Die Moritat von der CSU

Von Peter Lange, Chefredakteur Deutschlandradio Kultur · 02.10.2008
Es war einmal ein wohlhabendes Land im Süden, das wurde von einem fähigen Regenten geführt. Gleichwohl gab es Gemurre, als seine Amtszeit immer länger dauerte und die Erben immer ungeduldiger wurden. Zwei von ihnen, enge Gefolgsleute des Regenten, machten sich das irgendwann zu Nutze, um ihn zu stürzen.
Aber sie wurden ihrer neuen Macht nicht glücklich, denn das Volk wurde immer unzufriedener und fegte schließlich die Verschwörer hinweg. Und der alte Regent übernahm wieder die Führung … nein, Unsinn, so wird die Moritat über die CSU natürlich nicht enden. Es gibt kein Happyend.

Aber was das Publikum selbstverständlich fasziniert, dass in diesem Stück, das da heißt: der Niedergang der CSU, dass in diesem Stück alle archetypischen Figuren aufzufinden sind, die das klassische Theater bis heute interessant machen: Held, Verräter, Schurke, zerrissene Schwache, Zauderer, Erlöser – und das Volk als schicksalhafte Macht.

So verführerisch dieser Blick auf die bayerische Bühne auch ist, so sehr es in der CSU auch zugeht "wia im richtign Leben" – der Blick hinter die Bühne ist mindestens ebenso interessant. Denn was ist die Moral der Geschicht?

Als erstes: Wähler, verschone Deine Partei mit satten absoluten Mehrheiten. Im Triumph von vor vier Jahren – 60 Prozent für die CSU mit einer Zweidrittelmehrheit der Mandate – in diesem Triumph lag schon der Keim des Niedergangs. Rabiates Durchregieren ohne vermittelnde Kommunikation – das macht auch die rebellisch, die gestern noch loyal zugestimmt haben. Denn so haben wir nicht gewettet. Und wenn Edmund Stoiber in einem ganz bestimmten Moment der Versuchung widerstanden hätte, auch noch die ganze kommende Wahlperiode für sich zu reklamieren – wer weiß, wo und wie die CSU da stehen würde. So aber nahm die Sache ihren Lauf, wie bei einem Schachspiel, in dem nach einem gravierenden Fehler zwangsläufig weitere Fehler folgen.

Und als Zweites: Dass ein protestantischer Franke einmal in Bayern regieren durfte, bleibt vielleicht eine historische Fußnote. Jedenfalls kann das Interregnum von Günther Beckstein nun nicht mehr als Beleg dafür herangezogen werden, dass landsmannschaftliche Bindungen überholt sind und in Bayern an Wirkungsmacht verloren haben. Eher trifft das Gegenteil zu: Dass sich der heftigste Konflikt um die Nachfolge nun so deutlich entlang der Stammesgrenzen von Ober- und Niederbayern, von Franken und Bayerischen Schwaben verorten lässt, das mutet für das doch ach so fortschrittliche Bayern auf seltsame Weise anachronistisch an. Wir lernen daraus: Mit der bayerischen Identität ist es offenbar doch nicht so weit her. Und für die Parteien aller anderen Bundesländer gilt: Ob Rheinländer und Westfalen, Badener oder Württemberger oder Pfälzer: Unterschätzt nicht die landsmannschaftliche Identität. Die wirkt in Zeiten allgemeiner wirtschaftlicher Verunsicherung vielleicht stärker, als ihr Euch vorstellen könnt.

Bleibt die Frage, ob sich die CSU von dieser Woche jemals wieder erholen kann. Das hängt zum einen von der Partei selbst ab: Auch wenn der Regierungschef in München weiter von der CSU gestellt wird – mit dem Machtverlust, der sich in der notwendigen Koalition ausdrückt, muss sie erst einmal umzugehen lernen, das kann dauern. Zum anderen Teil steckt die CSU in einem Dilemma, das zuletzt an der SPD in Nordrhein-Westfalen zu beobachten war: Die hatte nach dem Verlust der absoluten Mehrheit unter Johannes Rau ja auch die Talsohle noch längst nicht durchschritten. Denn wenn Parteipolitik pur wegen Machtteilung nicht mehr geht, macht das die verbliebenen Anhänger nicht zufriedener. Es spricht also einiges dafür, dass der Erosionsprozess mit der Klärung der Personalfragen noch längst nicht gestoppt ist. Die CSU hat eine lange Durststrecke vor sich; viel Geduld und ein wenig Demut könnten dabei nicht schaden.