Die Spuren der Apartheid

22.04.2009
In seinem Kriminal-Roman "Kap der Finsternis" entführt der Südafrikaner Roger Smith den Leser in den harten Alltag seines Landes – und blendet dabei auch unschöne Details nicht aus. Eine extreme Reaktion auf extreme Zustände.
Kapstadt, Südafrika. Eine der gewalttätigsten Gesellschaften der Welt. Die Spuren der jahrzehntelangen brutalen Apartheid sind nicht verschwunden. Im Gegenteil. Logischerweise greifen immer mehr südafrikanische Autoren zum Kriminalroman, um literarisch angemessen mit dieser Hölle umzugehen. Am radikalsten benutzt wohl Roger Smith diese Form. Smith ist Jahrgang 1960, eigentlich Filmemacher und war schon in den Apartheidsjahren politisch engagiert. Mit "Kap der Finsternis" reagiert er literarisch extrem auf extreme Zustände.

Die Geschichte, die der Roman erzählt, ist einfach und tückisch. Ein aus den USA geflüchteter Bankräuber, der sich in Kapstadt mit seiner Familie in den Windschatten des Lebens zurückziehen möchte, wird zufällig Opfer eines Raubüberfalls. Er tötet die Strolche, und damit setzt sich eine Kette von tragischen und brutalen Ereignissen in Gang, an deren Ende der schiere Zufall als Schicksal erscheint. Denn rein zufällig verknüpfen sich die Geschicke des Bankräubers mit denen eines Wachmanns, der früher ein ultraharter Gangster war, und jetzt mit seinem Köter Zeuge des Geschehens wird.

Wachmann und Bankräuber geraten ins Visier eines wahrlich monströsen Cops – ein stinkender, fetter, bigotter, rassistischer und vor allem korrupter Bure, der raubt, tötet und vergewaltigt, wie es ihm die Umstände erlauben. Seine Omnipotenz scheint ebenso unerschöpflich zu sein wie seine Widerwärtigkeit, aber ein Antikorruptionsspezialist des Innenministeriums mit dem wunderbaren Namen Disaster Zondi hat sich schon an seine Fersen geheftet, um ihn, koste es, was es wolle, zu Fall zu bringen. Und so beginnt das gewaltsatte, blutige und mit allerlei unschönen Schockeffekten gespickte Wechselspiel, das – so viel sei verraten – nicht schön endet.

Die trotz aller erzählerischen Lakonie erfreuliche Raffinesse des Romans besteht darin, dass Roger Smith seine Figuren extrem inszeniert, aber nicht überzeichnet. Auch wenn sie monströs und bizarr erscheinen, wenn wir über Armut und die damit einhergehende Verrohung, über die Zustände in südafrikanischen Gefängnissen, über die groteske Kluft zwischen Arm und Reich, über die Hartnäckigkeit und religiösen Fundamente von Rassismus mehr lernen, als uns lieb ist, erscheinen die Figuren bald hochplausibel. Sie ticken wie sie ticken, weil ihre Umwelt, ihre Lebensbedingungen, ihre wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Eckdaten ihr Verhalten determinieren, auch wenn sie nach eigenen Optionen zu handeln und zu denken scheinen.

Selten ist in einem Roman der letzten Jahre dieser Zusammenhang klarer erzählt worden. Wohl gemerkt: Erzählt, nicht erklärt. Dieses Prinzip macht auch plausibel, warum Roger Smith zum Kriminalroman gegriffen hat: Das Genre hat sich in seinen avancierten Texten längst von Scheinpsychologismen befreit. Es kann gesellschaftliche Strukturen in reine, glasklare action umwandeln und sie damit literarisch kitschfrei- und ideologiefrei darstellbar machen.

In diese literarische Reihe gehört "Kap der Finsternis" – ein böser Roman über üble Menschen, der sich mit der Realität ins Handgemenge begibt, und der zudem, wie viele aufregende Kriminalromane aus der – von uns gesehen – literarischen Peripherie kommen.

Rezensiert von Thomas Wörtche

Roger Smith: Kap der Finsternis
Aus dem Englischen übersetzt von Jürgen Bürger und Peter Torberg
Klett Cotta Verlag/Tropen, Stuttgart 2009
357 Seiten, Euro 21,90