Die Tradition, die Reform und der Protest

Von Franz Häuser · 24.11.2009
In diesem kontinuierlichen Lehrbetrieb kommt die Überlebenskraft eines ganz besonderen, im mittelalterlichen Europa entstandenen Typus einer Bildungsinstitution zum Ausdruck, die unter ihrem Dach wissenschaftliche Forschung und akademische Lehre miteinander verbindet, sodass ein Forscher immer gleichzeitig akademischer Lehrer ist, der in dieser Funktion die Studierenden an der Forschung teilhaben lässt und ihnen so das spannende Charakteristikum von wissenschaftlicher Forschung, nämlich ihre Unabgeschlossenheit, vermittelt.
Solche forschungsgeleitete Lehre ist seit mehr als 200 Jahren kennzeichnend für die deutsche Universität. Dies sollte auch in Zukunft so bleiben, allerdings ergänzt durch die realistische Perspektive, dass universitäre Ausbildung heutzutage nicht nur den eigenen wissenschaftlichen Nachwuchs im Auge haben darf, sondern vor allem die große Zahl derjenigen Studierenden, die unmittelbar einen Beruf ergreifen wollen, für den ein akademisches Studium Voraussetzung ist.

Konsequenterweise darf deshalb eine Praxisorientierung nicht als Fremdkörper im Studium verstanden werden. Diese Blickverschiebung ist nicht zuletzt auf das rasante Anwachsen der Zahl der Studierenden zurückzuführen, und zwar als signifikante Veränderung der Hochschullandschaft nach dem Zweiten Weltkrieg, die mit dem unschönen Begriff der Massenuniversität umschrieben wird. Was grundsätzlich als eine an sich erfreuliche Entwicklung anzusehen ist, macht es den Universitäten aber nicht leichter, ihren Auftrag qualitätsvoll zu erfüllen, denn ihre finanzielle Ausstattung hinkt bis heute hinter dieser Herausforderung zurück.

Aus einer meistens als temporär beschriebenen Überlast in der Lehre wurde regelmäßig der Normalfall. Es kommt hinzu, dass Universitäten in ihrer Grundfinanzierung von den wirtschaftlichen Möglichkeiten des Bundeslandes abhängen, in dem sie ihren Sitz haben, und diese sind bekanntlich sehr unterschiedlich, was zu Asymmetrien führt, die sich auf Dauer nicht halten lassen.

Ungeachtet der erwähnten Kontinuität wird von Vielen der schnelllebige Wettbewerbs- und Reformdruck beklagt, der auf den Universitäten aktuell unter den Schlagworten "Exzellenzinitiative" des Bundes und der Länder in der Forschung und "Bologna-Prozess" in der Lehre als grundlegende Studienreform mit gestuften Abschlüssen und modularisierten Inhalten lastet.

Antriebskräfte für Exzellenzinitiative und Studienreform erwuchsen aus internationalen Perspektiven: Die Exzellenzinitiative wurde mit Rücksicht auf internationale Rankings ausgelobt, in denen die deutschen Universitäten ungünstig abschnitten, und die Studienreform auf den Weg gebracht wegen des Wunsches europäischer Staaten nach einem einheitlichen Bildungsraum mit der Anerkennung der nationalen Abschlüsse als Ergänzung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion.

Beide, Exzellenzinitiative und Studienreform, sind zu begrüßen. Die Unzufriedenheit mit universitärer Forschung reicht zurück bis ins Kaiserreich und führte damals zur Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, der heutigen Max-Planck-Gesellschaft, also nicht zur Förderung der Universitäten. Die heutige Exzellenzinitiative sollte nur konkrete, wissenschaftliche Fragestellungen fördern und kein Geld für bestimmte organisatorisch-strukturelle Konzepte als sogenannte Eliteuniversitäten ausgeben, was mit wissenschaftlichem Erkenntnisfortschritt nichts zu tun hat.

Die Studienreform nach Maßgabe des Bologna-Prozesses kann auch als Antwort auf die gestiegene Zahl der Studierenden verstanden werden, und zwar mit einer stärkeren Strukturierung der Studiengänge und einer intensiveren Betreuung, sodass der Bachelor-Abschluss nach drei Jahren einen Abschluss auch für diejenigen ermöglicht, die andernfalls ihr Studium abgebrochen hätten.

Universitas semper reformanda; deshalb altert die Universität auch nach 600 Jahren nicht.


Professor Dr. Franz Häuser, am 14.08.1945 in Limburg an der Lahn geboren, ist verheiratet und hat eine Tochter. Er studierte Rechtswissenschaft an den Universitäten Marburg und Bonn. 1970 und 1974 das Erste und das Zweite Juristische Staatsexamen in Hessen. An der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz wurde Häuser promoviert und habilitiert für: Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Arbeitsrecht. Seit dem Wintersemester 1992/1993 Universitätsprofessor an der Juristenfakultät der Universität Leipzig, zunächst für Arbeitsrecht, seit 1994 für Bürgerliches Recht, Bank- und Börsenrecht, Arbeitsrecht. Seit 2003 ist Häuser Rektor der Universität Leipzig.
Prof. Dr. Franz Häuser, Rektor der Universität Leipzig
Prof. Dr. Franz Häuser, Rektor der Universität Leipzig© Jan Woitas/Pressestelle Uni Leipzig