Die Schauspielerin Barbara Nüsse wird 75

Grande Dame mit Sprockhöveler Charme

Schauspielerin Barbara Nüsse 2006 als Virginia Woolf im Renaissance-Theater in Berlin
Schauspielerin Barbara Nüsse 2006 als Virginia Woolf im Renaissance-Theater in Berlin © imago stock&people
Von Michael Laages · 17.02.2018
Weil ihr Vater sich einen Sohn wünschte, schlüpfte Barbara Nüsse als Kind in die Jungen-Rolle. Jahre später schlug sie eine erfolgreiche Karriere als Schauspielerin ein und wurde zur Grande Dame des Theaters. Und selbst an ihrem 75. Geburtstag steht sie auf der Bühne.
"Ich finde das nicht so wichtig, dass ich 75 werde", sagt Schauspielerin Barbara Nüsse. Bescheidener geht’s nicht. Aber der Lebens- und Arbeitsweg der Schauspielerin ist schon wichtig – gerade weil sie so eine Rumtreiberin war. "The lady is a tramp" dichtete "Theater heute" mal.
"Mir sagen manchmal die jungen Kollegen hier: Mensch, Du musst das mal aufschreiben, das sind so tolle Geschichten. Aber ich käme nie auf die Idee, mein Leben aufzuschreiben mit solchen Sachen. Das kann ich nicht. Das ist einfach nicht mein Beruf, ich kann nicht gut genug schreiben, dafür hab ich viel zu viel Respekt vor Leuten, die wirklich schreiben können. Und es gibt genug, die nicht gut schreiben und das trotzdem tun."

Als Kind wollte sie zum Bergbau

Ganz klein und überschaubar fing die Geschichte an nach der Münchner Falckenbergschule: im Ateliertheater Bern; weil der vor knapp zwei Jahren verstorbene Schauspieler und Regisseur Rudolf Wessely dort Hausherr war. Als der Start zu schwierig schien, habe der ihr gesagt:
"Den Rest, das musst Du mit Deinem Sprockhöveler Charme lösen ... Sprockhöveler Charme!"
Sprockhövel? Die kleine Stadt, die als "Wiege des Ruhrbergbaus" gilt?
"Mein Vater hat Bergbau studiert und war Bergbau-Ingenieur, wie man das so nennt, und hat in Sprockhövel dann irgendwann eine Firma gegründet, die Maschinen herstellt die im Bergbau benützt wurde. Ich bin ja der Sohn meines Vaters gewesen und ich wollte vor allem unter Tage arbeiten.
Ich hab den Sohn gespielt – weil er keinen hatte, und ich merkte: Der möchte nen Sohn haben. Und es kam mir sehr entgegen offensichtlich auch; ich bin immer in Lederhosen rum gelaufen, habe mit Jungs gespielt. Und als ich acht war, sagte ich: Papa, ich möchte auch unter Tage fahren. Da sagte er: Kind, Du, das geht nicht – Du bist doch nur ein Mädchen! – Das 'nur' hab ich total überhört."
"Der Sohn des Vaters" ist sie geblieben, irgendwie – die "Doyenne" am Thalia Theater ist mit 75 eine enorm kraftvolle-drahtige Kollegin, in den drei Teilen der Familien-Saga von Luk Perceval, die das Thalia immer noch zeigt, oder eben aktuell als Uroma Stasia in Steckels "Brilka"-Inszenierung.
"Die Uroma tanzt, ja. Irgendwer hat mir in die Wiege gelegt, dass ich so nen gesunden, immer noch beweglichen Körper behalten habe."

"Er sagte: Stell Dich mal da hin. Und nun zieh Dich aus!"

Aber jetzt noch mal fast fünf Jahrzehnte zurück, nach Bern, ans Ateliertheater, zugleich sind wir mitten in der aktuellen MeToo-Debatte. In Bern damals hat Barbara Nüsse die einzige Attacke dieser Art erlebt:
"Dann kam ich dann auch in so ein großes Zimmer und er sagte: Stell Dich mal da hin. Und dann stand ich da, und dann sagte er plötzlich: Und nun zieh Dich aus! – Ich hätte fast gelacht, ne! Ich hab gesagt: Was? Wieso? Sind Sie eigentlich verrückt oder... Ich hab meinen Mantel genommen und bin gegangen. Aber ich war von dem natürlich nicht abhängig."
Der Regisseur habe sie "sekkiert" danach in der Inszenierung, also sehr unfein behandelt; aber letztlich hat Barbara Nüsse danach den Ratschlag befolgt, den sie heute jungen Kolleginnen gibt:
"Vielleicht klingt das sehr hart. Ich glaube, dass man – wenn das nicht mit Kraftüberwältigung stattfindet – dass man immer 'nein' sagen kann. Dann muss man auf die Rolle verzichten, das ist die Alternative. Das ist ganz, ganz schwer. Aber ich meine, das Schlimme ist, dass man überhaupt in die Situation kommt, dass man das überlegen muss. Es fängt ja viel früher an mit diesen Idioten."

"So lange war ich noch nie an einem Theater"

Von den Rabauken des frühen Regietheaters allerdings hat auch sie allerhand zu erzählen: vom Patriarchen Hans Lietzau, der offenbar aus blanker Angst alle rüde zusammen schimpfte auf der Bühne, von Claus Peymann, der auch gern mal rüpelhaft herzog über andere und ein schmerzhaftes Regiment pflegt bei der Arbeit. Jetzt in Hamburg, sagt sie, habe sie nochmal richtig Glück gehabt:
"Hier, glaub ich, kann man das gar nicht erleben, solche miese, ablehnende Behandlung von Regisseuren und so. Und im Ensemble? Das gab es früher schon auch: Eifersüchteleien und Hinten-rum-Sachen. Ich habe das Gefühl, das gibt es hier nicht. Das ist vielleicht auch der Grund, warum ich hier schon so lange bin, und bleibe. Ich bin jetzt im achten Jahr – so lange war ich noch nie an einem Theater."

Besondere Rollenwünsche haben sie nie geäußert, und dass sie nächste Woche Prospero ist in Shakespeares "Sturm", war auch Jette Steckels Idee. Wenn sie aber nun doch einen Wunsch frei hätte?
"Ich würde gerne mit Castorf mal arbeiten. Vielleicht würde ich da nach 14 Tagen 'Auf Wiedersehen' sagen, das weiß ich nicht – aber es würde mich reizen, ja."
"Nein" kann sie sagen – zum Theater aber immer wieder "Ja".
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