"Die Nationale Akademie ist der Club der Besten"

Moderation: Jürgen König · 09.07.2008
Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) hat die Ernennung der Naturforscher-Akademie Leopoldina in Halle zur Nationalen Akademie der Wissenschaften verteidigt. Es müsse eine wissenschaftliche Institution geben, die vorrangig für die Beratung der Politik zuständig sei und "den Auftrag der internationalen Repräsentanz" habe, sagte Schavan. Das gelte besonders für internationale Fragen wie den Klimaschutz und die Energieversorgung.
Jürgen König: Am nächsten Montag wird die "Leopoldina" in Halle an der Saale offiziell ernannt zur "Nationalen Akademie der Wissenschaften", und es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass es vor allem die Initiative von CDU-Bundesbildungsministerin Annette Schavan war, der die "Leopoldina" diese Ehre verdankt. (…) Am Telefon ist die Bundesbildungsministerin Dr. Annette Schavan. Guten Morgen, Frau Schavan!

Annette Schavan: Guten Morgen, Herr König!

König: Deutschlands neue Denkschmiede soll die Leopoldina sein, eine "Nationale Akademie mit internationale Strahlkraft". Was genau meinen Sie damit?

Schavan: Politik braucht heute das Wissen der Wissenschaft. Nationale Akademien gibt es in vielen Ländern. In Deutschland ist lange diskutiert worden angesichts vieler Länderakademien, wie wir die Politikberatung koordinieren, wie Deutschland international vertreten sein soll. Das wird künftig die Nationale Akademie tun. Sie trägt dazu bei, dass Politik bei den großen Fragen der Zeit wirklich wissensbasiert berät und entscheidet.

König: Wenn Sie beraten zum Beispiel über schwierige Themen wie Klimawandel, Gentechnik, Energiepolitik, nehmen wir letzteres Thema und konkret die aktuelle Frage des Ausstiegs aus der Atomenergie. In der Akademie wird es Gegner und Befürworter der Atomkraft geben. Wie kann sie mit einer Stimme beraten?

Schavan: Nun, die Akademie hat schon in der Vergangenheit zum Beispiel zur Vorbereitung von G8-Gipfeltreffen Stellungnahmen abgegeben zur Energieversorgung, zum Klimawandel. Die Frage, wie am Ende entschieden wird, ist natürlich Sache der Politik. Aber die Aufgabe der Wissenschaft ist, plausibel darzulegen, wie wird der Klimawandel unter welchen Voraussetzungen sich entwickeln. Da haben wir ein gutes Beispiel mit dem Weltklimabericht. Das ist ein Dokument der Wissenschaft. Und sie wird Stellungnahmen abgeben zur Frage, was ist im Energiemix von welcher Bedeutung, welche Rolle spielt diese und jene Energiequelle. Und dann bleibt natürlich Aufgabe der Politik, das kann nicht die Wissenschaft, zu entscheiden, welche Szenarien tatsächlich weiterverfolgt werden.

König: Gut, aber wenn 1300 Wissenschaftler sich dazu einigen zu sagen, der Ausstieg aus der Atomenergie ist richtig, dann hätte das ja schon ein großes Gewicht?

Schavan: Mir ist aber nicht bekannt, dass es gleichsam als die Stimme der Wissenschaft eine solche Aussage bislang gäbe...

König: Nein, nein. Ich habe nur spekuliert.

Schavan: … sondern immer wieder ist von der Wissenschaft zu hören, dass der Energiemix möglichst breit sein soll. Und was die Kernenergie angeht, so sagen ja eigentlich alle, dass sie niemandes Wunschenergiequelle ist und dass wir um die Risiken wissen. Das heißt, wir konzentrieren uns ja auch gerade mithilfe wissenschaftlicher Erkenntnis, technologischer Grundlagen auf erneuerbare Energien, auf mehr Energieeffizienz. Aber auch dazu muss die Frage beantwortet werden, wie erreichen wir den Anteil an erneuerbarer Energie, den wir brauchen, wie erreichen wir mehr Energieeffizienz.

König: 1300 Wissenschaftler aus 30 Ländern. Wer wacht über die Aufnahme neuer Mitglieder?

Schavan: Das ist Sache der Akademie. Die Nationale Akademie ist, wenn Sie so wollen, der Club der Besten. Sie haben es eben gesagt, 1300 Mitglieder, darunter übrigens ein hoher Anteil ausländischer Wissenschaftler. Sie ist schon jetzt eine internationale Wissenschaftlergemeinschaft.

König: Lassen Sie uns kurz auf die Widerstände eingehen, die es monatelang gegeben hat. Der Wissenschaftsrat etwa, Beratungsgremium des Bundes und der Länder, der hat immer die Neugründung einer Nationalen Akademie empfohlen, eine flexible Arbeitsgruppen-Akademie solle das sein. Die bloße Zusammenführung bestehender Akademien unter dem Dach einer Gelehrten-Sozietät, das sei keine adäquate Lösung. Oder Ernst-Ludwig Winnacker, damaliger Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft meinte, eine Stimme der Wissenschaft könne es gar nicht geben. Das sei ein "Seniorenwolkenkuckucksheim der Altvorderen" auch bei den Länderakademien. Auch unter den Wissenschaftsministern der Länder regte sich hier und da Unmut. Was ist aus all dem Widerstand geworden?

<im_6248>Leopoldina</im_6248>Schavan: Darüber ist ja ausführlich diskutiert worden, sowohl der Wissenschaftsrat als auch Prof. Winnacker begrüßen die jetzige Lösung, denn sie verbindet beides. Wir brauchen keine neue Institution, gleichwohl ein flexibles Instrument. Denn wir haben mit der Akademie der Technikwissenschaften oder mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie zwei Institutionen, die eng mit der Leopoldina zusammenarbeiten werden. Die AkaTech mit dem Schwerpunkt eben der Technikwissenschaft, die Berlin-Brandenburgische Akademie mit dem Schwerpunkt bei den Geisteswissenschaften. Das heißt, die Leopoldina wird nicht nur auf die eigenen Mitglieder zurückgreifen, wenn es um Expertisen geht, sondern ihre Aufgabe ist auch, zu koordinieren, das heißt Sachverstand aus anderen Akademien zusammenzubringen, je nach Thema.

Was die Länderminister angeht, so war lange Zeit die Befürchtung, dass mit einer nationalen Akademie die Bedeutung der Länderakademien reduziert werden könnte. Aber mittlerweile ist klar, auch hier gilt erstens eine sehr starke Verschränkung. Zwei Drittel aller Mitglieder der Leopoldina sind auch Mitglieder der Landesakademien. Sie stehen selbstverständlich als Sachverständige zur Verfügung. Und die Länderakademien haben ja über das, was Nationale Akademien ausmacht, vor allem die Aufgabe der Grundlagenforschung im Bereich der Geisteswissenschaften.

König: Auch wenn man sagt, die Leopoldina als eine Stimme der deutschen Wissenschaft im europäischen Konzert, dann fallen einem auch die Max-Planck-Gesellschaft und die Helmholtz-Gemeinschaft, deren gute Kontakte der vergangenen Jahrzehnte werden fortbestehen. Gibt es nicht dennoch immer noch Leute, die sagen, wozu brauchen wir diese Nationale Akademie, wenn zumal, wie Sie sagen, viele deren Mitglieder auch in anderen Wissenschaftsorganisationen beheimatet sind?

Schavan: Da ist die Situation nicht anders als auch in anderen Ländern. Auch da gibt es nicht nur eine Organisation. Max-Planck, Helmholtz, Fraunhofer - sie sind ja auch jetzt schon im internationalen Gespräch. Aber am Ende ist es, wenn ich etwa den Bezug noch einmal zum G8-Gipfel, zur politischen Bühne ziehe, dann so, dass eine Institution da sein muss, die den Auftrag der internationalen Repräsentanz bei der Politikberatung hat. Gemeinsam haben all diese Organisationen, dass darin geforscht wird, und spezifische Aufgabe der Leopoldina wird eben sein, den jeweils besten Sachverstand zusammenzubringen, natürlich auch auf Wissenschaftler zurückzugreifen, die im Zweifelsfall in einer unserer Forschungsorganisationen tätig sind.

König: Das heißt, Sie haben das Gefühl, dass die Nationale Akademie der Wissenschaften heute von der deutschen Wissenschaft getragen wird?

Schavan: So ist es. Die Allianz der Forschungsorganisationen hat ausdrücklich die Entscheidung begrüßt. Sie hat sie übrigens seit Ende der 80er Jahre immer wieder gefordert. Damals war es so, dass die Allianz, ich glaube, 1991 die erste Gruppe war, die einen solchen Vorschlag gemacht hat. Wir haben ihn jetzt aufgegriffen und der ist in allen Forschungsorganisationen akzeptiert.

König: Dann wünsche ich gutes Gelingen! Die Leopoldina in Halle an der Saale formiert sich zur Nationalen Akademie der Wissenschaften. Ein Gespräch mit Bundesbildungsministerin Dr. Annette Schavan von der CDU. Frau Schavan, vielen Dank!

Schavan: Bitte schön!