Die schwierige Suche der ägyptischen Kopten nach Freiheit

Von Michael Hollenbach · 07.04.2012
Der koptische Bischof Damian sieht die Entwicklung in Ägypten mit Freude und Sorge zugleich. Bei seinem Heimatbesuch trifft er Jugendliche, die für ihre Rechte kämpfen wollen und sich nur bedingt von der Kirche beeinflussen lassen, die Auflehnung gegen die Obrigkeit eigentlich ablehnt.
"Wir befinden uns in der Krypta des Heiligen Sergius, und das ist in der Kirche Abu Sarga in Alt-Kairo, wo die Heilige Familie sich sechs Monate lang versteckt hat."

Bischof Anba Damian steht mit seiner Reisegruppe unter der Kirche in einem kleinen Gewölberaum, der erst seit kurzem betreten werden kann.

"Diese unterirdische Krypta war seit vielen Jahren vom Wasser überfüllt. Durfte hier kein Mensch reinkommen. Für Touristen ist das nicht zugänglich, vielleicht können wir miteinander ein Lied singen."

Die frommen Männer sind ergriffen von dem für sie so heiligen Ort, auch wenn nicht historisch belegt ist, ob hier wirklich Jesus, Maria und Joseph Schutz vor dem eifernden König Herodes fanden. Damian:

"Die alleinige Tatsache, zu denken, dass die Heilige Familie sich an diesem Ort aufhielte, das kann man nicht begreifen. Dann bekommt man Gänsehaut. Man spürt auch eine außerordentliche Kraft dieses Ortes. Und ich denke, der Boden, die Luft ist heilig."

Die Krypta der Heiligen Familie ist ohnehin für Touristen gesperrt; aber auch in der Kirche oben und in den anderen Kirchen in Alt-Kairo sieht man kaum Touristen. Früher - vor der Revolution - hätten sich hier die Menschenmassen gedrängt, sagt Bischof Damian:

"Gott sei Dank, das habe ich noch nie erlebt, hier zu kommen, und dann sind wir allein, das gab es noch nie."

Für Anba Damian ein einmaliges Erlebnis; für viele Menschen in Kairo, die vom Tourismus leben, eine wirtschaftliche Katastrophe. Ortswechsel. Rund 300 Kilometer südöstlich von Kairo. In der Nähe des Roten Meers befindet sich das Paulus-Kloster, eines der ältesten Klöster der Welt. Es geht auf den Eremiten Paulus von Theben zurück, der hier Ende des 3. Jahrhunderts in einer Höhle lebte. Noch heute wohnen in dem Kloster rund 120 koptische Mönche.

Heute sind die Mönche aus dem benachbarten Antonius-Kloster zu Besuch gekommen. Gemeinsam feiern die Brüder beider Klöster in einer unterirdischen Krypta mehr als drei Stunden lang einen Gottesdienst, der vor allem von liturgischen Wechselgesängen geprägt ist. Die Besucher aus Deutschland sind fasziniert:

"Das ist Volkskirche pur","

bemerkt der katholische Priester Andreas-Abraham Thiermeyer erfreut. Allerdings eher eine Volkskirche wie vor dem 2. Vatikanischen Konzil. Denn Kirchenvolk und Mönche sind hier streng getrennt. Die Bühne gehört den Mönchen, die übrigen Christen dürfen mehr oder weniger passiv zuschauen, filmen und fotografieren:

""Die Leuten strömen und es geht zu - wir würden im Westen sagen als Ästheten - wie im Taubenschlag. In der Ostkirche sieht man das ganz anders. In der Ostkirche sieht man die Kirche als das Haus des Vaters. Im Haus des Vaters, da soll man sich schon benehmen, keine Frage, aber wenn einer mal nicht so ist, wie er sein soll, dann fällt nicht gleich das Haus zusammen."

In der Krypta sollen sich die sterblichen Überreste des heiligen Paulus befinden, und zur Feier des Tages berühren die Mönche mit parfümierten Papiertüchern den Sarkophag; die übrigen Christen bekommen nachher Teile der Tücher.

Der politische Umbruch des Landes scheint die Brüder in den Klöstern kaum zu tangieren. Pater Ruiz, einer der ältesten Mönche des Antonius-Klosters:

"Die politischen Wechsel interessieren uns nicht so. Der heilige Antonius hat gesagt: Lass uns jeden Tag neu beginnen. Wir werden durch unseren Herrn beschützt. Wir gehorchen der Regierung. Wir lieben unser Land. Unser Papst Schenuda hat gesagt: Ägypten ist nicht nur das Land, in dem wir leben; es ist das Land, das in unseren Herzen lebt. Die Kopten sind das ursprüngliche Volk Ägyptens seit dem 1. Jahrhundert."

Die Kopten berufen sich darauf, in einer Linie mit den altägyptischen Pharaonen zu stehen. Heute machen sie aber nur rund zehn Prozent der Bevölkerung aus. Die große Mehrheit der Ägypter ist muslimisch. Der Revolution steht die koptische Kirche eher ambivalent gegenüber, die erhoffte Verbesserung der Lage der Christen hat sie bisher nicht gebracht. Kurz bevor Präsident Mubarak gestürzt wurde, hatte es am 1. Januar 2011 einen Terroranschlag auf die koptische Al-Qiddissine- Kirche in Alexandria gegeben. Damals kamen 23 Kopten ums Leben, rund 100 wurden verletzt. Bei einem Besuch in Alexandria geht Anba Damian, der Bischof der deutschen Kopten, auch in die Al-Qiddissine- Kirche.

"Hier sieht man die Blutflecken von der vorderen Fassade der Kirche, sieht man die Blutspuren der Märtyrer, und da sind Teile von den Knochen und dem Körper, die Teile, die man gesammelt hat in so einem Tubus, daraus macht man hier eine Gedenkstätte."

Die Getöteten werden von der koptischen Kirche als Märtyrer verehrt. So auch die Angehörigen von Marina Dawud, die selbst den Anschlag schwer verletzt überlebte:

"Es gab eine Explosion und ich verlor meine Mutter, meine Schwester und meine Tante hier. Ich selbst hatte nachher in München viele Operationen an meinem Bein. Hier am Eingang der Kirche war überall so viel Blut, und viele Menschen wurden verletzt, aber die Gemeinde ist stark genug, dass sie den Anschlag hinter sich lassen kann. Wir lieben es, an diesem Ort zu sein."

Die 25-jährige Studentin ist bereits mehrmals operiert worden. Ihre Beine waren zertrümmert und sie hatte schwere Verbrennungen. Wer hinter dem Anschlag aus der Sylvester-Nacht steckt, ist bis heute nicht geklärt: ob es ein ägyptischer Ableger von al-Qaida war oder der damalige Innenminister Habib el-Adly, der mit der Bombe Kopten und Muslime gegeneinander aufwiegeln wollte. Tief enttäuscht sind die Kopten, dass die Justiz nicht konsequent versuche, die Täter zu ermitteln.

"Ich hasse niemanden, aber ich wünschte, dass die Regierung mehr unternimmt, damit so etwas nicht noch einmal passiert. Wir müssen in Sicherheit beten können. Es ist unser Recht, ohne Angst beten zu können. Wir lieben es, Christen zu sein. Wir lieben Gott und trauen ihm. Deshalb kann uns keiner Angst einjagen, wenn wir zur Kirche gehen."

Wie Marina wurde auch Yousef Magdi bei dem Anschlag schwer verletzt und danach in Deutschland, im ostwestfälischen Höxter, operiert. Dort, wo Bischof Anba Damian im Kloster lebt. Nun besucht er Yousef Magdi im Markus-Krankenhaus in Alexandria.

Nach den erfolgreichen Operationen in Deutschland kehrte Yousef Magdi im vergangenen Sommer voller Hoffnung nach Alexandria zurück. Doch kurz nach seiner Rückkehr entdeckten die Ärzte beim ihm einen Krebstumor. Nun - ein halbes Jahr später - liegt er auf dem Sterbebett.

Bleich, abgemagert und schwer atmend blickt er auf die rund 20 Menschen, die sich hier versammelt haben. Sie sind gekommen, um an seinem Bett die Verlobung seiner Tochter zu feiern. Gemeinsam zelebrieren der koptische Bischof Anba Damian und der katholische Bischof Gregor Maria Hanke die Verlobung.

Während Yousef Magdi an Schläuchen hängt und mit dem Tode ringt, kommt die Verlobungsgesellschaft an seinem Bett zusammen - inklusive zahlreicher Fotos und eines TV-Interviews des koptischen Fernsehens mit dem Bischof. Anba Damian rechtfertigt die Zeremonie:

"Wir haben am Sterbebett die Verlobung der Tochter vollendet, damit für den Fall, dass der Vater sterben muss, diese Verlobung nicht verschoben wird. Die Familie braucht einen Beistand und durch den künftigen Partner der Tochter haben sie einen sehr guten Beistand. Und ich wollte auch der Familie eine Freude machen, und ich habe ihn in seinen letzten Stunden besucht und mich von ihm verabschiedet."

Einen Tag nach dem Besuch und der Verlobung stirbt Yousef Magdi.

Zurück in Kairo. Eine der letzten Audienzen des kürzlich verstorbenen koptischen Papstes Schenuda des Dritten. Bischof Damian und seine Gäste aus Deutschland sitzen mit den anderen koptischen Bischöfen im Altarraum. Noch ist der altersschwache Papst nicht zu sehen, aber sein Kirchenvolk feiert ihn in der vollbesetzten Kairoer Markuskathedrale wie einen Popstar. Als Papst Schenuda sich vor das Mikrofon setzt, rügt er zuerst die Fangesänge in der Kirche.

"Die Frauen sollen in der Kirche nicht so laut jubeln."

Doch die Dolmetscherin fügt lächelnd hinzu: Das sagt er immer. Eine Audienz von Papst Schenuda, das bedeutet, dass er zahlreiche während der Zeremonie an ihn gerichtete Fragen beantwortet. Auch wie sich die Christen nun in der Phase des politischen Umbruchs verhalten sollen:

"Die Kirche und der Staat akzeptieren keinen zivilen Ungehorsam. Einige Verse in der Bibel behandeln das Verhältnis zur Obrigkeit. Ziviler Ungehorsam - das ist was für einige Tage und dann ist es vorbei. Möge Gott uns und unser Land vor solchen Dingen bewahren."

Papst Schenuda beklagt, dass Ägypten in einen Zustand von Chaos und Anarchie abgerutscht sei. Militär und Polizei müssten ihre Aufgaben erledigen können, um die Menschen zu schützen.

"Wenn jemand nur das macht, wozu er Lust hat und sich nicht um andere kümmert - das sind nur Phantastereien. Das darf nicht so weitergehen. Möge Gott uns davor bewahren, dass es so bleibt."

Dem Kirchenoberhaupt wird freundlich applaudiert, aber man sieht, dass der päpstliche Aufruf zu Ruhe und Ordnung bei jungen Kopten auf wenig Begeisterung stößt. Das weiß auch Anba Damian:

"Die Jugendlichen sehen ihre Ziele sehr klar, und möchten sich nicht besänftigen lassen, sie möchten gerne an ihre Rechte kommen."

Der koptische Bischof aus Höxter wird hier überall ehrerbietig empfangen. Die Gläubigen verbeugen sich tief vor ihm und deuten einen Handkuss an. Ein Bischof verfügt in Ägypten über eine hohe Autorität. Immer wieder wird Anba Damian angesprochen, ob er nicht bei der Einreise nach Deutschland helfen könne. Als Beweggrund der Ausreisewilligen wird immer wieder die Sorge um den wachsenden Einfluss der Islamisten genannt. Und auch Anba Damian beschwört vor allem die islamische Gefahr. Den radikaleren Muslimen wirft er vor, sie würden versuchen, die Revolution zu stehlen:

"Leider Gottes sind die wunderschönen Bilder, die wir gesehen haben von Christen und Muslimen, haben nicht sehr lange gedauert. Kurz danach spürten wir die Infiltration der Revolution durch die islamische Bewegung, die die Revolution geklaut haben und eine islamische Einfärbung dieser Revolution verliehen haben. Dadurch fühlen sich die Jugendlichen betrogen."

Anba Damian befürchtet, dass immer mehr Christen dem Druck nicht standhalten und Ägypten verlassen werden. Er sieht nicht nur die radikal-islamischen Salafisten als Gefahr für die Kopten, sondern auch die gemäßigtere Muslimbruderschaft:

"Im Augenblick zeigen sie ein mildes politisches Gesicht, bis sie ihren Status verfestigt haben und danach zeigen sie ihr wahres Gesicht. Ich fürchte, dass das wahre Gesicht sehr grausam ist."

Die Einschätzung der jungen Kopten, die sich am Wochenende in der Kairoer Atanasius-Gemeinde treffen, sieht etwas anders aus. Auch sie reden darüber, dass die Spannungen zwischen Muslimen und Kopten nach der Revolution gewachsen sind. Aber - so der Student Fetis Amir - er habe bislang keine Probleme mit Muslimen:

"Es gibt auch muslimische Bruderschaften im College, und auch Salafisten, die radikalen Muslime. Wir gehen nicht gerade sehr freundlich miteinander um, aber wir respektieren uns gegenseitig. Das Wichtigste ist: Wir haben wenig miteinander zu tun. Wir sind getrennte Gruppen, die christlichen Gruppen und die radikalen muslimischen Gruppen."

Immer wieder hört man, dass die Kopten mit ihren muslimischen Nachbarn gut auskommen, aber ansonsten gibt es wenig enge soziale Kontakte. Selbst die Belegschaft der Unternehmen ist häufig religiös homogen. Auch Sara Nagi arbeitet in ihrem Betrieb fast nur mit Christen zusammen. Vor den radikalen Muslimen hat sie keine Angst:

"Die Aktionen der Salafisten sind sehr dumm; entschuldigen Sie, wenn ich das so sage, aber sie sind so dumm. Die reden immer nur davon, was alles verboten ist für Muslime."

Und auch Bischof Anba Damian meint, die Salafisten würden sich selbst entlarven:
" Die Salafisten sind durch ihre extreme und fanatische Haltung in der Lage, die wahre islamische Lehre ans Tageslicht zu bringen, was keiner vorher sich getraut hat. Insofern glaube ich, durch ihre fanatische Haltung ist das die beste Motivation für die Intellektuellen, nach Alternativen zu suchen."

Nach einer Woche Heimatbesuch in Ägypten zieht Anba Damian, der Bischof der Kopten in Deutschland, eine gemischte Bilanz:

"Das Gefühl, heute Ägypten zu besuchen, ist ein sehr merkwürdiges. Erstens freut man sich, dass die Menschen freier geworden sind, und sie haben klare Vorstellungen, wie ihre Rechte aussehen."

Er hoffe, - und da ist er anderer Meinung als sein verstorbener Papst Schenuda - dass die Menschen keine Ruhe mehr geben werden, bis sie ihre demokratischen Rechte durchsetzen. Allerdings:

" Was mich sehr traurig macht: Es herrscht ein Zustand der Ängste. Wer stärkere Ellenbogen hat, setzt sich durch, und jeder, der laut ist, ist mächtiger als derjenige, der Recht hat, aber leise spricht."
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