"Die Pille für Alzheimer wird es nie geben"

Konrad Beyreuther im Gespräch mit Christopher Ricke · 28.07.2011
Nach Ansicht des Molekularbiologen und Altersforschers Konrad Beyreuther ist eine erfolgreiche medikamentöse Therapie von Alzheimer eine Illusion. Wenn man aber vorbeugend bestimmte Faktoren wie Diabetes oder körperliche Inaktivität bekämpfe, sinke das Alzheimerrisiko erheblich.
Christopher Ricke: Kommt das Alter, kommt das Vergessen. Und weil wir in der Summe immer älter werden, gibt es auch immer mehr demente Menschen. Die Zahl der Alzheimerpatienten steigt weiter an. Die Forschung sucht seit Jahrzehnten nach dem Medikament, mit dem Alzheimer geheilt werden könnte, doch dieses Medikament fehlt noch.

Die Forschung beschäftigt sich auch mit Früherkennung, doch das Problem bei der Früherkennung: Wenn man dann keine Therapie hat, nützt die auch nur sehr wenig. Inzwischen gibt es immer mehr Menschen, die sagen, die Grundthese ist vielleicht falsch gewesen, es geht gar nicht so sehr um verklumpte Proteine auf Gehirnzellen – Alzheimer funktioniert anders.

Der Molekularbiologe Konrad Beyreuther hat vor 25 Jahren eins der Gene entdeckt, die für Alzheimer verantwortlich gemacht werden. Er beschäftigt sich mit der Ablagerung von Eiweiß im menschlichen Gehirn, er beschäftigt sich mit Altersforschung. Guten Morgen, Professor Beyreuther!

Konrad Beyreuther: Guten Morgen!

Ricke: Jahrzehntelange Forschung, aber doch nur relativ magere Ergebnisse – woran liegt es?

Beyreuther: Das Problem ist riesig. Ich denke, wir müssen Alzheimer im Kontext sehen mit allen anderen altersassoziierten Krankheiten, wie Herzkreislauferkrankungen, Diabetes und Krebs – denken Sie an den Fortschritt bei Krebs, der ist da, aber er ist marginal.

Ricke: Aber es ist überall Thema, und es ist wichtig! Ich schlage heute rein zufällig die "Welt" auf und sehe auf der Wissensseite einen großen Artikel. Er verspricht mir ewige Jugend für das Gehirn. Ich schaue ins Internet, ich finde die Universitäten Dresden und Leipzig, die gerade in diesen Tagen neue Erfolgsmeldungen liefern. Von einem Medikament aber ist man noch weit entfernt. Forscht man vielleicht doch in die falsche Richtung?

Beyreuther: Ich glaube, dass man das Problem unterschätzt. Die Pille für Alzheimer wird es nie geben, davon bin ich fest überzeugt, obwohl ich mein Leben lang eigentlich für diese Pille gearbeitet habe. Alzheimer ist ein Problem, das wir Menschen brauchen, aber es ist auch ein Problem, das wir so niedrig wie möglich halten müssen.

Ricke: Gibt es vielleicht dann doch eine Möglichkeit, vorbeugend zu wirken? Bei Herzkreislauferkrankungen weiß ich ja ungefähr, was ich tun muss: Da muss ich mich bewegen, da soll ich nicht rauchen, da soll ich nicht so viel Fettes essen, da soll ich keinen Alkohol trinken. Gibt es solche Tipps auch für das Vergessenwerden im Alter?

Beyreuther: Das ist völlig richtig! Alzheimer ist auch eine Alterskrankheit, hat sehr viel gemeinsam mit Herzkreislaufproblemen, mit Diabetes, und wir wissen heute, dass 50 Prozent der Alzheimerfälle in Deutschland – das sind 700.000, die neuen Zahlen liegen bei 1,4 Millionen Alzheimerpatienten in Deutschland –, dass etwa 700.000 ihr Alzheimerproblem auf sieben Risikofaktoren zurückführen können. Die sind alle steuerbar!

Ricke: Was sind das für Risikofaktoren und wie steuere ich sie?

Beyreuther: Das sind in erster Linie Diabetes, hohes Körpergewicht im mittleren Lebensalter, hoher Bodymassindex, Bluthochdruck im mittleren Lebensalter, Depression, geistige Inaktivität, körperliche Inaktivität, das sind im Wesentlichen die Faktoren. Und man kann sie alle bekämpfen. Wir haben heute erste Publikationen, die sagen: Wenn man nur 20 Prozent des Risikos in all diesen sieben Faktoren eliminiert, dann hätten wir etwa 100.000 weniger Alzheimerpatienten, also natürlich ein Fünftel weniger, 140.000 weniger der 700.000 Fälle, die auf diese Risikofaktoren zurückgehen. Wir rechnen gar nicht, dass wir 100 Prozent reduzieren können, aber 20 Prozent wäre schon eine ganze Menge.

Ricke: Heißt das, wenn ich einigermaßen körperlich gesund lebe, gute Laune habe, mal ins Konzert gehe und Zeitung lese, sinkt mein Alzheimerrisiko?

Beyreuther: Drastisch, denk ich. Da gibt es sehr viele Daten, es gibt sogar Daten mit Mäusen, bei denen man zeigen kann, dass bei bestimmten körperlichen und geistig anregenden Tätigkeiten die Eiweißablagerungen sinken, später auftreten. Wir haben im Tierexperiment den Beleg, aber es ist eben nicht die Pille, sondern es ist eigentlich die eigene Verantwortung, die ja die Hauptrolle spielt.

Ricke: Aber warum ist dann die Arzneimittelindustrie, die Forschung so fest dabei? Nur damit sie Geld verdient und ich hohe Krankenkassenbeiträge bezahle?

Beyreuther: Ich glaube, die haben vieles noch nicht so richtig realisiert. Wir sehen ja schon die Anstrengung der Pharmaindustrie, neue Konzepte aufzunehmen, aber in der Richtung Präventionsforschung haben die überhaupt keine Erfahrung, keine Kenntnis, kein Interesse, und bei der Pillenforschung sehen wir ja, dass dieser Blockbuster – eine Pille, die für alle gilt –, sehr viele Tote produziert. Das gibt es eben nicht, und die Pharmaindustrie wird große Probleme bekommen. Das sehen wir heute schon, das sehen wir voraus, und ich denke, so wie in der Vergangenheit wird man nicht weitermachen können.

Ricke: Jetzt wird die Gesellschaft ja älter, dadurch wird sie greiser, dadurch haben wir eine wachsende Zahl dementer Menschen. Muss man sich vielleicht auch einfach mal an den Gedanken gewöhnen, zum Leben gehört der Tod und zum Altwerden auch das Demenzrisiko? Also jetzt nicht so sehr nach der Pille suchen, sondern sich vielleicht etwas mehr anstrengen für die, die dann später einmal Hilfe brauchen, ein liebevolles und verantwortungsbewusstes Umfeld zu schaffen?

Beyreuther: Ich sehe es genau so. Man muss natürlich die Kirche im Dorf lassen: Über 75 Prozent der 85-jährigen und Älteren sagen: Uns geht es gut, uns geht es sehr gut, uns geht es ausgezeichnet verglichen mit Gleichaltrigen. Es gibt 25 Prozent, die haben Probleme. Von diesen 25 Prozent haben 80 Prozent eine Demenz. Die Demenz ist ein Hauptproblem.

Man muss einfach sagen: Wenn die Krankheit ausgebrochen ist, sind die Chancen einer Heilung – liegen die bei Null. Wir müssen also die Krankheit annehmen lernen, müssen da das Beste rausholen, was da rauszuholen ist. Es gibt einen Punkt, wo man einfach loslassen muss, wo man sich klar machen muss, jetzt ist das Leben ... geht einem Ende entgegen, es müssen alle loslassen, die Angehörigen und auch der Patient – ich weiß, das ist schwierig, aber wir sind geboren worden, um zu sterben. Und ich glaube, Alzheimer hilft uns auch ein wenig beim Sterben.

Ricke: Aber wer ist dazu ausgebildet, dabei zu helfen?

Beyreuther: Ja, das ist die Herausforderung. Wir in Heidelberg nehmen sie an, wir haben ein Wissenschaftskolleg, junge Wissenschaftler befassen sich in ihren Doktorarbeiten eben genau mit diesen Fragen.

Ricke: Der Molekularbiologe Konrad Beyreuther, Gründungsdirektor des Netzwerkes Altersforschung der Universität Heidelberg. Vielen Dank, Professor Beyreuther!

Beyreuther: Bitte, gern geschehen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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