"Die Nacht von St. Valentin" in Hamburg

Der Fall Pistorius: dreimal sterben

Paralympics-Star Oscar Pistorius bei der Urteilsverkündung in Pretoria
Paralympics-Star Oscar Pistorius bei der Urteilsverkündung in Pretoria © dpa / picture alliance / Herman Verwey/Pool
Von Michael Laages · 17.09.2017
Vor vier Jahren erschoss der südafrikanische Sprintstar Oscar Pistorius am Valentinstag die eigene Freundin. Regisseur Mpumelelo Paul Grootboom nimmt den Fall als Ausgangspunkt für einen ganz ähnlichen Fall – mit insgesamt drei Versionen.
Da ist ein neuer Autor zu entdecken für heimische Theater-Repertoire. Stücke des Dramatikers Mpumelelo Paul Grootboom, aufgewachsen in den Townships von Südafrika, waren bislang auf internationalen Festivals auch in Deutschland zu erleben, zuletzt "Out in Africa" beim den Ruhrfestspielen dieses Frühsommers in Recklinghausen. Jetzt hat das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg die neue Spielzeit auch mit einem Text von Grootboom eröffnet.
Demnächst folgt das Theater Freiburg mit "Cruderland", noch einem Grootboom. In Hamburg jetzt konnte es nach dem donnernden Desaster der Intendantin Karin Beier mit "Tartare Noir", einer Theater-Fantasie über den Gruselfilm "Delicatessen", nur besser werden mit dem südafrikanischen Autor.
Und viel war zu spekulieren – würde Grootboom tatsächlich den Fall des weltberühmten südafrikanischen Handicap-Sportlers Oscar Pistorius ins Zentrum einer Theater-Recherche stellen? Der hatte ja am Valentinstag im Februar vor vier Jahren die eigene Freundin erschossen und behauptet, er habe sie mit einem Einbrecher "verwechselt"; Pistorius ist weiterhin in südafrikanischer Haft, das Urteil war umstritten und galt als mild.

Text: ruppig und grob, Dramaturgie: etwas wirr

Grootboom forscht aber nicht weiter am realen Fall – er nutzt nur die Konstellation für eine eigene Geschichte: um einen Top-Sportler aus bester weißer Buren-Gesellschaft, das weiße Opfer und beider Familien; um eine schwarze Oberstaatsanwältin, die letztlich darin gehindert wird, den Fall anzuklagen … von allerhöchster Stelle: Weiße Strippenzieher haben die schwarzen Autoritäten gekauft.
Von den ästhetischen Strategien des "film noir" spricht Grootboom gern – dorthin führt vor allem die schattenreiche Wohnzimmer-Bühne von Katrin Kersten, mit Zeugen-Aussagen im Video. Drei Versionen des Falles spielt das Stück durch, etwa wie bei "Dreimal Leben" von Yasmina Reza - hier also dreimal Sterben.
Die Familie des Täters und die des Opfers stellen die Valentinsnacht dar; ein sonderbarer Kommissar untersucht und destilliert die dritte Version. Aber auch die bleibt ohne Beweis. Die Oberstaatsanwältin klärt derweil eigene Beziehungsprobleme mit einem weißen Kirchenmann – hier findet die einzige Versöhnung des Stückes statt.
Ruppig und grob ist der Text, ein bisschen wirr die Dramaturgie der verschiedenen Nebenkriegsschauplätze; den unverminderten Hass der weißen Minderheit auf die schwarze Mehrheit aber stellt Grootboom knallhart aus. Als Regisseur fällt der Autor eher sonderbare Entscheidungen; sie treiben die Inszenierung oft in die Farce – es darf gelacht werden am schwarzen Boulevard; speziell über den erstaunlicherweiser weiblichen Ermittler (Anja Lais), eine Kreuzung aus Inspektor Clouseau und Kommissar Jensen, wie er die Olsenbande jagt …

Wirklich abgründig wird der Abend nie

Auch das Perückenspiel von Samuel Weiss (in den Rollen beider Väter und des Verlobten der Oberstaatsanwältin) hat großen Unterhaltungswert. Die Mehrfach-Besetzungen (auch Josefine Israel als Opfer und Zwillingsschwester und Thelma Buabeng als verhinderte Anklägerin und schwarze Erpresserin) funktionieren generell gut. Einzig Maximilian Scheidt als Ekelpaket von Mörder darf (neben der Kommissarin) immer ganz bei sich bleiben.
Aber wirklich abgründig wird der Abend nie. Vor allem findet er trotz vieler finstrer Tiraden kein dramatisches Bild für den anhaltenden Rassenhass – nur im Programmheft: mit einem Monolog über die Wagenburg- oder "Laager"-Mentalität des weißen Südafrika. Warum der Text nicht im Stück vorkommt – keine Ahnung.
Grootboom antwortet auf das Pistorius-Rätsel mit einem eigenen. Mehr politische Analyse, mehr Gefühl von Gesellschaft hätte nicht geschadet.