Die singenden Weltraumforscher

Von Jörg Wunderlich · 19.07.2013
Im hessischen Darmstadt befindet sich das Europäische Raumfahrtkontrollzentrum ESOC. Von dort aus werden Missionen zu anderen Himmelskörpern oder der Betrieb von Satelliten überwacht und gesteuert. Am ESOC wird aber nicht nur intensiv gearbeitet und geforscht, sondern auch gesungen.
Fast wie unter Weltraumbedingungen geht es zu bei dieser montäglichen Probe am ESOC in Darmstadt, zumindest was den Platz angeht. Denn wegen einer Veranstaltung mussten die 25 Sängerinnen und Sänger spontan vom Konferenzraum in eine kleine Empfangsnische umziehen. Chorleiter James Schar hat sein Elektropiano nun vor einer Posterwand mit Satellitenfotos aufgebaut und stimmt erst einmal einen Spiritual an.

Seit fast 25 Jahren wird gibt es den Betriebschor am Europäischen Weltraumkontrollzentrum in Darmstadt nun schon. Der schottische Astromathematiker Aleister Mc Donald ist als Tenor von Anfang an dabei.

"1989 hatten wir angefangen, kurz nach der Begründung der ESOC-Theatergruppe. Wir hatten eine englischsprachige Revue gemacht mit Liedern und nach diesem Erfolg wollten wir noch weitermachen. Wir machen sehr viel internationale Musik, die ganze Bandbreite, nicht nur deutsche, englisch, sondern auch französisch, spanisch, russisch…"

Für Aleister Mc Donald gehört Musik so selbstverständlich zu seinem Leben wie die Mathematik und die Bahnen der Satelliten, die er als Flugdynamiker zu berechnen hat. Auch sein jüngerer Kollege Arjan Hulsbosch aus den Niederlanden ist froh, ein hochklassiges Gesangsensemble direkt am Arbeitsort zu haben.

"Eigentlich habe ich schon angefangen in Chören zu singen, als ich sieben Jahre alt war, und als ich studiert habe, habe ich beim niederländischen Nationalstudentenchor mitgemacht. Für mich ist es die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts, die ich sehr liebe. Da sieht man ein bisschen einen Unterschied zwischen den Chören in den Niederlanden und in Deutschland. Hier wird viel mehr auf das 19. Jahrhundert fokussiert."

Eine internationale Mischung
Der heutige Chorleiter James Schar kam nach seiner Dienstzeit als US-Soldat zum Musikstudium nach Deutschland und blieb. Aus seiner Heimat hat der ausgebildete Kirchenmusiker nicht nur die Leidenschaft für traditionellen Gospel und Spiritual mitgebracht.

"Ich hab viel mit zeitgenössischer Musik aus den USA zu tun gehabt, schon als Kind und das habe ich mitgebracht, als ich nach Europa kam. Amerikanische Chormusik wird verhältnismäßig wenig hier gemacht. Es hat immer noch etwas Spätromantisches in sich, von den Harmonien und von der Stimmführung her, also ist es eine andere Form zeitgenössischer Chormusik als man sie hier in Europa findet."

Anne Kraft: "Ich war Fremdsprachenkorrespondentin und habe von einem Arbeitskollegen gehört, dass er hier singt, und bin vor 23 Jahren mal einfach mitgegangen und von der ersten Probe hier hängen geblieben."

Anne Kraft gehört zu denjenigen Chormitgliedern, die nicht am ESOC beschäftigt sind und von außerhalb zu den Proben kommen. Für sie gibt es viele Gründe, als Externe in einem Betriebschor mitzusingen.

"Zum einen diese Internationalität mit den ganzen Leuten, die Sprache natürlich. Das ist auch ganz nett, dass man das Englische nicht verlernt und zusätzlich noch diese andere Art des Umganges. Ich war schon in anderen Chören, wo sehr starkes Konkurrenzdenken war, wo gepiesackt wurde. Es ist schon was anderes, ob ich in einem rein deutschen Chor in einer Kleinstadt bin oder in so einer Organisation hier.

Ich habe insbesondere Jean Connard, der ersten Chorleiterin, die den ESOC-Chor auch gegründet hat, viel zu verdanken. Sich so in die Musik reinzudenken, aber auch von so professionellen Chorleitern sie so nahegebracht zu bekommen, hat mit mir persönlich ganz viel gemacht. Es gab Zeiten, wo andere in eine Psychotherapie gehen mussten, weil es auch schwere Zeiten im Leben gibt, und ich habe gesungen. Das befreit sehr stark."

Die Schwerpunkte im Repertoire des Chores sind geistliche Werke, aber es werden auch Chancons, Spirituals, Musicalstücke oder Popsongs einstudiert. Für die Kollegen am Standort gibt es einmal im Jahr ein großes Konzert, dann wird in vielen Sprachen gesungen. Die meisten Auftritte aber gibt das Ensemble außerhalb des Weltraumzentrums, in Darmstadt und in der ganzen Region.

James Schar: "Es hat mit den Sicherheitsmaßnahmen zu tun. Wir können unser Publikum nicht so sehr hier reinbringen. Viele Konzerte machen wir außerhalb. Manchmal machen wir Projekte mit anderen Chören, um auch größere Werke aufzuführen. Ich hab eigentlich einen sehr engagierten Chor. Sie sind sehr zielstrebig, das kann man schon sagen und die sind immer offen für alles, das finde ich toll."

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