"Die Orestie" von Aischylos in Hamburg

Maskerade mit fatalem Spaß-Faktor

Der Regisseur Ersan Mondtag
Regisseur Ersan Mondtag hat am Thalia in Hamburg "Die Orestie" inszeniert. © dpa/ picture alliance/ Sören Stache
Von Michael Laages · 21.10.2017
Ersan Mondtag arbeitet weiter am Bild der Antike. In seiner Inszenierung der "Orestie" des Aischylos am Thalia Theater Hamburg trägt das Ensemble Rattenmasken: Die spaßige Verkleidung entfaltet eine verhängnisvolle Wirkung, urteilt unser Rezensent.
Die Ratten sind los. Jeder und jede auf der Bühne trägt wie sie eine spitze Nasenmaske, aus der gewaltige Haare hervor wachsen. Und durch bunte, runde Sonnenbrillengläser blinzeln sie auch – was wie das Zitat aus einem Comic aussieht, wird in Ersan Mondtags Hamburger Fassung der "Orestie" des Aischylos zum zentralen Bild-Motiv eines in mancherlei Hinsicht erstaunlichen Abends.
So ein Bild prägt. Und zwar gerade weil der Regisseur im übrigen tatsächlich die ganze Geschichte erzählen will. Er konnte ja auch schon ganz anders. Diese "Orestie" wirkt zunächst, als sei sie ernst gemeint.

Siebenköpfiges Ensemble auf kleiner Drehbühne

Auf einer kleinen Drehbühne erstarrt wie im Antiken-Museum, beginnt das siebenköpfige Ensemble vom Fluch zu berichten, der auf der Familie von Urvater Atreus liegt - und es erzählt fast so, wie es geschrieben steht in der Übertragung von Walter Jens.
Im Schnelldurchlauf: Atreus mordete die Kinder des Bruders Thyestes und setze sie ihm als Festmahl vor. Darum hat jetzt Aigisth, noch ein Nachfahr des Thyestes, dem Atreus-Sohn Agamemnon die Gattin Klytemnästra ausgespannt und ermordet den heimkehrenden Feldherrn, der in Troja auch darum siegte, weil er vor Kriegsbeginn (und gegen die Willen der Gattin) die Tochter Iphigenie opferte auf göttlichen Befehl hin. Orest, Agamemnons exilierter Sohn, mordet darum (mit Hilfe von Schwester Elektra) Aigisth und die Mutter. Rache um Rache also – und das heißt in dieser Aufführung: Ratte um Ratte.

Gemetzel hinter Mietshausfenstern

Hinter den sieben Solisten betrachtet und kommentiert ein singender Chor von den Etagen einer Galerie herab das Geschehen. Wenn sich die Halbrund-Konstruktion von Paula Wellmann dreht, zeigen sich Fenster eines Mietshauses, auch Balkons mit Blumenkästen dran - eine Biederbürgerwelt von heute. Das Mord-Gemetzel am Aigisth findet hinter Mietshausfenstern statt – das sieht ein wenig nach Kasperltheater aus und ist wohl auch so gemeint.
Wie überhaupt die kraftvoll konzipierte Inszenierung recht bald schon einen Knacks bekommt – und auch die Grundentscheidung für die Ratten-Maskerade ist schuld daran.
So unangestrengt heiter jedenfalls mag lange keine "Orestie" mehr gewesen sein. Wer tagein-tagaus gewöhnt wird an Oberfläche und Entertainment (und das ist in einem Hamburger Premierenpublikum nicht anders als im Rest der Fernsehwelt), findet Ratten mit Sonnenbrillen zunächst mal lustig. Und wo eigentlich tragische Verstrickung herrscht im Rattenfass der Rachegeister, macht Amüsement sich breit wie bei Bolle auf dem Milchwagen ... erst recht im zweiten Teil, wenn Elektra ins Spiel kommt: Hier ein Mann mit vier riesigen Zöpfen, die ihn weniger zur geschundenen Tochter machen als vielmehr zur eher albernen Travestie. Sie (oder er) ist sozusagen der Brüller des Abends.

Beträchtlicher Ironie-und Spaß-Faktor

Und auch beim Rest der Spieler wuchert der Ironie-und Spaß-Faktor beträchtlich; Unernst macht sich breit und breiter. Und er verdeckt viel. Mondtags Inszenierung liefert kein Motiv dafür, nur die Wirkung. Und die ist fatal.
Immerhin wird doch am Ende, bei den "Eumeniden", eine Art Demokratie erfunden; das Volk soll von nun an anstelle wie bisher der Götter über Unrecht und Recht entscheiden, in diesem Fall über Schuld oder Unschuld des Muttermörders Orest. Aber auch das ist nur Schein-Demokratie – wir, das Publikum, werden zwar beinahe auch gefragt (wie beim Urteil über den "Terror" wie bei Ferdinand von Schirach!), und der Chor sowieso; aber bei Stimmengleichheit entscheidet immer noch das Gottesurteil der Zeus-Tochter Athene ...
Viele starke Spuren legt Mondtag aus mit dieser Hamburger "Orestie". Der Berliner Schlagzeuger und Komponist Max Andrzejewski hat auch eindrückliche Musik geschrieben für den Chor und ein Bläserquartett. Das Ensemble erkämpft sich das Maximum an Energie – und nur die so permanente wie penetrante Leichtigkeit im Bild der Ratten steht einem großen Theaterabend im Wege.

Die Orestie
Von Aischylos
Regie: Ersan Mondtag
Premiere am 21. Oktober im Thalia Theater Hamburg

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