Die Todsünde Neid

Analyse eines tabuisierten Gefühls

Teilnehmer haben sich am 14.12.2015 auf dem Theaterplatz in Dresden während einer Kundgebung des Bündnisses Pegida versammelt.
Teilnehmer einer Pegida-Kundgebung auf dem Theaterplatz in Dresden. © picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert
Von Pia Rauschenberger · 22.09.2016
Die Pegida-Bewegung schürte bewusst Neid - vor allem auf die Versorgung von Geflüchteten. Doch die wenigsten Menschen würden zugeben, neidisch zu sein. Schließlich ist dies eine unbeliebte Emotion und gehört zu den sieben Todsünden.
"Was will ich bewegen? Dass ich gegen die Ausländer bin! Dass so viele hier reinkommen, das ist mein Grund, weshalb ich hier bin. Und die kriegen einen Haufen Geld, ich bin Rentner, ich krieg eine kleine Rente und gehe noch arbeiten, dass ich einigermaßen gut über die Runden komme."
"Viele Kinder werden Weihnachten nicht beschenkt, weil die Eltern das Geld nicht haben. Daran wird nicht gedacht."
"Ich krieg nichts, ich krieg kein Wohngeld. Und die kommen hierher und die kriegen alles."
"Mich stört es schon. Und des kenn ich. Ich hab es ja selber schon beobachtet, leider, dass viele nur hierherkommen und einfach nur auf unsere Kosten hier ihren Urlaub verbringen. Oder die teilweise im Winter zu ihren Familien gehen, weil es dort wärmer ist. Und dann im Sommer wieder zu uns kommen und von unserem Geld weiterleben. Und das ist das, was mich dann stört."

"Die ganze Judenverfolgung hat so angefangen"

Die Anfänge der Pegida-Bewegung. Die Demonstranten schüren bewusst Neid. Vor allem auf die Versorgung von Geflüchteten. Es ist nicht das einzige Argument der Pegida-Anhänger, aber doch eines, das immer wieder auftaucht. All das betrachtet Lilli Gast mit Sorge. Sie ist Professorin für theoretische Psychoanalyse. In ihren Augen hat Neid nichts Konstruktives für eine Gesellschaft zu bieten. Ein Blick in die deutsche Vergangenheit:
"Die ganze Judenverfolgung hat so angefangen, immer mit dem Verweis auf: der reiche Jude. Da merkt man dieses Zündeln, wie leicht man mit Neid zündeln kann. Diese ganze Konstruktion des Anderen, des auszugrenzenden Anderen läuft erst einmal über die Mobilisierung von Neid. Eine Differenz herzustellen und diese Differenz, die eigentlich konstruiert ist, herzunehmen und in eine kausale Kette einzufügen. Zu sagen: Diese Gruppe ist nicht nur privilegiert, nein diese Privilegierung ist das, was sie euch genommen hat. Eigentlich steht sie euch zu. Und da ist Neid immer eine ziemlich schnell zu mobilisierende Ressource; um zu spalten, um eine Eintrittsstelle zu finden, in die Psyche der gesellschaftlichen Subjekte."
"Man könnte sagen, wir leben in einer Gesellschaft, die sozusagen die Dynamik, die der Neid auch erzeugt, nutzt, aber alles, was in dieser Hinsicht genutzt werden kann, kann jederzeit auch ins Extrem umschlagen. Deswegen spielt eine Gesellschaft, könnte man provokant sagen, mit dem Feuer, die ganz stark auf soziale Ungleichheit setzt."

"Ein Leben ohne Neid gibt es nicht"

Der Sozialpsychologe Rolf Haubl. Wenn man es so betrachtet, könnte man vermuten, dass sich unsere Gesellschaft bald die Finger am Spiel mit der sozialen Ungleichheit verbrennt. Denn der Neid nimmt bei größerer sozialer Ungleichheit zu. Gleichzeitig ist das Gefühl niemandem fremd. An Neid kommt niemand vorbei, sagt Lilli Gast:
"Ein Leben ohne Neid gibt es nicht. Ich glaube auch nicht, dass es Menschen gibt, die neidisch sind, und andere, die es nicht sind. Sondern, wir kommen alle in Kontakt mit diesem Gefühl."
"Interessant ist, dass wenn man Leute fragt: Erinnere dich doch mal an eine Neidsituation, fällt vielen nichts ein und die sagen: Ich bin eigentlich nie neidisch. Wenn man aber andersrum sagt: Erinnere dich doch mal an eine Situation, wo jemand besser war als du und du hast dich danach schlecht gefühlt. Dann fällt den Leuten eigentlich immer was ein. Obwohl Letzteres eigentlich nur eine Umschreibung für Neid ist. Aber, wenn man dieses Wort vermeidet, dann sind die Leute gleich viel beruhigter."
Der Sozialpsychologe Jens Lange sammelt für seine Studien Geschichten über Situationen, in denen Menschen neidisch waren. Er kommt zu dem Schluss, dass Menschen vor allem auf soziale Beziehungen und Besitztümer wie Geld neidisch sind. Wenn wir also alle Neid kennen, warum ist es dann so schwer, sich das Gefühl einzugestehen?
"Vielleicht liegt das daran, dass Neid immer mit Scham vergesellschaftet ist, es ist ja wie eine abgewehrte Scham. Wenn ich Neid zugestehe und zugebe, dass ich neidisch bin, sage ich damit ja auch was über mich aus. Ich sage damit aus: Ich fühle mich hier unterlegen, ich fühle mich minderwertig, ich bin nicht so gut wie die beneidete Person. Das heißt, ich wende eigentlich ein Schamgefühl aggressiv nach außen und entwerte das Objekt meiner Begierde."

"Das aggressive Moment, ist, was es so verpönt macht"

Neid ist nicht nur eine unbeliebte Emotion. Neid gehört zu den sieben Todsünden und wurde so schon im siebten Jahrhundert von der katholischen Kirche gebrandmarkt. Der US-amerikanische Essayist Joseph Epstein schreibt, dass es die böseste aller Todsünden sei:
Unter den sieben Todsünden ist Neid diejenige, die überhaupt keinen Spaß macht. Faulheit oder Wut mögen nicht unbedingt witzig erscheinen, aber sich einer abgrundtiefen Trägheit hinzugeben hat ja durchaus seinen Reiz, und dem Ärger Ausdruck zu verleihen bringt eine Befreiung mit sich, die ihre kleinen Wonnen bereithält. Dafür ist der Neid die subtilste - ich könnte auch sagen: die heimtückischste - unter den sieben Todsünden.
"Das aggressive Moment, das ist ja das, was es so verpönt macht. Dass es unser Zusammenleben destabilisiert, dass es ja auch was gewaltförmiges hat. Es greift eine Beziehung an. Eine Beziehung wird untergraben, wenn Neidgefühle sich melden. Oder aber, im Extremfall meldet sich ein Vernichtungswunsch, ich möchte das, was mich so neidisch macht gar nicht mehr sehen. Ich möchte nicht, dass es auf der Welt ist, ich möchte das nicht haben."
"Deshalb ist es auch kein Wunder, dass der Neid von jeher als Problem, als Sünde, als etwas betrachtet wird, was man besser vermeiden sollte. Das ist auf der anderen Seite aber auch immer ein Hinweis dafür, dass es den Neid natürlich immer auch gegeben hat. Aber so alltäglich der Neid ist und so zerstörerisch er auch sein kann in mancher Hinsicht zwischen Menschen, umso bedeutender ist es auch, ihn als eine negative Emotion auszuzeichnen und eigentlich fast alle Kulturen der Welt sind so mit dem Neid verfahren",
… sagt der Soziologe Sighard Neckel. Neid ist ein Tabu in unserer Gesellschaft. Und das schon seit Jahrhunderten.
"Andererseits ist es so, dass die moderne Wettbewerbsgesellschaft, die von uns Konkurrenzfähigkeit erwartet, die uns zu Leistungen anspornt. Dass in so einer Leistungsgesellschaft der Neid natürlich auch insofern geweckt wird, als die Wettbewerbsgesellschaft eben eine des permanenten Vergleichens ist. Und insofern ist es kein Wunder, wenn in einer Gesellschaft des Wettbewerbs, des gegenseitigen Messens und Vergleichens auch der Neid in voller Blüte steht."
Dann merken wir: Die anderen haben doch die schönere Wohnung, auch wenn wir uns so sehr angestrengt haben. Und schon ist da wieder dieses nagende Gefühl. Rolf Haubl ist Professor für Soziologie und psychoanalytische Sozialpsychologie und hat ein Buch über Neid geschrieben.

Neid ist eine Emotion, um Anreize zu setzen

"Das, was die vormoderne Gesellschaft als Todsünde gebrandmarkt hat - zu Recht - bezieht sich auf ein Gesellschaftsmodell das sehr adynamisch ist, wo die Vorstellung besteht, so wie es heute ist, soll es immer sein und für alle. Die moderne Gesellschaft akzeptiert das so nicht mehr sondern geht von der Vorstellung aus, wenn wir miteinander rivalisieren, wenn wir konkurrieren, wenn wir andere, die mehr haben zum Ansporn nehmen, uns selbst zu entwickeln, dann bringt das insgesamt die Gesellschaft weiter."
"Es gab vor einiger Zeit mal die Zeitungsanzeige eines Autokonzerns, der für einen Sportwagen geworben hat mit dem Satz: Damit werden sie leider Neid erzeugen. Das heißt, der Neid ist auch eine Emotion, auf die man abstellt, um bestimmte Anreize zu setzen, zu mehr Konsum zu mehr Anstrengung, zu größeren Ausgaben",
… erklärt der Soziologe Sighard Neckel. Weil es Ungleichheit gibt, sind wir neidisch auf andere. Aber weil das ein destruktives Gefühl ist, dürfen wir eigentlich nicht neidisch sein. Dabei werden wir geradezu angestachelt, neidisch zu sein oder Neid zu erwecken. Wer soll das noch verstehen?
Und dann ist da auch noch Facebook.
"Was die Möglichkeit gibt, sich in seinen eigenen Erlebnissen, Fortschritten, Errungenschaften, einzigartigen Momenten oder was auch immer darzustellen, ist eine einzige Neidmaschine."
Facebook, Instagram, Snapchat. Unsere Gesellschaft denkt und fühlt visuell. Auch Neid funktioniert über Blicke. Was wir sehen, begehren wir.
"Und ich glaube, dass das zum Beispiel eine sehr alltägliche psychische Regung ist, sich aus dem Gefühl des Neides heraus, sehr intensiv mit den Personen zu befassen, die man beneidet. In die Intimität, in das Persönliche eines anderen Menschen einzusteigen."

Neid ist auch keine Lösung

Spätestens jetzt bekommt der Neid eine unheimliche Dimension. Früher wurde Neid mit dem bösen Blick in Verbindung gebracht. Frauen wurden als Hexen verbrannt, weil ihnen dieser Blick zugeschrieben wurde. Anderen nähte man die Augen zu. Nicht nur Neid, auch Neidabwehr lässt die Menschen grausam werden.
Zurück zu Jens Lange: Der Sozialpsychologe forscht zu Neid und visueller Aufmerksamkeit. Interessieren uns eigentlich mehr die Objekte, die wir begehren, oder die Menschen, die wir um sie beneiden? Das untersucht er mit Versuchspersonen vor einem Bildschirm. Darauf sieht man zwei verschiedene Objekte oder Bilder - eins rechts, eins links. In der Studie haben die Wissenschaftler das Neidobjekt direkt gegen die beneidete Person antreten lassen. Welches Bild bekommt mehr visuelle Aufmerksamkeit?
"Und dann zeigen die Daten, dass die Leute bei bösartigem Neid eher auf die Person als auf das Objekt schauen."
Wir wollen zwar die Wohnung oder das Cabrio. Aber statt unser Objekt der Begierde zu bestaunen, mustern wir den Besitzer. Ein Paradox. Einer, der sich mit der Visualität und Blicken auseinandersetzt, ist der Regisseur Tobias Baumann. Er hat einen Film über Neid gedreht.
"Ich glaube, dass wirklich Neid sehr stark entsteht durch etwas, was man sieht bei jemand anderem. Also wir sind ja sowieso eine sehr stark visuell geprägte Gesellschaft, diese Kultur von Selfies, von seine Urlaubsbilder hochladen, zeigen, zeigen wie toll der Körper schon aussieht zwei Monate nach der Entbindung, zeigen, dass man sich leisten kann in der Karibik irgendwo zu planschen, zeigen, wie fit man ist, überall seine Daten zu zeigen, wie viele Schritte man gerannt ist, das sind ja alles visuelle Elemente, die jemand sieht und die sofort einen Reiz auslösen."
Aber: Neid ist auch keine Lösung. So heißt zumindest der Film von Tobias Baumann.
"Allerdings glaube ich persönlich daran, dass Neid eigentlich nur ein Symptom ist; ein Symptom von der Suche nach der Antwort, hab ich eigentlich alles richtig gemacht, bin ich eigentlich glücklich, kommt da noch was, verändert sich da noch mal was."
Auch viele Wissenschaftler gestehen dem Neid eine produktive Seite zu. Auf den Neid könne Ehrgeiz folgen. Ein Anruf bei Claudia Peus. Sie ist Professorin an der TU München und analysiert Neid in Unternehmen. Peus unterscheidet zwischen schwarzem und weißem Neid.

Neid in Motivation oder Inspiration umwandeln

"Der weiße Neid zeichnet sich dadurch aus, dass man auch erst einmal negative Gefühle empfindet, im Sinne von: Mensch, Mist, der Kollege hat was, was ich nicht habe, was ich gerne hätte - oder kann etwas, was ich gerne können würde. Aber dann münze ich diese negativen Emotionen um in Energie, im Sinne von: Jetzt strenge ich mich umso mehr an."
"Das, was man ja durchaus als positive Form von Neid, der sich dann in Motivation oder Inspiration umwandelt, bezeichnen könnte, ist eben, dass man was sieht, was jemand anderes geschaffen, was man dann aber durchaus auch würdigt und durchaus dem anderen gönnt und nutzt um zu sagen: Ey, das muss ich auch irgendwie hinkriegen."
Aus den Neidgeschichten, die Sozialpsychologe Jens Lange gesammelt hat, konnte er zwei verschiedene Neidformen destillieren. Er nennt sie den bösartigen und den gutartigen Neid. Kommt einem der Erfolg der anderen verdient vor? Dann entsteht gutartiger Neid und wir strengen uns mehr an. Findet man den Erfolg der anderen ungerecht oder unverdient, dann entsteht bösartiger Neid. Und dann, naja, Sie wissen schon:
"Im allerschlechtesten Fall sehen wir Verhaltensweisen, - in der Forschung heißt das Counterproductive Work Behaviors - die milde Stufe wären vielleicht Informationen vorenthalten, aber es kann sogar so weit gehen, dass man sabotiert, also es gibt aus der Automobilindustrie Beispiele, wo der Produktionsprozess insofern behindert wurde, als dass beispielsweise in den Lack, wo es natürlich darauf ankommt, dass da alles fehlerfrei ist, dass man da Haare reinmischt. Und eine solche Lackierung ist wahnsinnig teuer. Und entsprechend muss das dann noch mal gemacht werden. Also alles von möglicherweise nichts sagen, zu falsche Information weitergeben, bis hin zu wirklicher Sabotage ausüben."
Aber Neid kann auch anderes bewirken, sagen verschiedene Wissenschaftler. Es fehlt nur die nötige Forschung.
"Die Idee oder die Konzeption, dass es diesen weißen Neid gibt, die ist noch gar nicht so alt. Man muss sagen, der Großteil der Forschung hat immer auf den schwarzen Neid fokussiert, die Forschung zum weißen Neid, die ist nicht mal zehn Jahre alt."
Lilli Gast sieht hinter der Konzeption des weißen, gutartigen Neides, der zu mehr Leistung beflügelt, eine neoliberale Weltsicht.
"Ich würde das als eine Überdehnung verstehen. Man kann diese Unterscheidung treffen, wenn man den Begriff wirklich sehr weit fasst, kann man das schon machen. Aber ein gutartiger Neid ist für mich wie eine sanfte Wut. Dann ist es keine Wut mehr, sondern was anderes, dann ist es schon eine Legierung ganz unterschiedlicher Emotionen."
Der Psychoanalytiker Rolf Haubl unterscheidet auch zwischen den verschiedenen Neidformen. Ihm ist es wichtig, dem Neid auch etwas Positives abzugewinnen.

"Ein emotionales Frühwarnsystem für empfundene Ungerechtigkeit"

"Weil wir das, was die anderen haben unter Umständen auch als Ansporn nehmen, um uns selbst zu entwickeln."
Die Psychoanalytikerin Lilli Gast sieht das anders.
"Die Frage ist, geht es da wirklich um Neid. Oder geht es nicht viel mehr um die Suche nach einer eigenen Perspektive oder einem Identifikationswunsch. Es ist ein semantisches Problem, nicht? Also ist der Kern eines jeden Wettbewerbs Neid? Nicht zwangsläufig."
Neid spornt uns an? Möglicherweise. Trotzdem: Laut einer Studie von 2008 sinkt die persönliche Leistungsbereitschaft, wenn die relative Einkommensposition schlechter wird. Außerdem haben Rolf Haubl und Elmar Brähler herausgefunden, dass Neid mit der Gesundheit zusammenhängt. Je neidischer ein Mensch, desto weniger gesund ist er. Also tut Neid uns nicht gut. Oder?
"Aber auf der anderen Seite gibt es einen Neid, der seine Funktion daraus bezieht, dass er all denjenigen, die mehr haben an begehrten Gütern mit Verfolgung droht, wenn die nicht in der Lage sind auszuweisen, dass sie zu Recht mehr haben als die anderen. Und da verbindet sich Neid mit einer Gerechtigkeitsthematik, die in der Regel bei der Neiddiskussion ausgeblendet wird."
"Der Neid ist so etwas in der modernen Gesellschaft wie ein emotionales Frühwarnsystem, das darauf aufmerksam macht, dass unterschiedliche Gruppen, zumindest in ihrer eigenen Wahrnehmung, Probleme mit der Verteilung von Möglichkeiten und Ressourcen in der Gesellschaft haben. Es ist ein emotionales Frühwarnsystem für empfundene Ungerechtigkeit."
"Sighard Neckel glaubt daran, dass Neid der Ausdruck eines Unwillens sein kann, wenn er auf soziale Ungleichheit aufmerksam macht. Der Philosoph John Rawls sprach von einem entschuldbaren Neid. Sozialneid! Das wird oft als Schlagwort benutzt, um soziale Bewegungen und Gerechtigkeitsforderungen zu delegitimieren."
"Die Frage ist nur, ob wir es dann wirklich mit Neid zu tun haben - und nicht mit einer Gerechtigkeitsforderung. Der Neid will ja was anderes. Der Neid möchte, dass mir etwas zusteht und nicht dem anderen. Neid will ja nicht: wir beide sollten was davon haben. Oder: die Proportionen sollten stimmen. Sondern: ich beanspruche etwas."
Dabei kann eine gerechtere Gesellschaft tatsächlich Neid besänftigen. Holländische Sozialforscher haben in den 80er Jahren herausgefunden, dass der Sozialstaat zu einer Gemütsruhe bei den Bürgern führt. Der neidvolle Vergleich mit anderen nimmt ab, wenn klar ist, dass niemand die Befürchtung haben muss, zurückzubleiben. Aber der Sozialstaat wird abgebaut. Und es gibt weitere Einwände:
"Auch wenn alle Güter gerecht verteilt und jeder alles hätte, wäre der Neid dennoch nicht aus der Welt. Weil die Differenzen, auf die Neid reagiert, die können jederzeit neu entstehen."
Der Neid ist da, so oder so. Wir können ihn besänftigen, aber nie vollkommen verhindern. So viel wissen wir schon. Ein weiterer Beleg dafür, dass der Neid ein Teil von uns ist: Neidgefühle konnten im Gehirn schon verortet werden. Im ventromedialen präfrontalen Kortex, der sich im Gehirn links hinter der Stirn befindet. Versuchspersonen, die in diesem Bereich eine Läsion - also eine Verletzung - hatten, fiel es schwer, Neid auf Fotos von Gesichtern zu erkennen. Eine Forschergruppe aus Israel hat zudem herausgefunden, dass das sogenannte Kuschelhormon Oxytocin Neid verstärkt. Menschen unter Oxytocin-Einfluss reagierten neidischer auf ein Spielergebnis als die Gruppe, die ein Placebo bekam. Wir sind also schon biologisch gesehen unterschiedlich stark neidisch. Aber alle ein bisschen.

"Weil Neid ein Tabu ist, muss er thematisiert werden"

Ob es eine gutartige, konstruktive, weiße, gerechte Form des Neides gibt - das bleibt umstritten. Also, wie gehen wir um mit dem Neid, wenn wir ohnehin nicht um ihn herumkommen?
"Der Tipp, den man heute bei jedem Coaching in jeder Unternehmensberatung und in jedem Assessment Center bekommt, lautet in der Regel, sei nicht neidisch, sondern schaue nur auf deine eigene Entwicklung. Was interessiert dich der Vorteil des anderen, solange du selbst auch eine Entwicklung nach vorne nimmst."
Das ist schizophren: Einerseits regt die Gesellschaft zum Vergleich an, andererseits soll man sich nur auf sich konzentrieren.
"Ich bin da ein wenig skeptisch, ob diese gut gemeinten Empfehlungen tatsächlich hinreichend sind. Denn wir können, glaube ich, gar nicht vermeiden, uns mit anderen Menschen zu vergleichen, weil nur aus diesem Vergleich heraus wir meinen eine einigermaßen gesicherte Information darüber zu bekommen, wo wir selbst eigentlich stehen im Leben."
Ein Blick in die Praxis. Was rät Claudia Peus, die zu konstruktivem Neid in Unternehmen forscht? Wie soll man mit Neid am besten umgehen?
"Ganz grundlegend ist es wichtig, dass Sie insgesamt ein Leistungsklima und ein Klima der Fairness installieren, also wenn es möglich ist, faire Verteilung von Ressourcen. Jetzt ist es so, dass es nicht immer möglich ist, Ressourcen so zu verteilen, dass jeder gleich viel erhält, jetzt ist es ganz wichtig, was wir in der Forschung prozedurale Fairness nennen, also eine Verfahrensfairness herzustellen. Sprich, als Führungskraft muss ich gut begründen, warum hat der eine Zugang zu Ressourcen, warum darf der eine auf die Fortbildungsreise gehen? Was waren genau die Kriterien, nach denen ich entschieden hab?"
Offenheit, Transparenz, Fairness. In der therapeutischen Praxis sind das auch wichtige Kriterien. Klar, über ein gesellschaftliches Tabuthema kann man am besten mit dem eigenen Therapeuten sprechen. Darüber, wie sehr man Neid in der Therapie thematisieren sollte, wurde vor allem unter Psychoanalytikern stark debattiert. Rolf Haubl arbeitet auch als Gruppenanalytiker.
"Gerade weil der Neid ein Tabu ist, gerade weil er eine schlechte Presse hat, muss er thematisiert werden. Auf der anderen Seite heißt thematisieren, die Frage aufzuwerfen, was fehlt mir eigentlich in meinem Leben für Glück und Zufriedenheit? Und auf diese Spur zu gelangen, kann den Neid zwar nie komplett tilgen, aber kann einen konstruktiven Weg einschlagen."
Herr Baumann, wie machen Sie das mit dem Neid?
"Generell glaube ich, dass es sehr hilfreich ist, das, was andere schaffen, egal in welchem Bereich, in erster Linie als Inspiration zu nehmen, für das, was man selber schaffen möchte."
Und was rät die Psychoanalytikerin?
"Wenn wir neidisch sind auf etwas beim anderen, dann wird uns unsere Begrenztheit bewusst. Vielleicht unterscheiden wir uns darin, wie sehr es uns gelingt, mit dieser Begrenztheit auch zu leben oder sie uns zuzugestehen, sie anzuerkennen. Und wenn uns das gelingt, dann können wir auch neidlos anerkennen, dass andere ihre Grenzen in anderen Feldern haben, aber uns in manchem voraus sind."
Mit Unterschieden leben lernen. Eigene Grenzen anerkennen. Keine leichte Aufgabe für uns Menschen, die wir so anfällig sind. So anfällig für Neid, dass wir uns manchmal sogar selbst beneiden. Achim von Arnim hat das schön beschrieben: Denke ich der Freudenfülle, Meiner ersten Jugendzeit, Schäm ich mich der leeren Stille, Und mich fasst ein tiefer Neid, Und wen kann ich mehr beneiden, als mich selbst in Jugendfreuden.
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