Die Topographie des Glücks

17.02.2012
Wie werde ich glücklich? Allerlei pseudowissenschaftliche Bücher versuchen sich an der Beantwortung dieser Frage. Doch es gibt auch ernsthafte Glücksforscher wie Tobias Esch. Sein neues Buch richtet sich vor allem an Ärzte und Therapeuten – die seien besonders glücksbedürftig.
Der gelähmte Geiger Itzhak Perlman konnte nur mit Krücken und Bandagen auftreten. Einmal riss im Konzert eine Geigensaite. Dem Publikum stockte der Atem. Würde der Geiger die Bühne in quälender Prozedur verlassen und mit frisch bespannter Geige neu betreten müssen? Perlman gab dem Dirigenten ein Zeichen. Dann setzte er das Konzert fort - fulminant auf drei Saiten improvisierend.

In seinem Buch "Die Neurobiologie des Glücks" lässt Autor Tobias Esch diese Geschichte schlaglichtartig verdeutlichen, was zusammenkommen muss, damit sich Glück einstellt. Als die Zuhörer am Ende der Vorstellung selig von ihren Plätzen aufsprangen, stand alles das mitten im Raum: der ganz besondere Moment, die Verbundenheit mit anderen Menschen, das Über-Sich-Hinauswachsen in der Arbeit, die Selbstvergessenheit und Konzentration und, ja, auch so etwas wie Transzendenz.

Wie aber lässt sich Glück im Alltag erzeugen? Tobias Esch richtet sein Buch vor allem an Ärzte und Therapeuten, hält er sie doch für besonders glücksbedürftig. Mehr als andere Professionen leiden sie unter Stress, Depressionen, Lebensmüdigkeit, Suchtkrankheiten und schwierigen Partnerschaften. Um seine Zielgruppe für das Thema aufzuschließen, nimmt sich der Autor viel Zeit, die neuesten Erkenntnisse der Glücksforschung auf anspruchsvollem wissenschaftlichem Niveau darzulegen.

Detailliert, aber immer auch für Laien verständlich steigt er in die verschiedenen Strukturen und Botenstoffe des Gehirns ein und erklärt in Text und Abbildungen, wie komplex die Kreisläufe von Motivation, Belohnung, Aufmerksamkeit oder auch Angst und Rückzug ineinander greifen. Auch das Schlagwort Glück erfährt im Laufe des Textes eine vielfältige Differenzierung, so dass Tobias Esch am Ende eine ganze Topographie des Glücks beschreibt, wo zwischen dem Erreichen von Zielen, Sicherheit vor angstauslösenden Situationen und dem Wohlgefühl vertrauter Verbundenheit genau unterschieden werden kann.

Den Schlussteil seines Buches widmet der Autor konkreten Ratschlägen, wie sich Achtsamkeit, Empathie, gesunde Grenzziehungen und Inseln der Ruhe und des Zu-sich-Kommens im ärztlichen oder therapeutischen Alltag verwirklichen lassen. Eine praktische Meditationsanleitung, ausführliche Literaturangaben sowie Adressen und Weblinks zur positiven Psychologie, Neurobiologie und "Mind-Body-Medizin" runden das Buch ab.

Doch so enthusiastisch und sympathisch der Autor schreibt – leider mangelt es seinem Buch an Stringenz. Ein ums andere Mal verliert er sich in Seitenaspekten oder setzt zu Zusammenfassungen an, die zu neuerlichen Erklärungsströmen anschwellen, so dass sich Zwischenüberschriften wie "Fazit", "Resümee", "Wir rekapitulieren" überschlagen. Das viel zu dicht geratene Layout trägt zu der Unübersichtlichkeit erheblich bei. Weil jedem Autor seine Rohfassung gegönnt sein muss, kann man hier nur den Verlag kritisieren. Ein durchsetzungsfreudiges Lektorat hätte diesem engagierten Buch sehr geholfen.

Besprochen von Susanne Billig

Tobias Esch: Die Neurobiologie des Glücks - Wie die Positive Psychologie die Medizin verändert
Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2011
216 Seiten, 28 Abbildungen, 34,99 Euro
Mehr zum Thema