"Die SPD will keine linke Politik"

Sahra Wagenknecht im Gespräch mit Marietta Schwarz · 15.08.2013
Mittlerweile seien selbst deutsche Manager sozialer als die SPD - zumindest beim Thema Mindestlohn, meint die Spitzenkandidatin der Partei Die Linke, Sahra Wagenknecht. Sie hält ein rot-rot-grünes Bündnis für unwahrscheinlich.
Marietta Schwarz: Der SPD scheinen die Felle sechs Wochen vor der Wahl davon zu schwimmen: Umfragewerte nicht gut, öffentliche Kritik vom früheren Vorsitzenden Franz Müntefering am Wahlkampf, und der Spitzenkandidat irgendwie nicht präsent. Dass Günter Grass jetzt für eine Annäherung zwischen SPD und Linken geworben hat, gefiel einigen SPD-Politikern nicht, andere hingegen wie Wolfgang Thierse ließen durchblicken, dass sie diesen Gedanken für nicht so absurd halten. Die Linken-Führung wiederum stieß mit ihrem Vorhaben, Rot-Rot-Grün formell auszuschließen, auch auf Widerstand in der Partei. Also, warum eigentlich nicht Rot-Rot-Grün? Fragen dazu an Sahra Wagenknecht, stellvertretende Linken-Chefin, guten Morgen, Frau Wagenknecht!

Sahra Wagenknecht: Guten Morgen!

Schwarz: Woran hapert es eigentlich im Verhältnis zwischen Linken und SPD, oder sagen wir besser, zwischen einem Teil der Linken und einem Teil der SPD?

Wagenknecht: Nein, ich sehe nicht, dass es hapert zwischen einem Teil der Linken und der SPD, sondern ich sehe, dass es hapert daran, dass die SPD in diesem Land noch eine irgendwie sozial orientierte Politik machen will. Das ist ja, seit der Agenda 2010 steht die SPD ja leider nicht für bessere Löhne, bessere Renten, sondern sie steht für eine Politik, die sich den Wirtschaftsmächtigen unterordnet und die den Umbau dieser Gesellschaft im Interesse immer höherer Renditen betreibt.

Und die Hoffnung war, dass sich das irgendwann mal ändert, nur, mit ihrem Kanzlerkandidaten Steinbrück hat sie ja genau diese Agendaposition noch mal bestätigt. Und das ist eben das Problem, was eine Zusammenarbeit verhindert, die SPD will keine linke Politik, keine soziale Politik. Weil sonst würde sie ja im Ernst nicht ausschließen, mit der Linken zusammenzuarbeiten, sondern sie wüsste, dass sie Kernbereiche ihres Wahlprogramms eigentlich nur mit uns umsetzen kann.

"Die SPD wird sogar von den deutschen Managern überholt"
Schwarz: Nennen wir mal die Kernbereiche, da gibt es ja auch Gemeinsamkeiten: Der Kampf um soziale Gerechtigkeit, Mindestlöhne, Bankenregulierung, Finanztransaktionssteuer – zu wenig?

Wagenknecht: Nein, wenn die SPD das ernst nehmen würde … Ich meine, man kann natürlich sagen, Mindestlohn, wir fordern einen Mindestlohn von zehn Euro. Inzwischen wird die SPD ja sogar von den deutschen Managern überholt, die sagen, also, Mindestlohn von deutlich über neun Euro. Also, das ist sicherlich eine Gemeinsamkeit, dass wir einen Mindestlohn wollen, nur, das Problem ist, die SPD hätte mit der Linken den Mindestlohn – bis 2009 gab es ja dafür eine parlamentarische Mehrheit – umsetzen können, sie hat es nie gemacht, sie hat immer gegen unsere Anträge gestimmt.

Und deswegen ist eben die Frage, wie ernst ist ihr Wahlprogramm gemeint, wie ernst ist gemeint, was darin steht. Und ich glaube, dass die Menschen, die diese Position wirklich wollen – also zum Beispiel, dass man auch von seiner Rente wieder leben kann, dass es in Deutschland endlich ordentliche Löhne gibt, dass dieses ganze Unwesen der Leiharbeit, der Befristungen, der Werkverträge aufhört …

Schwarz: Kurzum, die SPD ist Ihnen nicht links genug. Also sagen Sie Nein zu einem Bündnis für diese Wahl?

Wagenknecht: Ich sage ja zu einem Bündnis mit diesen Inhalten, die ich gerade genannt habe. Das Problem ist, dass, wer sie stärken will, zurzeit eigentlich nur die Linke wählen kann, weil man eben bei der SPD gerade mit Steinbrück nicht ausschließen kann, dass sie am Ende doch in eine große Koalition geht, weil sie eben sich so verhält, wie sie sich verhält. Das heißt, sie sagt, sie schließt eigentlich nichts wirklich aus außer einer Zusammenarbeit mit der Linken, und genau diese Zusammenarbeit wäre die Grundlage dafür, eine soziale Veränderung der Politik durchzusetzen. Und wenn sich die Wählerinnen und Wähler natürlich …

Schwarz: Aber Frau Wagenknecht, jetzt reden wir ja von den Linken und nicht von der SPD. Gregor Gysi hat kürzlich in einem Interview gesagt, wenn wir nie regieren, verlieren wir auch Leute. Demnach wäre Regieren also nicht nur schön, sondern auch überlebenswichtig für Ihre Partei, und das bedeutet dann natürlich auch, Kompromisse schließen. Ist das Ihnen zu heikel, scheuen Sie den Kompromiss?

Wagenknecht: Nein, es ist die Frage, was ist ein Kompromiss und wo verliert man sein Profil und sein Ansehen. Und ich finde schon, dass man an der Regel festhalten sollte, nach der Wahl das umzusetzen, was man den Wählern vor der Wahl verspricht. Das heißt, man kann natürlich keinen Wahlkampf machen und sagen, wir wollen wieder eine Rente ab 65, wir wollen überhaupt wieder eine Rente, von der man leben kann, wir wollen Leiharbeit verbieten, wir wollen Befristungen und Werkverträge einschränken, und danach macht man eine Politik, die das alles nicht einlöst.

Also, es muss natürlich eine Politik sein nach der Wahl, die erkennbar macht, wofür wir vor der Wahl gewählt wurden, wofür wir vor der Wahl gestritten haben. Und das ist eben das Problem, dass es leider bei den anderen Parteien inzwischen üblich geworden ist, vor der Wahl irgendetwas in die Wahlprogramme zu schreiben, das macht ja Merkel genauso, und sich nach der Wahl an nichts erinnern. Und das wird die Linke nicht mitmachen.

"Man kann sehr wohl aus der Opposition heraus auch verändern"
Schwarz: … und damit aber ganz erfolgreich zu sein. Wie erklären Sie sich denn, Frau Wagenknecht, dass Ihr Kampf um soziale Gerechtigkeit, wie Sie ihn führen, beim Wähler nicht so gut ankommt?

Wagenknecht: Ja, also, so schlecht stehen wir ja nicht da, wir haben Umfragewerte zwischen acht und neun, teilweise, Prozent. Das ist nicht das, was wir uns wünschen, wir haben auch schon mal besser dagestanden, aber das sind keine schlechten Werte. Und insoweit können wir das, glaube ich, noch ausbauen. Ich denke, das Grundproblem ist, dass sehr, sehr viele Menschen, die sich eine andere Politik wünschen, tatsächlich darüber nachdenken, gar nicht mehr zur Wahl zu gehen, weil sie das Gefühl haben – und dieses Gefühl ist ja nicht unberechtigt –, dass sie bei dieser Wahl gar nicht über eine andere Politik entscheiden können, weil Frau Merkel und ihr sogenannter Herausforderer Steinbrück eigentlich für das Gleiche stehen und es natürlich klar ist, dass in dieser Konstellation die Linke sehr wahrscheinlich wieder Oppositionspartei sein wird.

Wobei wir, glaube ich, den Wählern noch deutlicher machen müssen, dass man sehr wohl aus der Opposition heraus auch verändern kann. Also, ein starkes Ergebnis der Linken wird die Politik der nächsten Regierung beeinflussen. Sie wird sich dann nicht trauen, so leicht die Kosten, die anstehen, die Frau Merkel jetzt noch wegleugnet gerade auch aus den Euro-Rettungspaketen, sie wird sich nicht so leicht trauen, diese Kosten auf die kleinen Leute umzuwälzen, wenn es eine starke linke Opposition im Bundestag gibt.

Schwarz: Sahra Wagenknecht, stellvertretende Vorsitzende der Linken im Interview, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Wagenknecht: Sehr gerne!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema