"Die Tore der Hölle"

Von Frieder Reininghaus · 12.03.2011
Die finnische Komponistin Kaija Saariaho lebt seit den frühen 80er Jahren in Frankreich und hat bisher drei Opern komponiert. "Adriana mater", die Geschichte einer Vergewaltigung, wurde 2006 an der "Bastille"-Oper uraufgeführt. Jetzt hat sich Andrea Schwalbach des Stoffes angenommen.
Der aus dem Libanon stammende, wie die Komponistin seit langem in Paris lebende Dichter Amin Maalouf steuerte zu "Adriana Mater" ein Libretto mit aktueller Grundierung bei: Die Titelheldin wird im Zusammenhang von Kriegshandlungen auf dem Balkan vergewaltigt. Der selbstbewussten jungen Frau setzen allerdings nicht feindliche Soldaten zu. Der Täter stammt aus den eigenen Reihen: Tsargo, mit dem sie ein Jahr zuvor tanzen war, holt sich als "Vaterlandsverteidiger" mit rohem physischen Einsatz, was ihm zuvor lachend verwehrt worden war.

Entgegen des Rates der Schwester Refka läßt Adriana nicht abtreiben. Zwei Jahrzehnte später kommt der Sohn Yonas der Legendenbildung von Mutter und Tante auf die Spur. Er will Tsargo, der kurz nach Kriegsende aus dem Land floh, bei seiner Rückkehr töten. Doch wird der selbsternannte Rächer im entscheidenden Moment gewahr, daß sein Vater erblindete – und lässt von seinem Vorhaben ab.

Fünf Jahre nach der Uraufführung dieses zeitgeschichtlich akzentuierten Werks an der Opéra Bastille Paris (Peter Sellars inszenierte in der Ausstattung von George Tsypin) trug Andrea Schwalbach bei der deutschen Erstaufführung in Osnabrück die Verantwortung für die Präsentation. In umsichtiger Weise vermieden sie und ihre Ausstattung Nanette Zimmermann alle Balkan-Folklore. Es war, als würde im Großen Sendesaal von Radio Sarajewo das noch keineswegs historische Unrecht verhandelt. Hinten oben sieht man auf den ansteigenden Podien Hermann Bäumer mit dem Orchester arbeiten, davor drei Reihen Choristen sich gelegentlich in die Handlung einmischen.

Vorn und gelegentlich im mit Gerümpel vollgestellten Orchestergraben singen Merja Mäkelä und die anderen drei Protagonisten von ihren Gefühlen und zeigen den Schreckmoment der sexuellen Nötigung. Mit einfachen klaren Gesten werden die vatermörderischen Tötungsabsichten samt den Anspielungen auf Freuds Oedipus-Komplexionen veranschaulicht, dann auch die Gnade von Katharsis und Vergebung. Der Apostel Paulus hakt sich beim Konjunktiv ein ("ich hätte sollen …") und bei Goethes "Faust" unter. Beim Wetteifern ums Gutmenschentum konkurrieren Lydia Ackermann mit lupenreinem kräftigem Sopran, Bernardo Kim mit Stentorstimme und Genadijus Bergorulko, der sowohl den menschlich entwurzelten jungen Soldaten wie den vom Leben betrogenen Veteranen vorzüglich darstellt.

Die ziemlich neutrale Versuchsanordnung stellt Distanz zum blut- und bodenverhafteten Text her. Kaija Saariahos Tonsatz entfaltet auch in Osnabrück ihr spätexpressionistisch-prächtiges Dräuen aus dem Geiste von Jean Sibelius, betört mit fein gewirkten Klangschwebezuständen und missioniert im Verbund mit der literarischen Beschönigung in langgezogener Mildtätigkeit und mit knetenden Sekundschritten. Das schlicht-tonale Unisono der Streicher wird von silbernem Klingeling garniert: "Die Tore der Hölle können sich schließen". Das mag der gegenüber vom Stadttheater residierende Bischof und dessen Klientel so gerne sehen wie sie Adrianas Bekenntnis gegen die Abtreibung wohlgefällig zur Kenntnis nehmen dürften.

Mehr zur Inszenierung finden Sie auf der Website des Theaters Osnabrück.
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