Die Tochter des Fälschers

Von Sigrid Brinkmann · 29.08.2011
"Du willst also alles über mein Leben wissen. Dann sag doch mal, was du schon zu wissen glaubst." So beginnt das Buch der französischen Schauspielerin Sarah Kaminsky, die ihren Vater Adolfo Kaminsky und ein Dutzend Weggefährten über sein Leben befragt hat. Zwischen 1942 und 1971 war der in Argentinien geborene Adolfo Kaminsky einer der weltweit meist gefragten Fälscher von Ausweispapieren. Seine Adresse war ein absolutes Geheimnis. Mitgefühl mit politisch und rassisch Verfolgten waren die Antriebskräfte für sein Tun. Während des Zweiten Weltkriegs wurde er selbst verfolgt. Er begann Dokumente für mehrere Tausend jüdische Flüchtlinge in Frankreich zu fälschen. Auch später wurde Adolfo Kaminsky immer wieder gebeten, Menschen in Kriegsgebieten mit falschen Pässen zu schützen. Er hat seiner Familie nie davon erzählt - bis die Tochter Sarah ihn eines Tages zu seinem komplizierten Leben befragte. Adolfo ist 85 Jahre alt, seine Tochter 33.
"Kaum konnten wir schreiben, mussten wir in der Schule Bögen ausfüllen: unseren Namen, die Nationalität und den Beruf der Eltern angeben. Ich schrieb, dass ich Algerierin sei. Meine Mutter korrigierte mich und sagte: Sarah, du bist Argentinierin. Meine Muttersprache war Arabisch, mein Nachname Russisch. In unserer Familie war das immer so: Auf einfache Fragen gab es komplizierte Antworten. Mein Vater ist Jude und meine Mutter Muslima. Wie oft wurden meine Brüder und ich gefragt: Und Ihr, was seid Ihr? Man hätte uns gern in eine Schublade gepackt, aber nein: Wir passen einfach in keine rein."

Sarah Kaminsky lacht viel. Sie sieht schön aus. Von ihrer Mutter hat sie die braune Haut und die kräftigen Locken. Geboren wurde sie 1978 in Algerien. Sieben Jahre zuvor hatte ihr Vater mit dem Fälschen von Pässen, Führerscheinen und Arbeitspapieren aufgehört, weil die illegale Tätigkeit ein Übermaß an Einsamkeit bedeutete. Falsche Dokumente hatten ihm selber das Leben gerettet, denn die mit Nazideutschland kollaborierenden Franzosen verhafteten Juden und organisierten Transporte in Konzentrationslager. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Adolfo Kaminsky immer wieder gebeten, Papiere für verfolgte Personen herzustellen, bis er spürte, dass er nicht länger in der Heimlichkeit leben konnte. Er zog von Paris nach Algier, unterrichte Fotografie an der Hochschule und lernte Sarahs Mutter, eine Juristin, kennen. Weil sie Anfang der achtziger Jahre spürte, dass in Algerien ein Bürgerkrieg ausbrechen würde, ließ sich die Familie in Frankreich nieder.

"Ich hatte eine schwierige Jugend. Ständig Krisen. Das Gymnasium hab' ich irgendwann geschmissen. Das ganze System ging mir auf den Geist. Die Leute, die ich bewunderte, waren alle Autodidakten. Ich bin dann auf eine selbstverwaltete Schule gegangen und habe angefangen, Straßentheater zu spielen. So kam ich zum Schauspiel. Und jetzt möchte ich neben der Schauspielerei wirklich anfangen, meinen ersten Spielfilm zu drehen."

Sarah Kaminskys Buch über das "Fälscherleben” ihres Vaters war in Frankreich ein großer Erfolg. Wo immer die beiden gemeinsam auftreten, gibt es stehende Ovationen. Mit ihrem Filmvorhaben kehrt sie in das Geburtsland des Vaters zurück.

Der Film soll in Argentinien spielen in der Zeit nach dem Staatsstreich, unter der Militärdiktatur, Ende der siebziger Jahre. Ein Menschenrechtsaktivist nimmt sich eines Kindes an, dessen Eltern zu den vielen tausend Verschwundenen gehören. Er will sie unbedingt wiederfinden und stößt dabei auf schmerzliche Geschichten. Es geht auch um elterliche Gefühle für ein Kind, mit dem man nicht verwandt ist.

Sarah hat einen elfjährigen Sohn, den sie allein erzieht. Ihm wollte sie eines Tages erzählen können, was ihre Eltern zusammengeführt hat. So begann sie, ihren Vater zu befragen. Und sie besuchte das Land ihrer Kindheit wieder.

"Bis ich neun war, habe ich jeden Sommer in Algerien verbracht. In den neunziger Jahren, während des Bürgerkriegs, war es einfach zu gefährlich, dorthin zu reisen. Vor fünf Jahren bin ich zum ersten Mal nach langer Zeit wieder dort gewesen, denn ich wollte meinem Sohn Alek das Land zeigen. Ich kam mir sehr fremd vor. Ich kann kein Arabisch mehr sprechen. Und es kam vor, dass Männer aus der Familie oder dem Freundeskreis Ausflüge zu absolut sehenswerten prähistorischen Höhlen unternahmen. Sie sind nicht mal auf die Idee gekommen, uns Frauen zu fragen, ob wir die Höhlenmalereien auch sehen wollten. Das hat mich furchtbar wütend gemacht."

Die Generation der dreißigjährigen Algerier, meint Sarah Kaminsky, sei verloren. Aufgewachsen ohne jede Kultur. Und weil ihr Leben als Schauspielerin so völlig davon abhängt, macht sich zwischen ihr und Gleichaltrigen in Algerien Stummheit breit. Unerträglich für eine Frau wie sie, die früh ihre eigenen Wege gegangen ist und für die Sprache und literarisches Schreiben etwas sehr Wichtiges sind. Ihr Bruder Rocé, ein bekannter französischer Rapper, beschwört die Schönheit ethnischer Vielfalt. Sie selbst hat mit ihrem Buch auch ein Zeichen setzen wollen.

"Ich finde, das Leben meines Vaters zeigt, dass man im Leben auf Werte setzen sollte, die sich nicht primär an Karriere und wirtschaftlichem Erfolg ausrichten. Man kann im Leben auch etwas erreichen, wenn man allein aus Mitmenschlichkeit handelt."


Sarah Kaminsky: "Adolfo Kaminsky. Ein Fälscherleben"
Kunstmann Verlag