"Die SPD muss sich einen Ruck geben"

Gregor Gysi im Gespräch mit Christopher Ricke · 21.03.2011
Die Linke in Sachsen-Anhalt würde in einer rot-roten Koalition nicht zugunsten der SPD auf den Posten des Ministerpräsidenten verzichten, sagt Gregor Gysi. Angesichts des besseren Wahlergebnisses für Die Linke wäre das Betrug an den Wählern.
Christopher Ricke: Auch mit spürbaren Verlusten kann man gewinnen. Die CDU macht es gerade vor in Sachsen-Anhalt: Minus 3,7 Prozentpunkte, aber dennoch stärkste Partei mit 32,5. Damit kriegt man auch den Regierungsauftrag, und den wird man aller Erwartung nach mit dem alten Koalitionspartner, der SPD, umsetzen können. Rein rechnerisch könnte es auch eine rot-rote Mehrheit geben. Da aber die Partei Die Linke stärker ist als die SPD und dann natürlich auch gerne den Ministerpräsidenten stellen möchte, wird das die SPD voraussichtlich nicht mitmachen. Gregor Gysi ist der Fraktionsvorsitzende, der Die Linke im Bundestag. Guten Morgen, Herr Gysi.

Gregor Gysi: Einen schönen guten Morgen, Herr Ricke.

Ricke: Haben Sie sich zu Tode gesiegt?

Gysi: Nein, nein, nein, nein! Die SPD muss sich einen Ruck geben. Es geht ja nicht so weiter. Die SPD kann natürlich wieder der Juniorpartner der CDU werden; dann macht sie die Politik weiter und wird weiter verlieren, weil sie ja die eigentlichen Ziele, die sie aufgeschrieben hat ...

Ricke: Moment! Die SPD hat nicht verloren! Plus 0,1. Und die SPD hat im Gegensatz zu Ihrer Partei zugelegt in Sachsen-Anhalt.

Gysi: Das stimmt, Plus 0,1, also so gut wie nichts. Verstehen Sie? Sie dachte ja, sie endet ganz anders. Sie hat einen Wahlkampf geführt, um stärker zu werden als wir. Sie hat versucht, sogar die Wählerinnen und Wähler ein bisschen zu erpressen, denn sie hat ja gesagt, wenn wir stärker werden, machen wir es mit den Linken, wenn wir schwächer werden, machen wir es mit der CDU. Das hat ihr aber nichts gebracht, weil die Leute gesagt haben, das heißt, die Inhalte interessieren sie nicht. Es ist ja auch nicht nachvollziehbar. Wenn sie mit uns koalieren würden, falls wir schwächer wären, müssen sie auch mit uns einen Koalitionsvertrag machen. Wenn sie mit uns koalieren, wenn wir stärker wären, müssen sie auch einen Koalitionsvertrag machen. Nur wegen einer Person? Nur wegen der Frage bei dem Ministerpräsidenten? Das finde ich doch albern, ehrlich gesagt.

Ricke: Herr Gysi, dann springen Sie doch über den Schatten, wenn Sie der Klügere sind. Dann geben Sie doch nach und sagen, dann soll halt der kleine mal den Ministerpräsidenten stellen, uns geht es um die Inhalte.

Gysi: Ja. Wissen Sie, ich bin natürlich der Klügere, das ist ja völlig richtig von Ihnen festgestellt. Aber das werde ich schon deshalb nicht machen, weil ich damit den Wählerinnen und Wählern sagte, es ist ganz egal, wie stark ihr uns wählt, die SPD stellt sowieso immer den Ministerpräsidenten. Auch wenn wir zehn Prozent mehr haben oder acht, spielt gar keine Rolle; es ist immer der kleinere Partner, der den Ministerpräsidenten stellt. Das geht auf gar keinen Fall! Ich werde mich nie an einem Betrug der Wählerinnen und Wähler beteiligen. Wenn sie die SPD stärker gewählt hätten, wäre das was anderes gewesen, aber ich habe auch darum gekämpft, dass wir stärker bleiben. Ich meine, ich hätte mir auch noch ein bisschen besseres Ergebnis für uns gewünscht, aber insgesamt bin ich mit einer Sache zufrieden, dass dieser Erpressungsversuch der SPD nicht aufgegangen ist. Und jetzt hat sie ein inhaltliches Problem. Sie will längeres gemeinsames Lernen. Sie will einfach auch ein anderes Gesetz für öffentliche Aufträge, dass man da eine Art Mindestlohn reinschreibt und so. Das will die CDU alles nicht. Was macht sie denn jetzt? – Jetzt verzichtet sie wieder auf alles, und ich glaube, das kostet sie wirklich ihren Ruf. Darüber muss sowohl Herr Bullerjahn als auch Herr Gabriel nachdenken. Aber die sind noch ziemlich stur. Wissen Sie, ich habe bloß eines in meinem Leben gelernt: Ich habe Geduld. Dann dauert es eben noch ein bisschen. Aber ich glaube, wir beide erleben noch, dass ein linker Ministerpräsident auch mithilfe der SPD gewählt wird.

Ricke: Ich fasse mal das "es dauert noch ein bisschen" etwas kürzer zusammen, gerade mal sechs Tage, und schaue auf die Wahlen am kommenden Sonntag. Jetzt wäre ja so ein Ergebnis wie in Sachsen-Anhalt in Rheinland-Pfalz oder Baden-Württemberg spektakulär, aber es wird wahrscheinlich so nicht kommen, und die großen Zuwächse hat es auch nicht gegeben. Wie schauen Sie denn auf das kommende Wochenende?

Gysi: Ziemlich optimistisch, weil es einen Unterschied gibt. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz herrscht im Wahlkampf Leidenschaft. Die hat mir ein bisschen gefehlt in Sachsen-Anhalt. Ich war in Städten wie Rottweil und so weiter, das sind ja keine Höhepunkte für uns, und ich muss sagen, es waren viele Leute da und sie waren begeistert und sie wollen eine Veränderung. In Baden-Württemberg ist es ganz augenscheinlich. Es gibt welche, die wollen natürlich Mappus behalten, das ist klar. Aber es gibt jetzt viele, die sagen, Nein, nach 58 Jahren muss es mal einen Wechsel geben. Und den meisten ist klar: Wenn die Linke nicht reinkommt, wird höchstwahrscheinlich Mappus bleiben, und wenn die Linke reinkommt, dann ist er weg, zumindest gibt es dann die Möglichkeit für eine andere Konstellation. Das ist spannend. Und hier in Rheinland-Pfalz, wo ich jetzt gerade bin, da herrscht auch Leidenschaft, weil man sagt, das wäre doch mal was anderes. Eine Linke in diesem Landtag, das würde auch den Beck mal anders unter Druck setzen. Der Beck ist ja nun mal derjenige, der diesen ganzen, wie ich finde, völlig unzulänglichen Kompromiss bei Hartz IV gemacht hat, und so weiter und so weiter. Also ich finde es spannend, ich bin optimistisch. Ich bin natürlich auch immer ein Zweckoptimist, aber ich sage mir, wir werden es in beiden Ländern schaffen. Aber wenn wir es mal in einem schafften, wäre es schon ein tolles Erlebnis, aber ich bin eigentlich sicher, wahrscheinlich schaffen wir es in beiden.

Ricke: Es klingt so, als ob Sie ganz auf die Müdigkeit der Wähler mit den Mächtigen gucken. Vielleicht gucken wir auch ein bisschen auf die eigenen Themen! Was haben wir denn noch? Die soziale Gerechtigkeit ist wieder bei der SPD, der Atomausstieg, großes Thema zurzeit, ist natürlich urgrün, das Ergebnis sehen wir auch in Sachsen-Anhalt. Das Nein zum Krieg, das hat Ihnen inzwischen sogar schon Guido Westerwelle im Weltsicherheitsrat abgenommen. Was bleibt Ihrer Partei?

Gysi: Ach, eine Menge, und zwar vor allen Dingen die Tatsache, dass wir in der Konsenssoße der anderen nicht drin sind. Alle anderen sind für prekäre Beschäftigung, alle anderen sind dafür, Rente erst ab 67, alle anderen finden den Afghanistankrieg richtig. Wir nicht, und das wissen die Leute. Und dass der Beck mühevoll dafür gesorgt hat, uns auszuschließen von den Hartz-IV-Gesprächen, ergibt sich doch nur daraus, dass sie nicht wollten, dass wir etwas von den Neben-Deals erfahren. Die Leute haben eines mitgekriegt: Die anderen sind in so einer Soße, die sprechen sich das ab, ob jetzt die FDP ein bisschen mehr kriegt, die Grünen etwas weniger, oder umgekehrt, das erschüttert die doch alles nicht. Die Linke, Die Linke ist der Faktor, den ich mal als Problemfaktor bezeichne, für die anderen Parteien, nicht für uns. Und immer, wenn wir ein gutes Wahlergebnis haben, ändern sich die anderen. Das haben die Leute mitgekriegt. Wieder Beispiel Beck: Der hat vor einem Jahr vor der Fernsehkamera gesagt, ältere Arbeitslose dürfen nicht länger Arbeitslosengeld I beziehen, weil das bringt die ganze Agenda 2010 durcheinander. Ein Jahr später sagt er das Gegenteil. Warum? – Nur weil die Umfragen für uns gestiegen sind. Das haben die Leute gemerkt. Wir sind wirklich ein wichtiger Korrekturfaktor, ein Motor für Veränderungen, und das wünschen sich jetzt die Leute auch in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz. Also es sind schon Veränderungen, die damit verbunden sind. Ich bitte Sie! Noch vor zehn Jahren wären doch solche Ergebnisse für uns völlig undenkbar, vor allen Dingen in Rheinland-Pfalz oder in Baden-Württemberg. Ich finde das spannend!

Ricke: Gregor Gysi, der Fraktionsvorsitzende der Die Linke im Bundestag. Vielen Dank, Herr Gysi.

Gysi: Bitte schön!
Mehr zum Thema