änderungen vornehmen wird. Das hat sie ja auch im letzten Jahr bei den Mediengesetzen getan. Das heißt jetzt nicht, dass jetzt morgen keine Vertragsverletzungsverfahren vielleicht initiiert werden, weil es eben noch nicht aus Sicht der Kommission der Fall ist, aber Vertragsverletzungsverfahren sind eigentlich das normale Geschäft der Kommission. Wir Deutschen sind davon auch regelmäßig überzogen und dann irgendwann werden wir das in Einklang bringen mit dem Recht der Europäischen Union.

Kitzler: Auf der anderen Seite kommen ja auch immer wieder recht markige Töne aus Budapest: Viktor Orbán verweist darauf, dass das alles innerungarische Angelegenheiten seien, die EU soll sich nicht einmischen. Ist der Druck vielleicht noch zu gering?

Gahler: Also, ich denke, die ungarische Regierung hat schon verstanden, was die Europäische Kommission erwartet, und deswegen reagiert sie ja doch auch so, wie ich es eben dargestellt habe. Die markigen Worte, die haben in Ungarn von allen politischen Seiten eigentlich Tradition, da sind die Lager seit der politischen Wende sehr verhärtet, da schenkt man sich gegenseitig nichts. Und das ist eben die Sprache, die dort, aber auch durchaus in einigen anderen europäischen Ländern innenpolitisch geführt wird.

Kitzler: Was für Sanktionsmöglichkeiten gibt es denn überhaupt noch? Also, es stand ja mal im Raum, die Mittel aus dem Fonds für ärmere Regionen zu streichen. Aber das Land steht vor der Pleite, das ist vielleicht nicht gerade das Mittel der Wahl jetzt, oder?

Gahler: Also, es geht jetzt nicht um Sanktionen auch seitens der Kommission. Es geht darum, im ersten Schritt jetzt festzustellen, was aus Sicht der Kommission nicht richtig im Einklang ist. Und dann, wenn das nicht unmittelbar zu regeln ist, dann eben Vertragsverletzungsverfahren durchzuführen mit dem Ziel, keine Sanktionen durchzuführen – das wäre der nächste Schritt –, sondern mit dem Ziel eben, die Diskrepanzen in Einklang mit EU-Recht zu bringen. Und das wäre der, das ist das, was morgen die Kommission dann wohl verkünden wird.

Kitzler: Das Beispiel Ungarn ist ja auch vielleicht ein Modellfall für die Einflussmöglichkeiten auf nationale Regierungen. Reicht denn eigentlich das Instrumentarium aus zum Beispiel, wenn sich ein Staat in antidemokratische Richtung entwickelt?

Gahler: Also, wir haben hier ein Beispiel, was gründlich danebengegangen ist im Jahr 2000, als dieser berühmte Artikel sieben des EU-Vertrages gegen Österreich in Stellung gebracht worden ist …

Kitzler: … als Herr Haider an die Regierung kam …

Gahler: … als die ÖVP in einer Koalitionsregierung mit dem kleineren Partner FPÖ, damals von Herr Haider, an die Regierung kam. Und da, denke ich, da ist auch eine politisch motivierte Hysterie ausgelöst worden, die sich ja dann im Falle Österreich durchaus in Wohlgefallen aufgelöst hat. Wir haben gesehen, dass Österreich in keiner Weise gegen demokratische Prinzipien oder die Prinzipien der EU verstoßen hat. Und ich bin jetzt auch in Ungarn zuversichtlich, dass diese Partei, die in der Regierung ist und im Übrigen zur Parteienfamilie der Europäischen Volkspartei, also der europäischen Christdemokraten, gehört, da gern da bereit ist, eben zu reagieren. Ich würde mir wünschen, dass viele Regierungen und Parteien auf die Vorschläge der Kommission so reagieren wie die ungarische Regierung, nämlich den Vorschlägen zu folgen und sich nicht eben dann bockbeinig zu stellen.

Kitzler: Auf der anderen Seite, diese Gesetzesinitiativen, die gab es natürlich und die gehen in eine eindeutige Richtung. Sie haben die Fidesz-Partei von Viktor Orbán angesprochen, die gehört zur EVP, zur Europäischen Volkspartei. Wird da auch darüber nachgedacht, möglicherweise die Fidesz-Partei auszuschließen aus diesem Bündnis der konservativen Parteien in Europa?

Gahler: Nein, darüber wird nicht nachgedacht.

Kitzler: Warum nicht?

Gahler: Ja, weil letztlich die Grundprinzipien aus unserer Überzeugung heraus nicht verletzt sind und selbst dann, wenn sie in Einzelfällen – nicht die Grundprinzipien, sondern einzelne Gesetze – dagegen verstoßen, wir ja die Zusage haben, dass dies alles in Einklang mit europäischem Recht gebracht wird. Wir können ja mal konkret werden: Wenn Sie sich anschauen ein Gesetz zur Senkung des Rentenalters für Richter, also von 70 auf 62 Jahre. Ich kann mir natürlich durchaus vorstellen, dass das auch politische Hintergründe hat, aber ob das gegen die Grundprinzipien der Europäischen Union verstößt, Richter mit 62 in die Rente zu schicken, da möchte ich gerne erst mal morgen die Begründung der Kommission sehen.

Interessant auch die Notenbank, das Gesetz: Natürlich bin ich auch der Auffassung, dass ein Land wie Ungarn, das auf dem Weg zum Euro für den Euro verpflichtet ist, auf dem Weg dorthin nicht erst den Umweg machen sollte und die Notenbank an die Leine nehmen. Aber die Verpflichtung, eine unabhängige Notenbank zu haben, besteht in dem Augenblick, wo man dem Euro beitritt. Der Herr Trichet, der war in Frankreich Gouverneur der Notenbank und bevor er das wurde, war er Staatssekretär in der französischen Regierung, der für die Weisungen an die Notenbank zuständig war. Das heißt, Ungarn macht im Augenblick etwa ein Gesetz, wie es in Frankreich vor der Euro-Einführung bestand. Wie gesagt, nicht besonders schön, aber noch kein Verstoß – aus meiner Sicht jedenfalls, wenn ich das bewerte – gegen die EU-Verträge. Weil man eben ja auch noch nicht im Euro ist.

Kitzler: Ist die Tatsache, dass die Fidesz-Partei weiterhin zur EVP gehört, vielleicht auch eine weitere Möglichkeit, Einfluss zu nehmen auf das, was in Europa passiert? Oder passiert vielleicht eher das Gegenteil, dass man der Politik von Viktor Orbán damit zusätzliche Legitimität verleiht?

Gahler: Nein, es geht jetzt nicht um Legitimität. Natürlich sind wir im permanenten Dialog und ermuntern unsere Freunde ja auch dazu, das, was die Kommission sagt, dann auch umzusetzen. Das können Sie vielleicht durchaus auch auf den Einfluss der EVP mit zurückführen, eben weil wir in diesem Dialog sind. Die Partei weiß, und auch ihre Vertreter im Europäischen Parlament, dass Ungarn, dass jedes Mitgliedsland besser fährt, wenn es sich im Einklang mit der Rechtsetzung der Europäischen Union befindet.

Kitzler: Der CDU-Europa-Abgeordnete Michael Gahler war das über die Frage, wie umgehen mit Ungarn in der Europäischen Union. Vielen Dank und Ihnen einen schönen Tag!

Gahler: Ebenso, Wiederhören!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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