Die Psyche von Amokläufern

19.11.2009
Am 23. März 1998 erschoss ein Elfjähriger gemeinsam mit seinem 13-jährigen Freund vier Mädchen und einen Lehrer und sie verletzten weitere Schüler schwer, bevor es gelang, sie festzunehmen.
Im April 1999 töten zwei Minderjährige an der Columbine High School zunächst zwölf Mitschüler und einen Lehrer, bevor sie sich selbst erschossen. Zwei Fälle aus einer langen Liste. Aber was treibt diese Jungen zu ihren Taten? Fragen, die der amerikanische Psychiater Peter Langman in seinem Buch "Amok im Kopf – Warum Schüler töten" zu beantworten versucht.

Zehn Amokläufe, die alle ausnahmslos in den USA stattfanden, hat er dafür analysiert. Ausführlich beschreibt er die Taten und Persönlichkeiten der Amokläufer und zeigt, wie völlig gestört ihr psychisches Innenleben ist; wie groß ihre Wut, ihr Hass, ihre Ängste und ihre Wahnvorstellungen waren.

Dabei besticht Langmans Buch durch die Genauigkeit, mit der die Täter beschrieben werden. Der Psychiater hat sich durch etwa 27.000 Seiten gearbeitet, er hat Gesprächsprotokolle, Schulaufsätze und vor allem die Tagebücher der Täter gelesen, um die jeweiligen Taten akribisch analysieren zu können. Und da entsteht dann ein ganz anderes Bild als das bisher durch die Medien verbreitete. Es sind eben nicht die gemobbten Einzelgänger, die sich bei ihren Mitschülern rächen wollen. Mit diesem Klischee räumt Langman gründlich auf. Die beiden Attentäter von Columbine etwa hatten Freunde, sie machten Sport und drehten Videofilme.

Langmans Studie hat einen völlig anderen Ansatz als die bisherigen Untersuchungen, die sich intensiver mit der sozialen Umgebung der Täter und weniger mit ihrer Persönlichkeit und Psyche befassen. Und genau das macht den Reiz dieses Buches aus, Indem man eintaucht in die kranke Welt der Täter, versteht man mehr, wie es zu den Taten kommen konnte.

Dabei teilt Langman die Amokläufer in drei Gruppen ein: die Psychopathen, die sich in eine Phantasiewelt flüchten, die Psychotischen, die unter Halluzinationen oder Verfolgungswahn leiden, und die Traumatisierten, die in ihrer Kindheit schwersten Misshandlungen ausgesetzt waren. Außerdem waren viele der Täter depressiv. Peter Langman stellt den psychologischen Aspekt in den Mittelpunkt seiner Fallstudien, vergisst aber nie, die äußeren Lebensumstände einzubeziehen. Auch beugt er allzu schnellen Schlüssen vor, indem er immer wieder darauf hinweist, dass jeder Fall ganz besonders ist, dass eben nicht jeder psychisch kranke Schüler zum Amokläufer wird. Ebenso wenig können Computerspiele, Waffenbesitz oder schulische Probleme für sich genommen auslösend für Mord oder Selbstmord sein, so der Autor.

In seinem Buch stellt der Psychiater fünf Jugendliche vor, die bei ihren Eltern oder Lehrern in Verdacht geraten waren, möglicherweise einen Massenmord zu planen. Gerade mit diesen Beispielen zeigt er, dass es möglich ist, die Taten zu verhindern. Denn auch die wirklichen Täter hatten Signale abgegeben, die nur meist nicht ernst genommen wurden.

So wendet sich Langman im letzten Teil seines gelungenen Buches direkt an Eltern, Lehrer und Schüler und gibt ihnen Hilfestellungen, wie sie erkennen können, ob ein Schüler ein Attentat plant. Das sind allerdings keine Patentrezepte, sondern wertvolle Anregungen, wie man sich aus der Fassungslosigkeit befreien kann. Die wichtigste heißt: Drohungen ernst nehmen, nicht ignorieren!

Besprochen von Annette Wilmes

Peter Langman: Amok im Kopf – Warum Schüler töten
Beltz Verlag, Weinheim 2009
336 Seiten, 19,95 Euro