"Die Träume unserer Gründerväter"

Joshua Stanton im Gespräch mit Ralf Bei der Kellen · 11.09.2010
Joshua Stanton von der Intitiative "Religious Freedom USA" erinnert an die Tradition der religiösen Toleranz in den Vereinigten Staaten und unterstützt den umstrittenen Plan für ein muslimisches Kulturzentrum in New York.
Ralf Bei der Kellen: Hat die Angst vor dem Islam in Amerika ihre Wurzeln in den Anschlägen vom 11. September oder reicht diese noch weiter zurück?

Joshua Stanton: Menschen unterschiedlichster Glaubensrichtungen willkommen zu heißen hat in Amerika eine lange Tradition. Ich hatte immer den Eindruck, dass sich die Muslime in Amerika nicht nur willkommen fühlten, sondern sich auch als ein fester Bestandteil der amerikanischen Gesellschaft begriffen. Durch den 11. September musste nicht nur dringender klar gemacht werden, dass Muslime in Amerika willkommen sind. Muslime mussten vor allem klar machen, dass sie sich sehr amerikanisch fühlen.

Daher denke ich, dass der 11. September zu einer erhöhten Toleranz in unserer Gesellschaft geführt hat – eben weil wir auf ihn reagieren mussten. George Bush – so kompliziert seine Präsidentschaft auch war – hat immer sehr klar gemacht, dass nicht die muslimische Gemeinde für den 11. September verantwortlich ist, sondern eine kleine Randgruppe. Das ermöglichte einen echten Fortschritt in den USA bei der Aufnahme der Muslime. Und es ermöglichte auch, dass die amerikanischen Muslime dem Rest der Gesellschaft die Hand ausstreckten und sagten: "Wir lieben Amerika! Wir sind Patrioten, wir sind keine Terroristen. Wir wollen hier mit Euch leben und wir sind genauso die Opfer dieses Terrors wie jeder andere auch.”

Im Moment befinden wir uns aber in der Situation, dass der zehnte Jahrestag des Anschlags näher rückt. Und ich denke, dass die Amerikaner einfach nicht die Chance hatten, wirklich zu trauern. Es gab meiner Meinung nach keine echte öffentliche Auseinandersetzung damit, wie sehr uns der 11. September alle verletzt hat. Zudem sind die Kriege in Irak und Afghanistan bislang nicht zu einem überzeugenden Ende gekommen.

Die unglückselige Reaktion gewisser Extremisten in den USA – und damit meine ich bedauerlicherweise Menschen aus vielen religiösen Traditionen – ist, dass sie ihre Trauer, ihren Schmerz dazu benutzen, auf die muslimische Gemeinschaft einzuschlagen. Es sind Menschen, die das Geschehen noch nicht heilend verarbeitet haben. Sie sind der Meinung, dass sie sich mit diesem Vorgehen gegen die Muslime besser fühlen werden. Dieses Verhalten ist irrig, es ist falsch und es führt nur zu größerem, nicht geringerem Schmerz.

Bei der Kellen: Was denken Sie wird das Ergebnis dieser Diskussion um das muslimische Gemeindezentrum Park51 sein – wird sie den interreligiösen Dialog in den USA zurückwerfen oder diejenigen, die sich bereits im Dialog befinden, noch stärker zusammenbringen als bisher?

Stanton: Ich denke, diese Diskussion baut einen gewissen Druck auf und sie stellt klar, dass der interreligiöse Dialog und die Bemühungen um Pluralismus und Toleranz wesentlich sind. Die Angst vor dem Islam, vor anderen Religionen und vor fremden Menschen und Kulturen – diese Themen, die jahrelang unter den Teppich gekehrt wurden, liegen jetzt offen auf dem Tisch!

Und wenn diese Dinge öffentlich thematisiert werden, dann können wir uns mit ihnen auseinandersetzen – und zwar gemeinsam. Wir erleben gerade, dass die Oberhäupter der religiösen Gemeinden in den USA genau dies tun und sagen: "Jetzt können wir mit unseren Brüdern und Schwestern aus anderen religiösen Traditionen gemeinsam für eine bessere Zukunft aller Amerikaner arbeiten!" Meine Hoffnung auf diesen Prozess ist augenblicklich sehr groß. Ich denke aber auch, dass noch eine ganze Menge Arbeit vor uns liegt.

Bei der Kellen: Ihre Organisation "Religious Freedom USA" will am 12. September einen "liberty walk", eine "Fußmarsch für die Freiheit" veranstalten. Warum findet diese Demonstration eigentlich nicht am 11. September statt?

Stanton: Wir hoffen, mit dem "liberty walk” um die tausend Menschen auf die Straße zu bringen und so zu zeigen, dass das muslimische Zentrum Park51 ein Zeichen der Religionsfreiheit, der Unabhängigkeit und des Pluralismus ist. Wir haben uns entschieden, die Veranstaltung nicht am 11. September stattfinden zu lassen, weil wir wirklich finden, dass an diesem Tag in erster Linie die Trauer wichtig und notwendig ist. Und davon wollten wir nicht ablenken, vor allem in Hinblick auf diejenigen, die am 11. September 2001 geliebte Menschen verloren haben.

Ein weiterer Grund, erst am 12. September auf die Straße zu gehen, war, zu sagen: Natürlich müssen wir trauern – aber wir müssen auch nach vorne schauen. Und das bedeutet auch, sicherzustellen, dass unsere Rechte und unsere Werte nicht durch diese schreckliche Tragödie gefährdet werden. Und wir hoffen, dass wir durch die Mobilisierung von tausend und mehr Menschen unserer Bewegung für Park51 und für die Religionsfreiheit aller Menschen Gesichter geben und Persönlichkeiten hinzufügen können.

Bei der Kellen: Geht es bei der Diskussion also auch um Grundwerte der amerikanischen Gesellschaft?

Stanton: Ich denke, dass bei dieser Diskussion nichts weniger als die Träume unserer Gründerväter auf dem Spiel stehen. George Washington erklärte einst in einem Brief an die amerikanische jüdische Gemeinde, dass er einen Platz für Juden in Amerika sehe. Er tat dies zu einer Zeit, wo nirgendwo anders auf der Welt Juden als gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft aufgenommen worden wären. Washington sah Amerika als einen Ort für Menschen mit allen möglichen Wurzeln und Traditionen. Der große amerikanische Patriot Thomas Paine machte deutlich, dass für ihn Religion gleichbedeutend mit gegenseitiger Hilfe war. Und auch Präsident Lincoln hat sich eindeutig für den Pluralismus eingesetzt, als er die Vertreibung der Juden aus einigen südlichen Staaten der USA durch General Grant praktisch rückgängig machte.

Den führenden Persönlichkeiten der amerikanischen Geschichte ging es immer auch um Religionsfreiheit und Pluralismus. Und wir müssen dafür Sorge tragen, dass dieser Traum nicht zerstört wird von Menschen, deren Tun von Angst und Gram motiviert ist. Das ist entscheidend für die Zukunft Amerikas.

Aber ich habe auch ein starkes Vertrauen in die Amerikaner und ich glaube, dass es mit der Zeit jedem einzelnen klar werden wird, dass Widerstand gegen Park51 falsch ist, dass Park51 eine Herausforderung an das in Verfassung festgeschriebene Ideal der Religionsfreiheit ist und dass Park51 zu Amerika gehört wie nur sonst etwas.

Bei der Kellen: Vielen Dank, Joshua Stanton, für das Gespräch.