Die moderne Diktatur in Aserbaidschan

Von Christina Nagel · 27.06.2011
Die Regierung um Präsident Alijew führt Aserbaidschan mit harter Hand in einem Regime gegründet auf Personenkult, Vetternwirtschaft, Petrodollars und hartem Vorgehen gegen jegliche Opposition. Der Westen schaut weg. Denn das Land spielt eine Schlüsselrolle beim Bau der Gas-Pipeline "Nabucco".
Für Ell und Nikki ist es der letzte Termin am Ende eines langen Tages. Seit sie den Eurovision Song Contest in Düsseldorf gewonnen haben, sind sie auf Tour quer durch Europa. Eben noch Deutschland, jetzt eine kurze Stippvisite zuhause, in Baku. Unermüdlich rühren die beiden die Werbetrommel – weniger für sich, als für Aserbaidschan:

"Wir haben endlich die Möglichkeit zu zeigen, wo sich Aserbaidschan befindet. Können es auf der Karte zeigen und sagen: 'Hey Leute – hier ist es.'"

Ell stellt sein Weinglas ab, tippt mit dem Finger in die Luft. Und grinst breit. Anderen ist in Sachen Erdkunde das Lachen mittlerweile vergangen. Der sonst so besonnene Vorsitzende des Komitees für internationale Beziehungen, Samad Seyidov, ist es leid, dass Aserbaidschan seit Beginn des arabischen Frühlings ständig in die Nähe von Ägypten, Libyen oder Syrien gerückt wird. Nicht nur geographisch lägen Welten zwischen Aserbaidschan und diesen Ländern:

"Immer wieder werden diese künstliche Vergleiche gezogen. Die Unfreiheit in den arabischen Ländern, von denen einige Diktaturen waren, wird mit einem Staat verglichen, der ein europäisches Regierungssystem hat und der vollberechtigtes Mitglied des Europarates ist. Ein solcher Vergleich ist doch unlogisch. Auch wenn wir natürlich Probleme haben."

Der weltgewandte Politiker und Psychologe beherrscht das große Einmaleins politischer PR, weshalb er offen über Korruption, Menschenrechtsverletzungen oder Probleme mit der Opposition spricht. Aserbaidschan sei kein Paradies, betont er. Aber eben auch kein Monster. Westlichen Politikern, aber auch Journalisten wirft er vor, mit zweierlei Maß zu messen:

"Wie kann das sein?! Es gibt Gesetzesverletzungen in Aserbaidschan, aber auch in Armenien und in Georgien. Aber nur in Aserbaidschan werden diese Verletzungen untersucht, analysiert und anschließend wird eine Resolution verabschiedet. In den anderen Staaten aber nicht!"

Das gelte auch für die Bewertung von Wahlen. In Aserbaidschan würden Wahlen grundsätzlich als nicht frei, nicht fair und nicht demokratisch angesehen. Wenn aber in Georgien der Präsident 93,3 Prozent der Stimmen erhalte, hinterfrage das niemand im Westen.

Aserbaidschans Regierungsvertreter fühlen sich zu Unrecht in die politische Schmuddelecke abgeschoben. Man baue eine demokratische Gesellschaft auf, das gehe aber eben nicht von heute auf morgen. Vieles laufe bereits gut – und einiges sogar besser als in Europa. Zum Beispiel das Zusammenspiel von Islam und Demokratie:

"95 Prozent der aserbaidschanische Bevölkerung sind Muslime. Die Zahl der Frauen, die ein Kopftuch tragen, die in die Moschee gehen, ist hier kleiner als in Holland. Warum? Weil wir aus der Geschichte heraus wissen, was wichtig ist, worauf man wert legen muss und worauf nicht."

Jeder nach seiner Facon. Das ist offensichtlich auch das Motto auf den Straßen der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku. Es herrscht eine zwanglose Atmosphäre. Keine schiefen Blicken, wenn jemand abends in einem Lokal ein Bier bestellt. Oder junge Damen im Minirock, mit offenen Haaren auf der Promenade auf und ab stöckeln. Großfamilien, verliebte Paare und Teenager flanieren, wenn die Luft ein bisschen lauer geworden ist, einträchtig unter den Palmen am Meer entlang. Vorbei an den zahllosen, bunt beleuchteten Springbrunnen.

Sehen und gesehen werden – das ist auch die Devise in den zahllosen Bars und Clubs der Stadt, in denen, wer Geld hat, die Nacht zum Tag machen kann. Es gibt einen bunten Mix aus dem Kaukasus, Zentralasien und Europa - bei der Musik, dem Design, dem Essen und den Getränken. Da heißt der Cocktail eben Caspian Sex on the Beach – und besticht durch süßen Granatapfelsaft im Alkohol-Gemisch.

"Bei uns gab es die erste Oper im Osten, das erste Ballet und die erste Jazz-Band. Kein Politiker, ob aus einer oppositionellen oder der regierenden Partei – kann das ändern. Diese Richtung wurde von unserem Volk vor 100 Jahren - 1920 – gewählt. Mit der der ersten Republik. Dieselbe Fahne weht jetzt wieder. Wir haben eine östliche Mentalität und den festen Wunsch, den westlichen, europäischen Weg zu gehen."

Hatte Samad Seyidov zuvor ein bisschen pathetisch erklärt und auf die riesige Flagge verwiesen, die über dem Hafen weht.

Architektonisch zumindest harmonieren in Baku Ost und West, Vergangenheit und Gegenwart gut miteinander. Gläserne Wolkenkratzer stehen neben traditionellen Moscheen. Aufwändig restaurierte klassizistische Gebäude wetteifern mit Jugendstilornamenten benachbarter Häuser. Spartanisch eingerichtete Designer-Boutiquen konkurrieren mit voll gehängten Teppich-Geschäften, um die Gunst potentieller Käufer. Über der Einkaufsstraße prangen riesige Kronleuchter. Es ist Geld in diese Stadt gesteckt worden. Das ist offensichtlich. Petrodollars, die die Gas- und Ölvorkommen unter dem Kaspischen Meer dem Land bescheren. Aber die Menschen in Baku kümmern sich auch um ihre Stadt.

Die Bewohner der UNESCO-geschützten Altstadt, Icherisheher, sind sogar in die Pflege ihres Viertels eingebunden. Blumenkübel werden dort aufgestellt, wo sich Menschen finden, die sich um die Pflanzen kümmern. Das Viertel verwaltet sich selbst. Man gehe einen für die UNESCO neuen Weg, erklärt Direktor Michail Jabbarov:

"Menschen im 21. Jahrhundert kann man nicht zwingen, wie im 15. oder 18. Jahrhundert zu leben. Eine Stadt ist ein lebendiger Organismus. Deshalb mussten wir einen Weg finden, wie man das Ganze erhalten und trotzdem weiter entwickeln kann."

Die so genannte Innere Stadt sollte nicht das Schicksal vieler historischer Altstädte teilen, die von belebten Wohnvierteln zu toten Museumsstätten wurden:

"Die Leute, die hier wohnen, sollten natürlich über die normale Infrastruktur verfügen können. Deshalb haben wir ein entsprechende Programm aufgelegt. Telefon, Internet, Gas und Strom, Kanalisation…"

4200 Menschen wohnen mitten zwischen alten kunstvoll verzierten Palästen, Museen und zu Restaurants umgebauten Karawansereien. Unter ihnen viele Künstler, die in den schmalen Gässchen ihre Ateliers haben. Bilder, Teppiche, Seidenschals, alte Samoware werden feilgeboten. Unaufgeregt. Unaufdringlich.

Auch kleine Hotels und Pensionen haben sich in der Altstadt angesiedelt. Die wenigen Zimmer in dieser Lage haben allerdings ihren Preis. Baku sei teuer, sagt der Regimekritiker Ilgar Mammadow. Nicht nur für die Touristen:

"In Aserbaidschan geben die Leute 80 Prozent ihres Gehalts für Lebensmittel aus. Sie können nichts sparen."

Bei umgerechnet 150 Euro liege der Durchschnittslohn. Mehr verdiene nur, wer zum System gehöre. Das sei durch und durch korrupt und dulde keine Kritik:

"Wer von der Regierung gekauft wurde, und dann meint, nach seinen eigenen Regeln spielen zu können, der landet sicher im Gefängnis. Es ist ein mafiöses System: bist du einmal gekauft, dann ist es für immer."

Mammadow gehört zu einer Gruppe junger Leute, die versucht, eine Opposition aufzubauen. Den Menschen politische Alternativen zum autoritären Regime des Präsidenten Alijew zu geben. Längst darf er in den Medien nicht mehr auftreten. Die Regierung versucht, ihn gesellschaftlich zu isolieren.

"Die Regierung blockt absolut jede ernst zunehmende, fundamentale Kritik an ihrem System ab. Es ist unmöglich, den Leuten Alternativen aufzuzeigen. Dafür wird aber in den staatlich kontrollierten Medien eifrig über Straßenaktionen der Opposition und Zusammenstöße berichtet. Die Regierung verbreitet Angst. Sie sagen den Leuten: Haltet den Mund! Sonst landet ihr im Gefängnis und nur noch die Menschenrechtler dieser Welt werden euch verteidigen, aber das interessiert uns nicht."

Basis-Freiheitsrechte gebe es durchaus im Land. Aber die schützten nur bedingt vor Willkür. Forderungen aus dem Westen, deshalb den Eurovision Song Contest im kommenden Jahr zu boykottieren, hält der junge Politiker für falsch. Das werde eher zu einer Abschottung des autoritären Regimes führen. Und sei zudem auch noch eine Strafe für das Volk, das sich auf den Contest freue. Mammadow hält es für keinen Zufall, dass zuletzt politische Gefangene begnadigt und freigelassen wurden. Unter ihnen auch der Journalist Fatullajew.

Der Song Contest sorge dafür, dass sich das Land positiv darstellen wolle. Dass es in dem muslimisch geprägten Land Probleme mit dem homosexuellen Publikum des Schlagerwettbewerbs geben könnte, halten Oppositionelle wie Regierungsvertreter für unwahrscheinlich. Der Botschafter Novruz Mammadow aus der Präsidenten-administration wittert bei dieser Frage gleich eine neue Schmutzkampagne gegen Aserbaidschan:

"Kaum haben unsere beiden gewonnen, dann wird schon diese Frage aufgeworfen! Warum?? Gab’s schon mal Probleme? Ich kann das nicht verstehen! Aus Nichts wird ein Problem gemacht!"

Sein Kollege Elnur Aslanow ergänzt:

"Wir haben hier ein Travestietheater, es gibt Go-Go-Shows. Das ist Teil der aserbaidschanischen Gesellschaft. Hier ist im Mai 2012 jeder willkommen, ungeachtet der Nationalität, der Religion und unabhängig von seiner sexuellen Einstellung."

Daran, dass Aserbaidschan genügend Geld, Kapazitäten, Leute und die richtige Einstellung hat, um ein großes, europäisches Musikfest auf die Beine zu stellen, zweifelt der Abgeordnete Asim Molladze von der Demokratischen Partei nicht. Trotzdem seien die kritischen Anmerkungen aus dem Westen ja nicht aus der Luft gegriffen.

"Auch wenn ich unsere Toleranz gegenüber anderen Völkern und Religionen lobe, wir müssen endlich auch zu einer politischen Toleranz finden. Wir brauchen soziale Verantwortung. Hier halten sich regionale Bonzen für kleine Könige, die wie im Mittelalter herrschen. Sie glauben, wenn sie einem Journalisten das Maul stopfen, ist auch das Problem gelöst. Aber so einfach ist es nicht."

Das Land müsse endlich ent-sowjetisiert werden, meint er. Die alten Verwaltungsstrukturen müssten erneuert werden. Damit sich das Land entwickeln könne. Dazu brauche man fähige junge Leute. Mit Hilfe eines Fonds, der aus den Gewinnen der Öl- und Gasverkäufe gespeist wird, wurde ein Stipendienprogramm für Studenten aufgelegt. Es ermöglicht ausgewählten, loyalen jungen Leuten Studien im Ausland. Als Gegenleistung verpflichten sie sich, nach Abschluss des Studiums fünf Jahre lang in Aserbaidschan zu leben und zu arbeiten. Ziel sei es aus dem vergänglichen Schwarzen Gold größtmöglichen Nutzen für das Land und damit die kommenden Generationen zu ziehen, erklärt Shamar Movsumov vom staatlichen Öl-Fonds:

"Der einzige Weg den Reichtum ans Volk weiterzugeben, ist, Jobs zu schaffen. Also guckst du, wie es mit Jobs bei deinem Champion aussieht, also der Ölwirtschaft. Du stellst fest, da läuft kaum was. Denn die Ölbranche ist Kapital intensiv, braucht aber nicht viele Menschen. Also musst du Bedingungen schaffen, damit andere Sektoren, der Privatsektor, sich entwickeln können. Dazu brauchst du eine vernünftige Infrastruktur. Du kannst nicht erwarten, dass jemand eine Firma im Nirgendwo baut, wo es keinen Strom, keine Straße, kein Wasser gibt. Das ist der Grund, warum wir so viel Geld in unsere Infrastruktur stecken."

Aserbaidschans Politiker betonen, dass sie mit ihren Rohstoff-Schätzen nachhaltig umgehen wollen. Die Wirtschaft soll langfristig von Öl- und Gas unabhängiger werden. Das Zauberwort heißt auch hier Diversifizierung und Modernisierung. Die Ziele seien ambitioniert, meint Movsumov. Aber wenn man die vergangenen 20 Jahre Revue passieren lasse, müsse man zugeben, dass Aserbaidschan eine Menge erreicht habe:

"Als die Sowjetunion zerfiel, war Aserbaidschan im Krieg mit Armenien. Mit der Folge, dass es einen Großteil seines Territoriums verlor und es eine Million Flüchtlinge gab. Zuhause gab es einen Bürgerkrieg. Das Land stand kurz vor dem Zusammenbruch. Wir sind mit alldem fertig geworden. In relativ kurzer Zeit. Dass wir die Probleme lösen konnten, verdanken wir unserem genialen Präsidenten Hejdar Alijew."

Dem Vater des amtierenden Präsidenten wird bis heute gehuldigt. Plakate mit seinem Konterfei hängen nicht nur in Baku, sondern überall im Land. Die Menschen sprechen mit Hochachtung von ihm. Sein Sohn, sagt der Regimekritiker Ilgar Mammadow, lebe dagegen in seiner ganz eigenen Welt. In der Realität zur Not passend gemacht werde. Als ihm jüngst im aserbaidschanischen Pavillon auf der Biennale in Venedig Skulpturen der Künstlerin Aidan Salachowa nicht gefielen, wurden diese erst verhüllt und dann entfernt.

Protest im Land blieb aus, die meisten hatten von dem Vorfall nichts mitbekommen. Nur der Westen sprach von Zensur. Ob das in zehn Jahren auch noch so sei, wisse er nicht, lächelt Mammadow:

"Zwei Wochen vor dem Ausbruch der arabischen Revolutionen hat niemand in den Botschaften etwas geahnt. Natürlich schaffen diese Entwicklungen neue Möglichkeiten."

Nikki und Ell, den beiden Eurovision-Song-Contest-Gewinnern aus Düsseldorf, ist das alles zu viel zu politisch. Sie wollen Europa zeigen, dass Baku eine quirlige, moderne Metropole ist, die zu Recht den Schlagerwettbewerb präsentiert. Ell breitet die Arme aus – als wolle er das Publikum schon jetzt direkt willkommen heißen:

"Man muss eigentlich kommen, da gibt es nichts zu reden. Man muss eigentlich kommen und mit seinen eigenen Augen sehen."

Baku will die Menschen mit seiner Weltoffenheit und seinem besonderen Flair für sich einnehmen. Und dem Westen demonstrieren, dass Aserbaidschan mehr zu bieten hat als Öl und Gas, einen explosiven Territorialkonflikt mit seinem Nachbarn Armenien und einen autoritär regierenden Präsidenten.