Die Palme braucht den Tukan

Von Klaus Hart · 17.08.2013
Der Schwarzschnabel-Tukan verstreut die großen Samen der Jussarapalme. Wird der Vogel weiter ausgerottet, gibt es bald nur noch mickrige Palmen dieser Art, die den Klimawandel nicht überleben würden, so das Ergebnis einer Studie. Enorme wirtschaftliche Schäden drohen.
So klingen die exotischen Tukane des atlantischen Küstenwalds, mit denen Brasilien so gerne Tourismuswerbung betreibt. Das Dumme ist: Im Lande selber kriegt man sie meist nur in zoologischen Gärten zu sehen, eingesperrt in Käfige. Doch manchmal glückt es, sieht man einen ganzen Schwarm, wie er sich in hohen Bäumen über Früchte hermacht, die Lieblingsspeise. Ein faszinierender Anblick.

Die theoretisch streng geschützten Tukane werden bis über 800 Gramm schwer und haben leider nur eine geringe Fluchtdistanz. Jäger, Wilderer knallen sie daher oft ab, sogar nur aus Spaß, um mal so einen großen bunten Vogel und dessen unglaublich langen Schnabel in der Hand zu halten. Der hier, sagt Dr. Mauro Galetti von der Universität in Rio Claro bei Sao Paulo, der Schwarzschnabel-Tukan, "Tucano de bico preto", ist der wichtigste.

"Denn er verstreut die großen Samen der Jussarapalme. Gibt es in der Region keine Schwarzschnabel-Tukane mehr, bleiben die Samen alle in der Frucht - die fällt runter und verfault. Denn für kleinere Vögel ist die Frucht zu groß - die verstreuen nur Samen von kleinen Früchten, mit kleinen Samen. Daraus werden kleinere, eher rachitische Palmen mit deutlich kleineren Blättern. Doch für eine Palme ist die Größe sehr wichtig, weil dann die Blätter mehr Fläche für die Fotosynthese haben - und damit mehr Energie speichern können, um in Trockenzeiten zu überleben."

Mauro Galetti, der zu den weltweit führenden Experten dieses Sachgebiets, der Pflanzensamen-Verteilung durch Tiere, zählt, weist dann auf die gravierenden Auswirkungen der Klimaerwärmung just für die arg reduzierten brasilianischen Palmenwälder am Atlantik.

"In dieser Region wird es künftig viel weniger regnen. Unsere Tests haben daher ergeben: Je kleiner der Samen, umso schneller verliert er seine Feuchtigkeit. In trockenem Klima ist daher die Wahrscheinlichkeit geringer, dass er aufgeht."

Aber ist das nicht eine sehr akademische Frage - alles auf eine einzige Palmenart unter vielen - und auf den Schwarzschnabel-Tukan in dieser Masse von Tropenvögeln zuzuspitzen? Biologe Galetti, der auf der ganzen Erde entsprechende Forschungen betrieben hat, widerspricht vehement.

"Im Atlantikwald gibt es rund 2500 Baumarten - neunzig Prozent davon brauchen Tiere zur Samenverbreitung, brauchen Vögel und sogar Affen. Gewächse hatten zu allen Zeiten bestimmte Strategien, um Tiere zwecks Samenverbreitung anzulocken - von den Dinosauriern bis heute. Millionen von Jahren bestand daher ein biologisches Gleichgewicht zwischen dem Tukan und der Jussarapalme.

Erst seit etwa zweihundert Jahren hat der Mensch negativ eingegriffen, Wälder vernichtet, den Früchte liebenden Tukanen den Lebensraum zerstört, damit eine evolutive Veränderung der Palme bewirkt und sie in ihrer Fortexistenz bedroht. Alle jüngeren Palmenwälder dürften den Klimawandel nicht überstehen, weil sie aus kleinen Samen sind."

Das Gleichgewicht zwischen Palme und Tukan ist zerstört
Und damit bekommt die von einem Forscherteam unter Leitung von Dr. Mauro Galetti erarbeitete Studie erhebliche politisch-wirtschaftliche Bedeutung, zumal in Afrika, Asien und Australien sehr ähnliche Prozesse ablaufen. Galetti fragt sich natürlich nicht als einziger, ob vielleicht Wege existieren, das Desaster zu stoppen, gar rückgängig zu machen.

Recht armselige Sekundärwälder mit mickrigen Jussarapalmen hat er in Rio Claro gleich am Uni-Campus. Fast der ganze riesige Teilstaat Sao Paulo wurde der Zuckerrohr-Monokultur geopfert - auf der stundenlangen Fahrt von der Megacity bis nach Rio Claro sieht man keinen einzigen Vogel mehr. Die Landschaft ist sozusagen total vergiftet.

"Holen wir den Tukan hierher zurück, verbessert das nichts, da es ja keine großen Palmsamen mehr gibt. Man müsste also zuerst Palmen aus Regionen, in denen noch große Samen gebildet werden, dorthin umpflanzen, wo diese Palmen bereits fehlen. Eine entsprechende Wiederaufforstung müsste Hand in Hand gehen mit der Wiederansiedlung auch größerer Tiere wie der Tukane. Und das ist superkompliziert! Tukane nisten nur in Baumhöhlen, die sich durch Nistkästen ersetzen ließen. Niemand dürfte mehr Tukane abschießen."

Eigentlich müssten Brasiliens Politiker mit einem Sofortprogramm auf die Studie reagieren - und überall dort in Brasilien, wo das biologische Gleichgewicht zwischen Palme und Tukan noch existiert, den totalen Schutz dieser Naturinseln garantieren. Doch der Wissenschaftler ist skeptisch.

"Einige Naturschutzgebiete könnten solche Inseln sein, die größer werden - doch ausgerechnet dort werden derzeit Tukane viel gejagt. Das Umweltbewusstsein ist gleich null."

Mehr als einhundert Wissenschaftler aus der ganzen Welt, darunter aus Deutschland, haben sofort auf die Studie reagiert - der Nachweis so rascher evolutiver Veränderungen an einer wichtigen Baumart alarmiert auch Naturschützer. Im Grunde wäre jetzt politischer Druck aus aller Welt nötig, meint Dr. Galetti in Rio Claro. Doch davon ist nichts zu spüren.
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