Die phänomenale Karriere des Barack Obama

08.11.2010
David Remnicks Buch über Barack Obama ist weniger eine Biografie als eine Mammutreportage über die Entwicklung des heutigen US-Präsidenten. Das Ergebnis ist eine grandiose Erzählung über Amerika, gespiegelt am Werdegang eines Afroamerikaners, der alle Klischees aufmischt.
Die US-Öffentlichkeit kennt den Mann seit sechs, die Welt seit gut zwei Jahren. Aber kaum ist Barack Obama zum 44. US-Präsidenten gewählt, setzt es Hagiografien in allen Medien. Nach nur neun Monaten im Amt schmückt Stockholm ihn (und sich) mit dem Friedensnobelpreis. Und nach knapp anderthalb Amtsjahren legt David Remnick eine 890-seitige Obama-Biografie vor (im amerikanischen Original unter dem Titel "The Bridge" – in Anspielung u.a. auf den Bürgerrechtsmarsch 1965 über die Brücke in Selma, Alabama). Der Präsident ist keine fünfzig - was soll all der Vorschusslorbeer? Ist das "Obamania"?

Jein. Richtig ist: Dieser junge Mann erzeugt einen atemberaubenden Medienhype, seit er im März 2004 die Eröffnungsrede beim Parteitag der Demokraten in Boston halten darf. Das ist die Pole Position für einen erklärten Kriegsgegner, Millionen Amerikaner sehen ihn im Fernsehen. Falsch ist, dass Remnick eine Biografie geschrieben hat. Das Buch ist vielmehr eine Mammutreportage über den unwahrscheinlichen Aufstieg eines nicht-weißen Mannes in einem Land, das nach wie vor von den zwei großen R beherrscht wird: race and religion.

Schon seine Kandidatur für den US-Senat galt vielen Polit-Profis als verwegen. Senator in Illinois - okay. Chicago ist eine Multikulti-Großstadt - da hält man auch schwarze Bürgermeister aus. Aber Washington? Obama wird der erste nicht-weiße US-Senator. Seitdem scheint sein Aufstieg nicht mehr zu bremsen.

Remnick will wissen: Aus welchem Holz ist so einer? Wie ist er geworden, was er ist? Was will, was kann er? Er erzählt von dem kleinen Jungen, dessen Erzeuger ein schwarzafrikanischer Gaststudent war, aber leider kein Vater; dessen Mutter eine weiße Protestantin ist; der vor allem in Hawaii aufwächst, behütet von den weißen Großeltern; der selbst nicht weiß ist, aber auch nicht sozialisiert durch die "schwarze Erfahrung" subtiler oder brutaler Diskriminierung auf dem Festland. Wie findet so einer seine "race identity"?

Detailreich schildert Remnick Obamas Reisen, seine Suche nach dem "Ich" und dem "Wir", nach dem "wie schwarz bin ich und was bin ich sonst noch?" Er zeichnet nach, aus welchen Erfahrungen er welche Schlüsse zieht. Wie er auf eines seiner Leitmotive kommt: Hoffnung versus Angst, aus dem früh das "Yes, we can!" wird. Und wie er sich - durch echte Kärrnerarbeit und mithilfe mimetischer Intelligenz - selbst erfindet.

Und zwar nicht als die Ausnahme von allen Regeln, als die seine Gegner, manche Freunde und erst recht wir Europäer ihn missverstehen. Ich, dieser Schlaks mit dem drolligen Namen, ironisiert er sich in Boston, bin nicht irgendein Minderheitenhansel, "meine Geschichte ist Teil der größeren amerikanischen Geschichte". Ich bin Amerika, und zwar das ganze mitsamt seiner Ur-Idee von Freiheit.

David Remnick ist weiß, eine der feinsten Federn der Nation und Chef des Magazins The New Yorker. Sein Buch ist - wie schon seine Muhammed-Ali-Biografie - auch eine grandiose Erzählung über Amerika, gespiegelt am Werdegang eines Afroamerikaners, der die Klischees aufmischt. "Rasse ist kein Thema, das wir hier nur noch im Rückspiegel sehen", hat er zum Erscheinen bemerkt.

Die jüngsten Wahlen zeigen, wie recht er hat, und sein Buch liefert außer Informationen zum amerikanischen "making of politics" auch tiefe Einblicke in den gut gefüllten rassistischen Fundus, aus dem sich nicht nur die Rechtspopulisten der "Tea Party" erfolgreich bedienen können.

Besprochen von Pieke Biermann

David Remnick: Barack Obama - Leben und Aufstieg
Aus dem Englischen von Friedrich Griese, Christina Knüllig und Bernd Rullkötter
Berlin Verlag, Berlin 2010
976 Seiten, 34 Euro