"Die Missionierungstendenz ist in China recht stark"

Katharina Wenzel-Teuber im Gespräch mit Philipp Gessler · 20.04.2013
Die Zahl der Katholiken in China steigt - nicht zuletzt, weil die Gläubigen vor Ort kräftig für ihre Kirche werben, wie die Sinologin Katharina Wenzel-Teuber erläutert. Vom neuen Papst erhofft man sich eine gewisse Chance auf Annäherung zwischen Religion und Staat.
Philipp Gessler: Mit der Sinologin Katharina Wenzel-Teuber vom China-Zentrum habe ich vor der Sendung gesprochen. Vor allem über die rund 12 Millionen Katholiken in China. Unter den 1,4 Milliarden Chinesen ist dies eine kleine Minderheit, aber eine aufstrebende. Allein zu Ostern dieses Jahres sollen in der Volksrepublik über 16.000 Menschen getauft worden sein, vor allem Erwachsene. Meine erste Frage an Frau Wenzel-Teuber war, ob angesichts solcher Zahlen China eine große Hoffnung für die katholische Kirche ist.

Katharina Wenzel-Teuber: Auf jeden Fall, würde ich sagen. Zwar sind die Katholiken nur eine kleine Minderheit in der chinesischen Bevölkerung, also vielleicht höchstens ein Prozent, aber absolut gesehen, sind es doch fast halb so viel Katholiken wie in Deutschland. Also, das ist dann doch keine so ganz klein Zahl. Und die chinesische Kirche ist an vielen Orten wirklich sehr lebendig. Das sind Menschen, die ihren Glauben auch engagiert leben und weitergeben möchten.

Gessler: Es gibt seit Jahrzehnten in China eine offizielle, die sogenannte patriotische Kirche, die de facto vom Staat gelenkt wird; es gibt dann die papsttreue Untergrundkirche, deren Mitglieder zum Teil noch verfolgt werden; und dann gibt es noch viele einfache Katholiken und Bischöfe, die irgendwie zu beiden Kirchen gehören. Aber beide, Untergrundkirche und offizielle Kirche, scheinen sich langsam doch anzunähern, oder?

Wenzel-Teuber: Ja, zum Glück gibt es eine Annäherung. Und man darf sich das ja auch nicht so vorstellen, dass sich da wirklich zwei Blöcke gegenüberstehen. Diese beiden Seiten sind untereinander auch sehr diffus und es gibt deutliche Teile innerhalb der offiziellen Kirche, die durchaus sehr papsttreu sind und auch bereit sind, Glaubensgrundsätze auch unter Druck zu verteidigen. Und auf der anderen Seite gibt es im Untergrund Teile, die durchaus Kooperation auch mit den lokalen Behörden haben und sich der offiziellen Kirche annähern. Also, die Situation ist sehr vielschichtig und auch von Ort zu Ort unterschiedlich.

Gessler: Es gibt auch sogenannte "Bischöfe" der Untergrundkirche, die ganz offiziell einen Bischofssitz haben oder eine große Kirche.

Wenzel-Teuber: Das gibt es auch, ja, also, die eben dann nicht vom Staat vielleicht nur als Priester anerkannt sind, aber nicht als Bischöfe, und die zwar dann offen da sind und Messe feiern und alles, aber eben ihr Bischofsamt nicht ausüben dürfen. Das heißt also, keine Priester weihen und niemanden firmen dürfen.

Gessler: Auf der anderen Seite gibt es Bischöfe der Untergrundkirche, etwa James Su Zhimin und Cosma Shi Enxiang, ich hoffe, ich spreche das richtig aus, die seit Jahren verschwunden sind. Gibt es denn Hinweise, ob sie überhaupt noch leben?

Wenzel-Teuber: Ja, man weiß wohl tatsächlich wohl nicht, wo sie sind. Der Bischof Su Zhimin, der inzwischen auch 80 Jahre alt ist, ist vor 15 Jahren verschwunden und wurde in dem ganzen Zeitraum nur einmal zufällig gesehen, 2003 in einem Krankenhaus, und die Familie, die wohl, wie man hört, regelmäßig bei der Polizei nach ihm fragt, erhält dann immer nur die Auskunft, dass man nicht weiß, wo er ist. Und ähnlich ist es auch mit dem Bischof Shi Enxiang. Der ist 2001 verschwunden.

Insgesamt gibt es wohl mindestens sechs Priester der Untergrundkirche, die längerfristig in Haft oder im Arbeitslager sind. Und von "Justitia et Pax" in Hongkong war vor einiger Zeit auch zu hören, also die haben auch berichtet über Fälle von Folter in Nord-?? [unverständlich, Anm. d. Red.], so was kommt wohl auch vor.

Gessler: Also Folter von katholischen Priestern.

Wenzel-Teuber: Von katholischen Priestern, die da in Haft waren, also, konkret wurde gesagt eben, mit glühenden Zigaretten zum Beispiel, also auf die Haut gedrückt, oder eine ganze Nacht lang irgendwo aufgehängt oder gezwungen, also bewegungslos über einen langen Zeitraum zu sitzen, über Tage. Was aber weniger bekannt ist, es gibt auch im Bereich der offiziellen Kirche Fälle von Freiheitsberaubung.

Der prominenteste Fall war in letzter Zeit der von dem Weihbischof Ma Daqin von Schanghai, der hat nach seiner Weihe, die ganz offiziell mit Erlaubnis des Papstes und Erlaubnis der Regierung stattfand, hat er gesagt, dass er aus der patriotischen Vereinigung, dieser staatlich sanktionierten Oberorganisation, die auch die Unabhängigkeit von Rom in ihren Statuten hat, dass er der nicht länger angehören kann oder möchte als Bischof. Und daraufhin wurde er direkt von den Behörden weggebracht und war dann in einem quasi Hausarrest im Priesterseminar der Diözese und sein Bischofsamt wurde ihm jetzt offiziell entzogen und die ganze Diözese ist sehr stark unter Druck.

Gessler: Und der Protest des Vatikan bringt da wenig?

Wenzel-Teuber: Der Vatikan protestiert natürlich, aber – ja, im Moment scheint das nicht so viel zu bringen. Also, die Beziehungen zwischen beiden Seiten sind seit Ende 2010 spätestens ziemlich angespannt.

Gessler: Nun hat ja der zurückgetretene Papst Benedikt XVI. vor fünf Jahren die Untergrundkirche und die offizielle patriotische Kirche zur Einheit aufgefordert. Das hat manche Priester und Gläubige verbittert. Warum denn eigentlich?

Wenzel-Teuber: Also Gläubige im Untergrund hatten zu Recht oder Unrecht zum Teil das Gefühl, dass ihr jahrzehntelanger kompromissloser Einsatz für den Papst und die Grundsätze der Kirche und ihre Leiden nicht mehr so gewürdigt werden. Also zum Beispiel wurden durch den Papstbrief von 2007 auch Privilegien aufgehoben, die die Untergrundkirche lange Zeit hatte, nämlich ein Privileg war, dass sie in ganz China unabhängig von dem Ortsbischof tätig sein dürfen.

Gessler: Warum ist es denn für die kommunistische Führung in China eigentlich so schwer zu ertragen, dass die katholischen Bischöfe und die einfachen Gläubigen auch papsttreu sein sollen oder wollen?

Wenzel-Teuber: Ja, die Regierung sieht da einen Loyalitätskonflikt. Also aus Sicht der Regierung muss unbedingt die Loyalität zum Land, und da ist eben gemeint, zum Staat und zur Partei an erster Stelle stehen. Und erst an zweiter Stelle darf dann die Loyalität zu einer Religion und zu einer religiösen Autorität kommen. Rom wiederum versucht darauf zu verweisen, dass das kein Gegensatz sei, weil ja der Papst nur eine geistliche und keine politische Autorität hätte und beansprucht. Aber das hat die chinesische Regierung bisher nicht beruhigen können.

Gessler: Könnte denn die katholische Kirche auch so ein Motor des Wandels sein wie zum Beispiel in der DDR Ende der 80er-Jahre?

Wenzel-Teuber: Ja, also auch in China hat man gesehen und darauf hingewiesen, dass Papst Johannes Paul II. zum Zusammenbruch des Kommunismus in Polen und im Ostblock beigetragen hat, aber für die katholische Kirche in China ist in dem Kontext so eine Angst eigentlich unsinnig, denn sie ist klein und ist auch insgesamt eher unpolitisch.

Aber natürlich kommen durch das Christentum auch neue Ideen ins Land, zum Beispiel nach dem Massaker auf dem Tien-an-Men-Platz 1989 haben Kreise unter den chinesischen Intellektuellen dann die Idee der Transzendenz im Christentum entdeckt, also das Prinzip, es gibt eine höhere Macht, der auch die weltliche Macht verantwortlich ist und auf die man sich notfalls, wenn diese Unrecht tut, berufen kann. Also solche Ideen haben natürlich dann schon eine politische Tragweite.

Gessler: Ist die katholische Kirche vor allem für die wachsende Mittelschicht in China attraktiv, weil es auch ein Ausdruck irgendwie westlichen Lebensstils ist?

Wenzel-Teuber: Das mag zum Teil eine gewisse Rolle spielen, zum Beispiel die Attraktivität des Weihnachtsfestes, also die auch sehr konsumorientiert ist, die hat sicherlich auch solche Wurzeln, aber ich denke, das geht im Grunde sehr viel tiefer. In der chinesischen Gesellschaft ist ein gewaltiger Wandel, und die Menschen sind durch diese großen Migrations- und Urbanisierungstendenzen und durch die Auflösung oder den Wandel von Groß- zu Kleinfamilie auch sehr entwurzelt und suchen nach neuen Formen, also suchen nach Halt. Und die christlichen Gemeinden, die sind eben sehr gemeinschaftsorientiert. Also, ich glaube, dieses Gemeinschaftliche ist in dem Zusammenhang sehr attraktiv. Auch natürlich gibt es eine Suche nach Werten. Auch da werden Menschen, viele Menschen bei den Religionen, nicht nur beim Christentum, auch beim Buddhismus zum Beispiel, fündig.

Gessler: Seit Mao dürfen ja ausländische Missionare in China nicht mehr tätig werden. Findet dennoch eine Missionierung statt, eine Neuevangelisierung?

Wenzel-Teuber: Oh ja. Die Missionierungstendenz ist in China sogar recht stark, und das sind eben die Chinesen selbst, die chinesischen, katholischen oder evangelischen Gläubigen selbst, die das in die Hand nehmen und da sehr kreativ sind. Jetzt aus dem Bereich der katholischen Kirche gibt es da ganz viele Formen. Wir haben gehört, auf dem Land ziehen in manchen Gegenden Katholiken mit Tanztruppen in die Nachbardörfer und machen da so eine Art Volksfest und laden dann – ja, und predigen dann auch.

Oder an vielen Orten wird das in China inzwischen auch einfach bekannte Weihnachtsfest genutzt, dass man eben nicht christliche Nachbarn und Freunde und Kollegen und überhaupt die ganze Umgebung einlädt zu Kulturabenden, wo man Programm bietet, aber auch was vom christlichen Glauben, vom Sinn des Weihnachtsfests erklärt.

Ja, viele Orte, auch in manchen Großstädten wie Peking haben die Diözesen Evangelisierungszentren, die sehr aktiv sind, wo Taufvorbereitungskurse mit vielen Teilnehmern, auch eben viele Erwachsene angeboten werden. Und gerade die neu Getauften, die Neuchristen sind dann oft sehr engagiert und setzen sich selber ein als Katecheten oder für die Evangelisierung.

Gessler: Gibt es denn Anzeichen dafür, dass sich das angespannte chinesisch-vatikanische Verhältnis durch den neuen Papst etwas entspannen könnte?

Wenzel-Teuber: Ja, eigentlich zunächst nicht. Die erste Reaktion der chinesischen Regierung durch den Außenamtssprecher hat dem neuen Papst gratuliert, aber gleichzeitig gesagt, man hofft, der ist flexibel und wird sich nicht in die innerchinesischen Angelegenheiten einmischen und Beziehungen zu Taiwan abbrechen, also genau das, was die chinesische Regierung immer sagt.

Aber gut – ich denke, ein personeller Neuanfang ist natürlich immer auch eine gewisse Chance. Und interessant ist ja, es ist nicht nur im Vatikan ein Neuanfang. Der Papst wurde am 13. März gewählt, und am 14. März wurde in China Xi Jinping neuer Staatspräsident. Ja, da kann man natürlich gewisse Hoffnungen schöpfen, wurden auch schon formuliert.

Und eine zweite Sache ist interessant. In China wurde direkt bemerkt, dass der neue Papst Jesuit ist. Und die Jesuiten haben einfach durch die Missionsgeschichte, in der sie ja unter anderem als kaiserliche Beamte sehr anerkannt waren durch ihre wissenschaftlichen Leistungen und durch ihr Engagement in einem ersten wissenschaftlichen und geistigen Austausch zwischen China und Europa. Dadurch haben sie einen guten Ruf in China, also auch bei Nicht-Christen. Und das könnte auch eine gewisse Chance sein.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.